10.10.2003

"Ein Flagship Store ist begehbare Werbung"

Aus Einkaufszentren werden Entertainmentcenter. In Madrid wurde diesen Sommer Xanadu eröffnet, das nebst 220 Geschäften auch einen Ski Dome, Kinos und eine Kart-Rennbahn beherbergt. In Bern plant die Migros das Westside-Center, für das sich Architektur-Stars wie Jean Nouvel, Inès Lamunière, Massimiliano Fuksas bewarben und Daniel Libeskind, der gewann. Für die Dramaturgie zuständig war Christian Mikunda (Bild), der sich eine Nische als Entertainmentcenter-Berater geschaffen hat. Im neusten "persönlich blau" gibt Mikunda Auskunft zu dem neuen Trend. "persoenlich.com" bringt einen Ausschnitt:
"Ein Flagship Store ist begehbare Werbung"

Herr Mikunda, wie macht man aus einem Shoppingcenter ein Wahrzeichen?

Jede Art von Signalhaftigkeit, jede Abweichung von der Norm macht aus einem Ort prinzipiell ein Wahrzeichen. Dazu gehört die Methode der Vergrösserung. Ein normales Rad ist unauffällig. "The Eye of London", das neue Riesenrad an der Themse, wurde zu einem Wahrzeichen des Milleniumsjahres 2000. Eine andere Möglichkeit ist ein Header. Ein gut sichtbares Segelschiff im Eingangsbereich eines Ladens für nautische Artikel ist einer. Einige Architekten wagen sogar, ein ganzes Gebäude in eine zu Stein gewordene Botschaft zu verwandeln. Daniel Libeskind verbindet formale Lösungen mit Inhalten: Sein jüdisches Museum in Berlin sieht aus der Luft wie ein riesiger, zerbrochener Davidstern aus. Die künftige Shoppingmall der Migros, die aus vielen Gebäuden besteht, wird wie eine überdimensionale, geöffnete Hand aussehen, die sich von der Hauptstadt aus der ganzen Schweiz entgegenstreckt. Einige Ketzer meinen, dass man die geöffnete Hand ja auch als Griff nach dem Portemonnaie des Kunden auslegen könnte.

Und wie schafft man Atmosphäre in einem Shoppingcenter?

Atmosphäre entsteht durch die Geschichte, die erzählt wird, durch den Stil, den Sound, seine Gerüche. Die Berliner Buchhandlung Bücherbogen, die sich auf Architektur und Technik spezialisiert hat, befindet sich unter den Gewölben der S-Bahn. Der Fussboden knarrt, wenn man von Raum zu Raum geht, und alle paar Minuten rattert die S-Bahn über die Köpfe der Kunden hinweg. Dieser Sound charakterisiert die Buchhandlung passenderweise als Technikort, erzeugt ein Flair, welches das Image des Sortiments verstärkt. Man erhält ein Gefühl von Echtheit. Noch vor wenigen Jahren versuchte man reine Kulissenwelten zu inszenieren im Stil des Wilden Westens, von Science-Fiction, des Abenteuerfilms. Die Restaurantkette Planet Hollywood ist ein bekanntes Beispiel. Doch diese künstlichen Themenwelten sind unter dem Einfluss von Rezession und Jahrtausendwende nicht mehr erfolgreich. Planet Hollywood geriet in massive Schwierigkeiten. Heute setzt man stattdessen auf Echtheit.

Woher nehmen Sie die Sicherheit, dass eine schöne Umgebung die Kaufbereitschaft fördert und die Kunden nicht etwa davon ablenkt?

Es gibt in den USA genügend Studien, die belegen, dass ein inszeniertes Verkaufsumfeld den Verkauf fördert. Man spürt, ob ein Ort vital ist oder nicht. Wenn man in eine Stadt geht, erfasst man sofort, ob sie emotional leuchtet oder nicht -- durch ihre Geschäfte, Hotels, Restaurants, Museen. Früher investierte man in Paläste und Kirchen, heute fördert man öffentliche Orte. Im Louvre ist der Eintritt in die grossartige Pyramide gratis, auch in das gewaltige Atrium der Tate Modern und den Innenhof des British Museum, den grössten überdachten Innenhof der Welt von Sir Norman Forster. Man kann sich dort emotional aufladen. Für mich sind das alles begehbare Bühnen.

Trendmarken haben entdeckt, dass sie mit einem so genannten Flagship Store auch ihre Marke fördern, und bauen immer grössere, erstaunlichere Einkaufsorte.

Ein Flagship Store ist die Visitenkarte eines Labels. Er verleiht nachhaltige Effekte in der Imagebildung, der Public Relations, und er ist begehbare Werbung. Im Idealfall ist er in Reiseführern, Lifestyle-Magazinen und TV-Sendungen abbildbar als Core Attraction. Er wird idealerweise zu einem Ort, an dem man sich trifft, um etwa einen Kaffee zu trinken. Es gibt drei Arten: Entweder der Shop wird zum Tempel, zur Kathedrale, mit allen Anzeichen eines sakralen, Ehrfurcht gebietenden Ortes. Oder der Shop ist wie ein begehbares Lifestyle Magazin, das man nicht durchblättert, sondern eben durchwandert. Und schliesslich sind da noch die Mega Stores, die wie kleine Malls funktionieren: Grossbuchhandlungen, Kosmetikmärkte, Sportausstatter.


Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren