23.05.2003

"Erfolgreiche Machtausübung fusst nicht auf Druck, sondern Zug"

Ob Entscheidungen vorteilhafterweise rational oder intuitiv erfolgen, ist für Professor Peter Sloterdijk einerlei, denn die Zukunft kennt niemand, und so sind wir alle -- Glücksspieler. "persönlich" hat sich mit dem Philosophen und Zeitdiagnostiker über Macht und deren Verschleierung, über das Geheimnis wahrer Führung und Bauchgefühle unterhalten. "persoenlich.com" bringt einen Ausschnitt des Interviews:
"Erfolgreiche Machtausübung fusst nicht auf Druck, sondern Zug"

Professor Sloterdijk, jede Gesellschaft beruht auf Hierarchien, auch ein Unternehmen. Ein Chef ist jemand, der Macht auszuüben hat. Was ist das eigentlich: Macht?

Macht ist das Vermögen, einen anderen zu einer Handlung zu zwingen, oder -- verfeinert ausgedrückt -- ihm mit einem Nachteil zu drohen, falls er sich dem Willen des Mächtigen widersetzt. Drohen bedeutet: Man zeigt die Waffen vor, die man gegen den Unwilligen im Ernstfall einsetzen würde. Eine Drohung ist, wie die Strategen sagen, ein bewaffneter Ratschlag. Die moderne Gesellschaft hat indessen verstanden, dass man zur erfolgreichen Machtausübung nicht Druck benötigt, sondern Zug. Man motiviert den anderen durch Einsicht und Anreiz, durch Inspiration und Attraktion. Motivation ist verinnerlichte Macht. Durch sie wird der Zwang unsichtbar und in eigenen Antrieb verwandelt.

Sie sagen, Macht beruht auf Unsichtbarmachung -- gleichzeitig predigt die Gesellschaft Offenheit und Transparenz.

Die Annahme einer totalen Öffentlichkeit, einer Welt ohne Geheimbereiche, ist unerträglich. Eine gleichmässig ausgeleuchtete Gesellschaft würde uns als totalitäre Hölle erscheinen. Das Intransparente ist zunächst das Private, und von dem wollen wir keinesfalls, dass es durchleuchtet werde. Privatheit funktioniert wie ein Immunsystem oder eine geschützte Datenbank -- normalerweise wünschen wir nicht, dass Hacker und Viren in diese Reservate eindringen.

In Politik und Wirtschaft wird viel Wert auf die Form gelegt, die Architektur des Gebildes, der Inhalt ist dagegen oft zweitrangig.

Die Demokratie entwickelt sich zu einem Dienstleister, analog zur Telecom. Das heisst: der Staat kann und will nicht verantwortlich für das sein, was die Bürger auf seinen Leitungen treiben. Die Stärke des Systems liegt in seinem Formalismus -- Freiheit ist ein Folgeprodukt dessen, dass es sich auf Prozeduren beschränkt und von Inhalten fernhält.

Wir haben in den letzten Monaten erlebt, dass Manager im Stil von McKinsey mit grossartigen Modellen und blendender Rhetorik aufgetreten sind. Am Ende blieb -- wie bei der Swissair -- ein Scherbenhaufen übrig.

Ich denke eher an die Formalisten, die aus den Firmen selbst hervorgehen. McKinsey-Leute sind Formalisten zum Mieten. Sie sind Auftragskiller und gehören einem externen System an. Ein guter Chef wächst immer immanent aus einer Struktur heraus. Dennoch darf er sich von einer gewissen Stufe der Karriereleiter an nicht mehr für Inhalte interessieren. Jenseits einer bestimmten Betriebsgrösse stört ein Chef, der etwas von der Sache versteht.

Meinen Sie das zynisch?

Ein Chef, der von allem etwas versteht, ist ein Paranoiker; er glaubt, alles begreifen, alles kontrollieren zu müssen. Wer Form und Inhalt trennen kann, vertraut den gut etablierten Prozessen. Diese funktionieren nur, wenn der Chef nicht hineinpfuscht. Führung bedeutet, laufen lassen, was gut läuft.


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