12.06.2022

Viertagewoche

«Radikalere Ansätze können erfolgreich sein»

International wird die Viertagewoche immer beliebter, hat aber in der Schweiz einen schweren Stand. Die Zürcher Marketingagentur Addvanto hat es gewagt: 34-Stunden-Woche bei 100 Prozent Lohn. Die drei Partner Karim Weber, Tom Vogt und Stefan Planzer (CEO) mit Details.
Viertagewoche: «Radikalere Ansätze können erfolgreich sein»
Die Marketingagentur Addvanto hat als Pionier eine Viertagewoche mit 34 Wochenstunden und 100 Prozent Lohn eingeführt (v.l.): Karim Weber (Partner), Tom Vogt (Partner) und Stefan Planzer (CEO und Partner). (Bild: zVg)

Herr Planzer, haben Sie sich neue Hobbys suchen müssen, weil Sie nun mehr Freizeit haben?
Stefan Planzer: Nein, noch nicht. Ich habe Kinder, die freuen sich über meinen Zeitgewinn.

Vier Tage Arbeit und drei Tage Freizeit bei 100 Prozent Lohn: Ihre Agentur Addvanto hat die Viertagewoche eingeführt. Können Sie sich vor Bewerbungen noch retten?
Planzer: Wir haben tatsächlich die zusätzliche Attraktivität von Addvanto als Arbeitgeber schnell gemerkt. Zum einen mit begeisterten Reaktionen unseres Teams. Zum andern mit einer Zunahme von interessanten Bewerbungen.

Was gab für Sie den Ausschlag, von fünf auf vier Tage zu reduzieren?
Planzer: Tom Vogt, Karim Weber und ich haben uns als Partner im Führungsgremium laufend darüber ausgetauscht, welche nachhaltigen Arbeitsmodelle möglich sind, um die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ideal mit unseren unternehmerischen Ambitionen zu verbinden. Die letzten zwei Jahre haben uns aufgezeigt, dass auch neue, radikalere Ansätze sehr erfolgreich sein können. Deshalb gehen wir mit einer echten Viertagewoche und 34 Wochenstunden nun bewusst ins unternehmerische Risiko, um auch in Zukunft weiter zu wachsen und zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.

Alle 16 Mitarbeitenden erhalten den gleichen Lohn wie zuvor. Haben Sie so schlecht bezahlt?
Planzer: Ganz im Gegenteil. Wir haben immer daran geglaubt, dass insbesondere in der anspruchsvollen Agenturwelt gute Leistung auch entsprechend honoriert werden muss.

Wie ist das bei jemandem, der bisher schon 80 Prozent arbeitete? Der kriegt nun denselben Lohn für drei Tage Arbeit?
Planzer: Nein, wer bisher 80 Prozent gearbeitet hat, behält das Pensum, erhält aber neu den Lohn für ein Vollpensum von 100 Prozent.

«Der zusätzliche freie Tag wirkt sich positiv auf die Motivation und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden aus»

Um 20 Prozent wurde die Arbeitszeit reduziert. Seit Anfang Mai haben Sie erste Erfahrungen gesammelt. Herr Vogt, sank auch der Output um 20 Prozent?
Tom Vogt: Die ersten Erfahrungen haben bereits gezeigt, dass die viertägige Arbeitswoche unserer Produktivität nicht schadet. Denn wir haben zusammen mit dem Team unsere Arbeitsabläufe optimiert und weiter verschlankt, sodass wir uns maximal auf unsere Kundenprojekte fokussieren können. Zudem wirkt sich der zusätzliche freie Tag positiv auf die Motivation und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden aus.

Heisst das, dass die Mitarbeitenden bis anhin einfach zu ineffizient waren?
Vogt: Es geht ja nicht nur um die Effizienz der Mitarbeitenden, sondern auch wir als Partner mussten unseren Managementstil hinterfragen und Anpassungen vornehmen. Dies hat zusätzliche Kräfte und Ressourcen freigesetzt.

Die Viertagewoche gilt als wichtiges Instrument in der Gewinnung von ausgewiesenen Fachkräften. Herr Weber, reichen die üblichen Benefits nicht mehr, um qualifizierte Leute anzulocken?
Karim Weber: Wir sind davon überzeugt, dass gute Leute nicht primär ein Mobile-Abo brauchen, sondern vor allem am «State of the Art» arbeiten möchten, ohne dabei ihr Privatleben aufgeben zu müssen. Wir sind auf der Suche nach kreativen und hochqualifizierten Leuten, welche am Puls der Gesellschaft und von Trends sind. Dafür brauchen sie Zeit und Musse, damit sie diese Impulse auch in die Arbeit einfliessen lassen können.

Apropos Benefits: Was bietet Addvanto sonst so? Wie grosszügig sind Sie zum Beispiel bei der Elternzeit oder den Ferien?
Planzer: Wir bieten unseren Mitarbeitenden fünf Wochen Ferien. Und zusätzlich: Unser Team kommt seit der Einführung der Viertagewoche in den Genuss von über 50 Tagen mehr Freizeit pro Jahr.

Und Elternzeit? Gilt hier das gesetzliche Minimum?
Planzer: Wir haben bisher noch keine spezielle Regelung zum Thema Elternzeit entwickelt und halten uns an die gesetzlichen Rahmenbedingungen. 

«Wir möchten kein Netzwerk von dezentralen Einzelkämpfern sein, sondern ein Team bleiben»

Beim neuen Modell darf an einem der vier Tage im Homeoffice gearbeitet werden. Warum sind Sie hier nicht grosszügiger?
Weber: Wir möchten kein Netzwerk von dezentralen Einzelkämpfern sein, sondern ein Team bleiben. Kreativität und die besten Lösungen brauchen Austausch, Atmosphäre und Diskussion. Dies ist bei unseren interdisziplinären Teams noch wichtiger. Homeoffice ist ein Teil unseres Modells, jedoch nicht das Wichtigste.

Aber wären Sie hier noch offener, könnten Sie auch internationale Topshots anlocken …
Weber: Wir haben diese Spielregeln zusammen mit dem Team definiert, für unsere Topshots passt es so wunderbar. Gute Kommunikation hat auch viel mit einem profunden Verständnis für Markt und Kultur zu tun. Aus diesem Grund sind internationale Topshots nicht unsere erste Priorität.

Es ist schwierig, gute Fachkräfte zu finden. Wie sieht es eigentlich aus beim Nachwuchs? Wollen noch genug junge Leute ins Marketing?
Weber: Das «Marketing» im klassischen Sinne gibt es so nicht mehr. Die Disziplin ist viel komplexer und technischer geworden. Sie bleibt jedoch auch für Nachwuchstalente sehr attraktiv. Schlaue Leute mit vielfältigen Interessen finden bei uns die optimale Plattform, um sich im digitalen Marketing zu etablieren.

Nehmen Sie uns mit zur Arbeit. Um 8.30 Uhr geht es bei Addvanto los mit dem sogenannten «Check-in». Was ist das?
Weber: Mit dem Check-in, unserem Morgen-Meeting, starten wir offiziell den Tag und besprechen die anfallenden Tasks.

Und am Abend folgt das «Check-out» …
Weber: Am Abend lassen wir den Tag Revue passieren und diskutieren kurz die wichtigsten operativen Herausforderungen und Erfolge des Tages. So sind alle immer auf dem aktuellen Stand der Dinge. Dies erleichtert auch die Koordination zwischen den Teams.

Arbeiten alle Mitarbeitenden an denselben vier Tagen – also beispielsweise von Montag bis Donnerstag?
Vogt: Nein, wir sind ein Dienstleistungsunternehmen und für unsere Kunden von Montag bis Freitag durchgehend erreichbar. Deshalb organisieren sich die Teams mit ihren freien Tagen so, dass die laufenden Kundenprojekte nahtlos weitergeführt werden können und immer jemand erreichbar ist.

«Unsere Kunden haben durch die Bank äusserst positiv reagiert»

Und wie reagierten Ihre Kunden darauf? Immerhin sind die Ansprechpersonen nun nur noch an vier statt fünf Tagen erreichbar?
Vogt: Unsere Kunden haben durch die Bank äusserst positiv reagiert. Denn auch sie sind in ihrem Arbeitsalltag mit ähnlichen Fragestellungen konfrontiert und suchen nach passenden Lösungen. Daraus ergeben sich sehr spannende Diskussionen. Und wie gesagt, die Qualität unserer Services und die Erreichbarkeit bleiben gewährleistet.

Als Fazit: Würden Sie die Viertagewoche allen anderen Agenturen bedingungslos weiterempfehlen?
Planzer: Die Einführung der Viertagewoche ist ein individueller, unternehmerischer Entscheid. Da geben wir sicherlich niemandem Ratschläge. Wir haben uns für diesen Weg entschieden, weil er zu unserer Unternehmens-DNA passt und wir überzeugt sind, dass dies unser Wachstumsmodell ist.


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