12.08.2003

"Wenn man über Identität nachdenken muss, hat man keine"

Kultur als Basis des Wirtschaftens: Rolf Fehlbaum (Bild), der Kopf von Vitra, hat es verstanden, aus dem einstigen Lizenz-Produzenten für Stühle eine massstabsetzende Institution zu errichten. Mit welchen Werten, mit welcher Haltung, mit welchen Gedanken entstand Vitra? Rolf Fehlbaum im Interview mit "persönlich", das dieser Tage erscheint. "persoenlich.com" bringt einen Auszug:
"Wenn man über Identität nachdenken muss, hat man keine"

Auf welche Weise führen Sie Ihr Unternehmen? Welches sind Ihre Normen, welches Ihre Werte?

Da gibt es keine Formel, keine festgeschriebenen Regeln. Die Werte sind die Werte der Designbewegung, der Glaube an die befreiende und inspirierende Kraft des Designs. Diese Werte sind in den Köpfen der Mitarbeiter durch tägliche Einübung über lange Zeit zur Selbstverständlichkeit geworden. Wenn man über Identität nachdenken muss, hat man keine. Innerhalb dieser fixierten Wertewelt sind die ständige Infragestellung und der beständige Wandel notwendig. Diese zu fordern und zu fördern ist die Aufgabe des Unternehmers. Die Stärke des Unternehmers (und für das private Umfeld oft seine Schwäche) ist, dass er von seinem Projekt besessen ist und ohne Unterlass an diesem Projekt bastelt und es weiterdenkt. Das hat mit der konventionellen Vorstellung von materieller Akkumulation nichts zu tun. Es geht um Werkbessessenheit. Und weil der Unternehmer im Prinzip alles infrage stellen, alles verändern kann und für alles gerade stehen muss -- also empowered ist -- fällt ihm viel ein. Das ist weniger eine Leistung des Individuums ‘Unternehmer’ als eine Folge der Rolle ‘Unternehmer’. Keiner steht zwischen Wollen und Tun. Das fördert die Aufmerksamkeit.

Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Designer und Unternehmen?

In der Kunst bestimmt der Künstler, was er macht, er gibt sich den Auftrag selber. Er bestimmt, was er mitteilen und in welcher Form er das tun will. In der Architektur ist es etwas anders. Da will jemand ein bestimmtes Raumprogramm realisieren und sucht dafür einen Architekten, der das Programm in einem bestimmten Bedeutungszusammenhang umsetzt. Bei uns ist es nochmals anders; die Trennlinie zwischen den Tätigkeiten des Produzenten-Auftraggebers und Designers ist unscharf. Wir arbeiten zwar nur mit freien Autoren-Designern, und trotzdem ist ein Designer bei uns halb intern, halb extern. Man stellt sich gemeinsam eine Aufgabe. Das Unternehmen bringt technisches Know-how, Markt- und Materialkenntnisse ein und einen kritischen Blick für Design. Dann läuft ein gemeinsamer Trial-und-Error-Prozess ab. So entsteht Schritt für Schritt ein Produkt. Dieses ist immer ein gemeinsames Werk. Design entsteht nicht auf dem Papier, sondern findet dreidimensional statt. Eine Vielzahl oft konkurrierender Ansprüche (bezogen auf Funktionen, Preis, Ökologie etc.) muss in den Prozess einfliessen. Und jedes Produkt ist angesichts der zum Teil widersprüchlichen Anforderungen ein Kompromiss, das gute Produkt ist ein guter Kompromiss. Mehr kann man nicht erreichen. Und wenn kein guter Kompromiss möglich ist, muss man das Projekt fallen lassen.

Design ist das eine, der Aufbau einer grossen Firma das andere. Was waren bei Ihnen die Hauptphasen des Wachstums?

Zunächst einmal: Ich mache das nicht allein; ich tausche mich sehr stark mit meinem Bruder aus. Und es gibt ein Management, das die unterschiedlichen Disziplinen beherrscht: Finanzen, Produktion, Logistik, Verkauf. Zu Ihrer Frage: Wir sind ein Unternehmen mit grosser Kontinuität. In einer Public Company kann man Phasen besser benennen, vor allem, wenn ein neues Management ans Ruder kommt.

Trotzdem: Welche Wendepunkte gab es in Ihrem Unternehmen?

1957 fing mein Vater an, die Eames-Kollektion in Lizenz von Herman Miller für Europa zu produzieren. Das war der wichtigste erste Schritt. Der zweite Schritt war, sich nicht nur auf die Lizenzproduktion zu verlassen, sondern selber mit Designern zu arbeiten. Das hat Mitte der Sechzigerjahre mit dem berühmten Panton-Stuhl angefangen. Das war unser Durchbruch zu einer eigenen grossen Leistung im Design. Den dritten Schritt taten wir, als sich die Partnerschaft mit Hermann Miller auflöste. Zuvor hatten wir nur die Schweiz, Deutschland und Österreich betreut, Herman Miller den Rest der Welt. Mitte der Achtzigerjahre begann der internationale Aufbau mit einer eigenen Identität. Jetzt sind wir daran, die USA auszubauen und Osteuropa zu erschliessen.

Denken Sie daran, in weitere Bereiche zu diversifizieren?

Manche sehen es als eine Schwäche, dass wir bereits in vielen Bereichen tätig sind, weil unser Geschäft dadurch komplexer wird. Ich empfinde diese Komplexität eher als Reichtum. Die Marke hat breite Schultern. Mit Vitra kann man etwas zum Wohnen sagen, man kann etwas über klassisches Design sagen, man kann etwas über Gegenwartsdesign sagen, man kann etwas über Büroeinrichtung sagen. Die Marke ist weit gespannt, aber die eigenen Energien reichen nicht immer aus, um alle Bereiche auszufüllen. Und so gibt es auch immer wieder Phasen, in denen wir den einen oder den anderen Bereich forcieren. In letzter Zeit sind wir wieder sehr stark am Wohnen interessiert.


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