26.07.2022

Jeff

«Wir sehen einen Trend zu mehr Kollaboration»

Der Festivalsommer läuft auf Hochtouren. Linus Eidenbenz, Managing Partner bei Jeff Zürich, über die Veränderungen des Sponsorings und der Live-Kommunikation in den letzten Jahren, Verschmelzungsprozesse und störende Werbung an Festivals.
Jeff: «Wir sehen einen Trend zu mehr Kollaboration»
«Im Internet kann man wegklicken, am TV wegschauen, aber an den Festivals kommt man an den Markenpräsenzen nicht vorbei», sagt Linus Eidenbenz, Managing Partner bei Jeff Zürich. (Bilder: Jeff Zürich, Keystone/Peter Klaunzer)

Herr Eidenbenz, welches Festival bleibt für Sie besonders in Erinnerung, weil es ein unvergessliches Erlebnis war?
Ich glaube, das war das Gurtenfestival 2002. Ich war 17 und das war mein erster Festivalbesuch. Meine Lieblingsband Oasis spielte ein sensationelles Konzert und ich wusste, dass ich in diesem Eventumfeld einmal arbeiten will. Das war für mich damals alles neu, gigantisch, intensiv und atemberaubend.

Seit der Gründung im Jahr 2011 setzen Sie mit Ihrer Agentur Jeff Zürich Sponsoringpräsenzen und Live-Kommunikationsmassnahmen von Marken um – mit einem Schwerpunkt auf Festivals. Was ist die markanteste Veränderung in diesen über zehn Jahren?
Vor zehn Jahren hat man mit der digitalen Erweiterung der Eventauftritte höchstens experimentiert, heute ist sie Standard. Praktisch jede Marke will ihre Sponsoringauftritte nun als interaktive 360-Grad-Kampagne ausspielen. Der Auftritt vor Ort ist «bloss» noch der Höhepunkt der Kampagne, die auf vielen Channels aktiviert wird. Gleichzeitig hat man durch die Pandemie gemerkt, dass die direkte Begegnung zwischen Marke und Zielgruppe unersetzlich ist. So gewinnt man als Marke vor allem dann, wenn man echte Erlebnisse bieten kann. Der physische Auftritt wurde also nicht unwichtiger. Aber er ist heute von vielen weiteren Massnahmen flankiert.

Inwiefern haben sich die Erwartungen der Festivals, Marken, Zielgruppen verändert?
Wir sehen einen Trend hin zu mehr Kollaboration. Die Festivals sehen den Besuch ihrer Gäste heute mehr denn je als ein holistisches Erlebnis, das in der Summe einfach gut sein muss. Denn so kommen auch die Gäste wieder. Die Zeiten, in denen man sich nur über die gebuchten Bands differenziert hat, scheinen vorbei zu sein. Viele Festivals haben heute ein gesteigertes Interesse daran, was die Marken mit den Gästen machen und ihnen bieten. Gleichzeitig sind die Marken durch die 360-Grad-Ansätze gezwungen, viel mehr Berührungspunkte mit den Festivals zu haben als bloss eine Standpräsenz und ein paar Logos bei der Bühne.

«Jede Brand Experience scheitert, wenn die Gäste sie als störende Werbung empfinden»

Was heisst das?
Dass Sponsoringauftritte heute auch zur Customer Journey eines Festivals gehören. Wir finden es sehr positiv, dass dadurch auch viel mehr Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen Festival und Marke entstehen. Davon profitieren die Gäste: Die Sponsoringauftritte sind authentischer, bieten sinnvolle Services, Erlebnisse und Interaktionen an und werden im Idealfall als Bereicherung wahrgenommen. Das ist auch dringend nötig, denn die heutige Festivalgästegeneration ist allergisch auf (störende) Werbung.

Inwiefern haben Sie für diese Antipathie Verständnis?
Dafür habe ich totales Verständnis. Schlecht gemachte Auftritte nerven mich als Gast auch und können nur verlieren. Sie werden zu einer Last für Gäste, Festival und schliesslich für die Marke selbst. Jede Brand Experience scheitert, wenn die Gäste sie als störende Werbung empfinden. Im Internet kann man wegklicken, am TV wegschauen, aber an den Festivals kommt man an den Markenpräsenzen nicht vorbei. 

Wie gelingt es, diese Falle zu vermeiden?
Ich glaube das beginnt mit einer Ansprache auf Augenhöhe. Und mit dem gleichen Gefühl für den Ort und den Moment. So entsteht die Offenheit der Gäste, hinzuschauen und hinzuhören. Richtig positiv wird es, wenn die Interaktion mit der Marke das Festivalerlebnis wirklich erweitert. Damit werden Brands zu einem unverzichtbaren Teil der Festival User Journey.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Das können simple Services sein, die auf Zielgruppenbedürfnisse abzielen, zum Beispiel den Gästen auf dem Zeltplatz eine Kühlmöglichkeit für ihr Bier, oder auch exklusivere und immersive Erlebnisse am Stand anzubieten. Wenn sich an Festivals Gegebenheiten stark verändern – so wie beispielsweise das Gurtenfestival, das nur noch über einen kleinen Zeltplatz verfügt und bei dem viele Gäste nicht mehr vor Ort übernachten – dann entstehen wieder neue Bedürfnisse, die eine Marke besetzen kann. So trivial es klingt: Sitzgelegenheiten sind beispielsweise wichtig und entscheidend, um mit der Zielgruppe in Kontakt zu kommen. 

An den Festivals dieses Sommers sind Sie für die Positionierung von Swisscom, Migros und 20 Minuten verantwortlich. Was war die grösste Herausforderung für Ihr Team?
Wir sind super stolz, diese drei Love Brands zusammen mit unseren Umsetzungspartnerinnen und -partnern betreuen zu dürfen. Die grösste Herausforderung lag in der Beschaffung, weil durch Corona sowohl beim Material als auch beim Personal die Ressourcen enorm geschwunden sind. Bei einem Auftritt war es beispielsweise lange unklar, ob wir genügend Gerüst-Mietmaterial finden. Etwas, was man früher innert Wochenfrist organisiert hatte, braucht heute eine Vorlaufzeit von zwei Monaten. Und natürlich hatten wir jetzt gerade im Juli auch enorm viele Ressourcen im Einsatz, da viele Festivals direkt hintereinander stattfanden und wir in gewissen Fällen mit allen drei Marken präsent waren. Unser Agenturhaus in Zürich war jedenfalls phasenweise fast leer. So wie zu den besten Vor-Pandemie-Zeiten, wenn es gleichzeitig mit vielen Live-Kommunikationsprojekten richtig abging.


Im Vorgespräch haben Sie mir gesagt, dass die Pandemie eine «positive Disruption» bei Marken ausgelöst hat. Was meinen Sie damit genau?
Vor der Pandemie gab es noch Marken, die total autarke Event- und Sponsoringabteilungen hatten, weit weg von den Kampagnen-, Social-Media- und Digital-Teams. Mit der Pandemie wurden diese alten Strukturen vielerorts aufgebrochen, denn der digitale Event liess sich nicht mehr in der kleinen Eventküche alleine umsetzen. Abteilungen, die es vorher gern vermieden haben zusammenzuarbeiten, mussten jetzt gemeinsam an einem Strick ziehen. Und das führt sich nun fort: Die Sponsoringauftritte sind dadurch müheloser und durchdringender auf mehreren Kanälen ausgespielt und zusammen teilweise als ganze 360-Grad-Kampagne gedacht. Etwas Zusätzliches möchte ich noch festhalten. 

«Viele Marken hatten vor der Pandemie Zweifel, ob Events und Sponsoringauftritte nicht einfach zu viel kosten und ineffizient sind»

Und zwar?
Vor der Pandemie hatte man bei vielen Marken auch Zweifel, ob Events und Sponsoringauftritte nicht einfach zu viel kosten und ineffizient sind. In den zwei Jahren hat man jedoch gelernt: Wenn man emotional an Menschen herankommen will, dann geht es nicht ohne Events oder Live-Kommunikation. 

Die Nachhaltigkeit als gesellschaftlicher Trend macht vor keinen Branchen mehr Halt. Wie sieht ein nachhaltiger Markenauftritt an einem Festival aus?
Den grossen Unterschied macht man über Material und bei den Transporten. Wir versuchen auf Materialien zu setzen, die man mieten kann, möglichst lokal produziert sind und «nach uns» wieder eingesetzt werden.

Zum Beispiel?
Wir setzen etwa gerne Gerüstmaterial ein, das auch im Häuserbau gebraucht wird. Oder wir nutzen – wann immer möglich – Schweizer Holz. Holzplatten kann man auch ein zweites Leben geben und sie nach einem Einsatz quasi als B-Ware wieder in den Kreislauf zurückschicken, in dem Standardplattenmasse beibehalten und kreativ genutzt werden. Auch werden bei der Migros pro Festival unterschiedliche Food-Lieferanten berücksichtigt, um möglichst regional zu produzieren und aus direkter Nähe anliefern zu können.

Die Swisscom tourt mit ihrem Kubus «Blue Space» – bei dessen Entwicklung Jeff eine Hauptrolle spielte – von Festival zu Festival. Der Kubus besteht aus fast drei Millionen LED-Dioden. Wie passt das mit einem Nachhaltigkeitsengagement zusammen?
Swisscom und wir als Agentur sind uns bewusst, dass der «Blue Space» ein umfassendes LED-Konstrukt darstellt, welches einen relativ grossen Energieverbrauch aufweist. Swisscom steht für Nachhaltigkeit ebenso wie für Innovation und Technologieführerschaft. Den «Blue Space» versteht Swisscom als innovative, technische State of the Art-Umsetzung, mit der unsere Kundin neue Arten und Chancen der Kommunikation aufzeigt. Und …

… ja?
Die Swisscom bezieht seit 2010 ausschliesslich Strom aus erneuerbarer Energie. Zudem wird das Thema Nachhaltigkeit auch an den Festivals berücksichtigt. So wird an den Festivalauftritten für den Betrieb des «Blue Space» 100 Prozent Ökostrom bezogen. Wo dies nicht möglich ist, kompensiert Swisscom die benötigte Menge mit Herkunftsnachweisen für erneuerbaren und CO2-freien Strom.

Die Swisscom hat die Festivals erst kürzlich wieder als Sponsoringfeld entdeckt. Sie muss sich also zuerst wieder etablieren in diesem Umfeld – im Gegensatz zur Migros, die seit Jahren an Festivals präsent ist. Inwiefern hat sich Ihre Arbeit für die beiden Brands folglich unterschieden?
Der letzte Auftritt der Swisscom liegt bereits ein paar Jahre zurück. Migros hingegen hat eher einen Vorsprung, weil sie den Wandel der Festivals und entsprechend die Bedürfnisse der Festivalbesucher miterleben konnte. Darum brauchte es bei Swisscom eine umfangreichere Analyse der Bedürfnisse, welche die Gäste an die Marke Swisscom und die geplante Brand Experience stellen. Darüber hinaus: Die beiden Marken wollen unterschiedliche Bedürfnisse abdecken.

«Social Media ist als verlängerter Kanal zu Live-Auftritten unabdingbar und die Grenzen sind fliessend»

Konkret?
Die Migros ist etwas klassischer unterwegs. Die Grundbedürfnisse der Gäste sollen abgedeckt und der Stand muss den Erwartungen der Gäste gerecht werden. Unter anderem mit dem günstigen Food-Angebot, das es seit Jahren so gibt. Einfach gesagt: Die Migros überrascht nicht mit der schieren Präsenz. Man erwartet jedoch, dass die Migros zu einem kultigen Festivalauftritt beiträgt. Bei der Swisscom hingegen geht es erst einmal darum, zu sagen, dass sie hier respektive zurück ist. Daher sind Branding, ein einladender Auftritt (Erholungsfläche), einfache Services (Smartphone-Ladestationen) und ein einzigartiges Erlebnis mit möglichst vielen Interaktionen («Blue Space») sehr wichtig bei dieser Basis- und Aufbauarbeit.

Bei der Brandexperience sind Schlagwörter wie «360-Grad-Kommunikation» respektive «ganzheitliche Integration» en vogue. Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Ja, das sind Modebegriffe, aber immerhin wird der integrative Ansatz heute von vielen Marken gelebt. Anhand der 20-Minuten-Umsetzung können wir dazu einen guten Einblick geben.

Bitte.
Bei 20 Minuten ist das Ziel, die my20minuten.ch-Community über die Festivals zu zelebrieren und auszubauen. Entsprechend ist das Konzept auf den Community-Gedanken ausgerichtet. Communitys werden über Begegnungen gebildet und kultiviert. Das Konzept der Tauschbox basiert somit auf dem Insight, dass der Generation Z das Thema Konsum und Second Life von Artikeln sehr wichtig ist. So können also die Community-Mitglieder ihre nicht mehr gebrauchten Gegenstände am 20-Minuten-Stand tauschen, was viel Interaktion, echte Begegnungen und Spannung auslöst. Für die ganzheitliche Integration wurde der Auftritt auf allen Kanälen und Touchpoints aufeinander abgestimmt.

Das heisst?
Wir erstellten ein grafisches Playbook für die verschiedenen Plattformen. Das Grafikteam von 20 Minuten setzte dieses dann beispielsweise für die Pre-Kommunikationswerbemittel ein, die den Stand und die Tauschbox beworben haben. Wir wiederum nutzen es für das Design des eigentlichen Standes. Vor Ort ist bei jedem Auftritt das Social-Media-Team von 20 Minuten mit dabei und berichtet live von den Erlebnissen. Obwohl verschiedenste Kanäle, Personen, Kompetenzen und Bereiche involviert sind, kommt alles aus einem Guss und erzählt eine Geschichte. Und die einzelnen Touchpoints sind miteinander kompatibel.

Social Media ist das zentrale Medium eines Grossteils der Festivalbesucherinnen und -besucher. Hat die Live-Kommunikation demnach nur über dieses Medium zu erfolgen?
Live bleibt live. Die Pandemie hat gezeigt, dass Live-Begegnungen unersetzbar sind. Social Media ist als verlängerter Kanal zu Live-Auftritten aber unabdingbar und die Grenzen sind fliessend.  

«Die Verschmelzung wird über das Metaverse eine weitere Dimension bekommen»

Diese Verschmelzung von physischer Präsenz und digitalem Erlebnis ist ein Trend, der seit einiger Zeit anhält.
Ich würde sogar sagen, die Festivals mit ihren jungen Festivalbesucherinnen und -besuchern waren in dem Bereich Vorreiter. Ich glaube, man wird der Sache somit nicht mehr gerecht, wenn man das noch einen Trend nennt. Ich würde diese Verschmelzung eher als erwarteten Standard betrachten. Bei vielen Interaktionen spielt das eigene Smartphone eine wichtige Rolle. Sei es, um sich zu identifizieren, sich via QR-Code einzuloggen oder um ein Foto oder ein Video zu machen. Viele Interaktionen sind so ausgerichtet, dass die Gäste die Brand Experience spielerisch über Social Media in ihre Netzwerke tragen.

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wie wird sich die Live-Kommunikation und das Sponsoring von Marken an Festivals verändern?
Die besagte Verschmelzung wird über das Metaverse eine weitere Dimension bekommen und sich dadurch noch mehr verstärken. Ich denke, es werden jene Festivals und Marken mittelfristig gewinnen, die sich schon heute auf eine echte Kooperation und Partnerschaft einlassen. Da, wo es im «alten» Modus weitergeht, werden Gäste sowohl dem Festival wie auch den Sponsoren mehr und mehr den Rücken kehren.

«Vielleicht hat eine Marke irgendwann den Mut, den kompletten Auftritt nur noch in einer Mixed- oder Augmented-Reality-Umgebung umzusetzen»

Was bedeutet das für den physischen Auftritt?
Vielleicht hat eine Marke irgendwann den Mut, ganz auf eine physische Präsenz zu verzichten und den kompletten Auftritt nur noch in einer Mixed- oder Augmented-Reality-Umgebung umzusetzen. Wir waren mit einem unserer Kunden in der Konzeptphase gar nicht so weit davon entfernt.

Vor Festivals herrscht bei Veranstaltern jeweils grosse Unsicherheit aufgrund des Wetters. Inwiefern beeinflusst das Ihre Strategie? Wenn es regnet, dürfte es kaum sinnvoll sein, Sonnencrème zu verteilen …
Neben nass und trocken gibt es auch heiss oder kalt, stürmisch oder windstill, und nicht zuletzt viele oder wenige Gäste. Der Anspruch an die Konzepte, das Personal und die Infrastruktur sind sehr hoch. Aber das ist ja genau das, was es so spannend macht: Für die verschiedenen Konditionen vorbereitet sein und agil bleiben.

Zum Schluss: Welches eher unbekannte oder kleinere Festival ist Ihr Geheimtipp?
Allen Deutschschweizer Festivalgängerinnen und -gängern rate ich dringend, den Röstigraben zu überschreiten. Die Westschweiz wartet mit ein paar Sensationen auf. Gerade das Paléo Festival wird sehr unterschätzt. Dabei ist es wohl das beste Festival, das die Schweiz zu bieten hat. In vielerlei Hinsicht ist und war es immer wieder Vorreiter für viele Trends. Atmosphärisch ist auch das Rock Oz'Arènes der Hammer. 


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