09.07.2013

Tages-Anzeiger

30-Prozent-Frauenquote stösst auf grosse Resonanz

Das Ziel ist ambitioniert, vor allem weil es ohne Entlassungen erreicht werden will: Von 22 auf 30 Prozent soll der Frauenanteil der "Tages-Anzeiger"-Redaktion bis Mitte 2016 steigen. Die "Stauffacher-Deklaration", deren Inhalt die Tagi-Journalistin Simone Meier am Montag auf persoenlich.com erklärt hatte, findet breite Beachtung. Unter anderen berichteten die "Neue Zürcher Zeitung", die "Aargauer Zeitung", der "Blick am Abend" und das Schweizer Radio über das Vorhaben der entschlossenen Tagi-Frauen. Die Reaktionen sind nicht nur positiv.
Tages-Anzeiger: 30-Prozent-Frauenquote stösst auf grosse Resonanz

Mehr Frauen in den Redaktionen: Am Montag wurde bekannt, dass der "Tages-Anzeiger" eine Frauenquote einführen wird. Dies sorgt für Gesprächsstoff. Machen Frauen eine andere Art Journalismus? Ändern sich Arbeitsklima und Produkt, wenn mehr weibliche Journalisten für eine Zeitung verantwortlich sind? Diese Fragen werden derzeit heftig diskutiert. Ausgelöst hatte die Debatte Simone Meier. Die Tagi-Kultur-Journalistin beschrieb in einem persoenlich.com-Interview erstmals ausführlich, wie der "Tages-Anzeiger" sein Ziel – 30 Prozent Frauen bis Mitte 2016 – erreichen will. Dabei nahm sie kein Blatt vor den Mund und schilderte unmissverständlich, warum es ihrer Meinung nach eine Quote braucht. Ihre Ausführungen wurden rasch von anderen Medien aufgegriffen, etwa von der "Neuen Zürcher Zeitung", der "Aargauer Zeitung" oder vom "Blick am Abend" (vgl. Abb. unten).

Gegenüber Radio SRF1 schildert Meier, wie sie immer stärker realisiert habe, dass der "Tages-Anzeiger" zu einer Männerzeitung geworden war. "Wir haben bei der 17.30-Uhr-Sitzung, wo es jeweils darum geht, die Frontseite festzulegen, festgestellt, dass Frauen im Blatt nur sehr spärlich vorkommen“, so Meier im Radio-Interview. In Porträts und Artikeln seien meistens Männer die Protagonisten. Somit sei immer stärker die Frage aufgekommen, wie die Tagi-Redaktion die weiblichen Leserinnen ansprechen könne, die einen Drittel der gesamten Leserschaft ausmachen würden.

"Linksgrüne Gehirnwäsche von der Werdstrasse"
Wie zu erwarten, stossen Meiers provokative Ausführungen nicht nur auf Gegenliebe. Kritisiert werden vor allem, dass die Tagi-Frauen durch die Quoten Veränderungen im Arbeitsklima und im Produkt erwarten. "Der TA ist ja jetzt schon ein feministisches Kampfblatt (Binswanger, Weber & Co.). Viel Glück, nur weiter so, ins Abseits. Nicht schade um die tägliche linksgrüne Gehirnwäsche von der Werdstrasse", schreibt persoenlich.com-Leser Thomas Meyer in einem Kommentar. Und André Schmid wundert sich über Meiers Begründung für die Quote. Ihrer Meinung nach sind Frauen in Führungspositionen imagepolitisch wichtig. "Und ich dachte immer, die bestmögliche Person, unabhängig vom Geschlecht, sei entscheidend. Sehr weltfremd und überheblich, passt leider zur neuen Werdstrassen-Kultur, schade", so Schmid.

Auch Roger Schawinski kritisiert die Frauen
Kritik an die Adresse der Frauen kommt zudem von prominenter Seite. Radiopionier und Talkmaster Roger Schawinski schaltet sich zwar nicht direkt in die Debatte rund um die Frauenquote beim Tagi ein. Doch auf blog.persoenlich.com bemängelt er, dass sich Frauen nicht in TV-Diskussionssendungen trauen. Sein Text - in dem er den Frauen vorwirft, softthemenfokussiert zu sein - wird ebenfalls mehrfach kommentiert. Doch nicht alle stellen sich hinter den SRF-Talkmaster, im Gegenteil. Einige Kommentatoren sehen den Grund für das Fernbleiben der Frauen von der SRF-Sendung "Schawinski" in seiner eigenen Person. "Schon mal drüber nachgedacht, dass vielen Frauen die hahnenkampfartige Rhetorik solcher 'Diskussionen' schlichtweg zu doof ist?", fragt Kommentatorin Marie Baumann. Die Antwort gibt sie gleich selber: "Aber nein, wenn Frauen nicht mitdiskutieren wollen, liegt es natürlich ganz sicher nicht an der von Männern als einzig wahre angesehenen Gesprächskultur(kultur?), die Frauen oft als lächerlich/mühsam/sinnlos empfinden, sondern - natürlich - an den 'unfähigen' Frauen, die sich dieser Gesprächskultur weder anpassen noch aussetzen mögen", schreibt sie in ironischem Tonfall.

Lob von FDP-Parlamentarierinnen
Doch richten wir den Fokus nochmals auf das Quoten-Engagement der Tagi-Frauen: Dieses wird nämlich auch gelobt. "Es bewegt sich was in der Medienwelt - Ja zu gemischten Teams!", schreibt FDP-Nationalrätin Christa Markwalder über Twitter. Auch ihre Partei-Kollegin Claudine Esseiva ist begeistert: "Gratuliere dem Tages-Anzeiger zu diesem wichtigen Schritt! Das macht Mut!", twittert sie. Bestärkende Kommentare kommen vor allem von Frauen, aber nicht nur. "Super! Es wird dem Blatt gut tun, weil Frauen andere Themen und Blickwinkel reinbringen. Auch, dass die Chefredaktion offene Ohren für das Anliegen hat, spricht einmal mehr für den Tagi", schreibt persoenlich.com-Leserin Barbara Federer. Und Christian Klein pflichtet bei: "Endlich tut sich auch mal was in den Redaktionen. Man kann härteres Durchgreifen nur begrüssen."

Signalwirkung für Weltwoche und Baz?
Damit sich tatsächlich etwas tut in den Redaktionen, ist Beharrlichkeit von Nöten. Nicht nur wenn es um Neubesetzungen von Stellen geht, sondern vor allem bei Veränderungen der Rahmenbedingungen, welche Teilzeitarbeit und das Verbinden von Beruf und Familie ermöglichen sollen. In der "Stauffacher-Deklaration" ist denn auch festgehalten: "Die Chefredaktion setzt sich für mehr Plätze in der Kinderbetreuung ein, für längere Öffnungszeiten am Abend und Betreuungsmöglichkeiten am Wochenende."

Der "Tages-Anzeiger" hat mit seinem klaren Bekenntnis einen Schritt gewagt, der andere Medienhäuser und Redaktionen in Zugzwang bringen könnte. Ziehen die anderen tatsächlich nach oder versuchen sie das kontroverse Thema zu umschiffen? Persoenlich.com hat bei denjenigen Chefredaktoren nachgefragt, bei deren Redaktion der Frauenanteil unter 30 Prozent liegt. Was die Chefredaktoren der "Neue Luzerner Zeitung", "Neuen Zürcher Zeitung", "Südostschweiz", "Aargauer Zeitung", "Weltwoche" und der "Basler Zeitung" von Frauenförderung halten, lesen Sie morgen Mittwoch und Donnerstag auf persoenlich.com. Sofern diese Chefredaktoren dem Thema überhaupt so hohe Priorität einräumen, dass sie dazu eine Stellungnahme abgeben können.

Text: Edith Hollenstein, Bild: Keystone

 

 

 

 

 


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