05.02.2018

Wie weiter nach No Billag?

«Das ist eine wahnsinnig spannende Zeit»

Wenn die AZ Medien das Lauberhorn übertragen wollen, solle das die SRG zulassen – spasseshalber sozusagen, sagt die frühere SRF-Direktorin Ingrid Deltenre. Ein Gespräch über Tamedia als TV-Produktionsfirma und die künftige Schweizer Medienpolitik.
Wie weiter nach No Billag?: «Das ist eine wahnsinnig spannende Zeit»
Die 57-jährige Ingrid Deltenre war 2004 bis 2009 SRF-Direktorin. Bis letztes Jahr leitete sie die Europäische Rundfunkunion. (Bild: ebu.ch)

Frau Deltenre, beneiden oder bedauern Sie den aktuellen TV-Direktor Ruedi Matter?
(sehr lange Pause) Das ist schwierig, eine sehr schwierige Frage. Nun, ich würde sagen, ich beneide ihn nicht. Wobei … (nochmals eine längere Pause). Nein, ich beneide ihn wirklich nicht, denn es werden von vielen Seiten her Fragezeichen gemacht bezüglich SRF. Ruedi Matter steht stark unter Druck. Auf der anderen Seite gibt es dank des veränderten Konsumverhaltens und den neuen Technologien viele Chancen. Es ist eine wahnsinnig spannende Zeit. Insofern beneide ich ihn auch, weil er in einer Funktion ist, in der er etwas aufbauen könnte, das sehr bedeutungsvoll ist.

Heute geht es bei der SRG um die Existenz. Was waren damals, vor zehn Jahren, als Sie seinen Job hatten, Ihre brennendsten Probleme als TV-Direktorin?
Ausser der Programmqualität war Innovation das wichtigste Thema: Wir wollten neue Formate kreieren. Zudem machten wir im Internet die ersten Schritte, denn in diesem Bereich hinkten wir den Verlagen um Meilen hinterher. Ich glaube, es ist uns damals gelungen, das Fundament im Internet zukunftsträchtig aufzustellen. Daneben war die Umstellung auf HD ein wichtiges Thema. 

Aber schlaflose Nächte hatten Sie deswegen nicht.
Nein, wie gesagt, Innovation war unser Hauptthema. Dass wir die Oper «Traviata» am Zürcher Hauptbahnhof inszenieren und live übertragen konnten, war mein persönliches Highlight in meiner ganzen Zeit beim Fernsehen. Natürlich gab es Dinge, die nicht funktionierten und von den Medien kritisiert wurden, aber schlaflose Nächte hatte ich deswegen nicht. 

Mitte Januar an der Jahresmedienkonferenz hat Matter angetönt, wie er sparen will: über Effizienz, technologische Erneuerungen oder weniger Mitarbeitende bei Sportübertragungen (persoenlich.com berichtete). Ist das sinnvoll?
Ich müsste die Details kennen, um das beurteilen zu können. Aber die Richtung klingt gut – das kann man so machen und hätte man auch bereits früher so machen können.

Sie haben in der «NZZ am Sonntag» konkrete Spar-Vorschläge gemacht, etwa Standorte zusammenzulegen.
Wenn wirklich substantiell gespart werden muss, ist es nötig, beim Angebot Abstriche zu machen. Dann müsste man Sender zusammenzulegen und Regionalbüros schliessen. 

Zudem haben Sie vorgeschlagen, die SRG könnte mit Google kooperieren.
Es gibt in verschiedenen Bereichen Möglichkeiten der Zusammenarbeit, so zum Beispiel im Bestreben, die Jungen besser erreichen zu können. Wenn schon Google hier in der Schweiz den grössten Entwicklungsstandort ausserhalb Europas betreibt: Warum kann die SRG nicht zusammen ein Projekt oder ein Joint Venture gründen, das beispielsweise der Frage nachgehen kann: Wie können wir die Jungen mit relevanten Nachrichten erreichen? Das wäre doch für beide Seiten interessant.

Was wäre da möglich?
In einem Joint Venture könnte man gemeinsam ein Ziel definieren und eine Anschubfinanzierung gewährleisten. Darüber hinaus wäre Spielraum bei der Entwicklung einer gemeinsamen Website, die für alle Schweizer Medienanbieter offen ist. In der Kreation und in der Distribution wäre vieles möglich – gerade unter Einbezug von Künstlicher Intelligenz und verbesserten Suchmaschinen.

Das klingt ein wenig wie die Idee der Gruppe um Hansi Voigt.
Ja, das mag sein. Aber den Leuten von «Wepublish» fehlt möglicherweise das Geld. 

Sie arbeiteten zuletzt als Direktorin der European Broadcasting Union und gelten als Verfechterin eines starken medialen Service public: Wie stark engagieren Sie sich bei «No Billag»?
In einem Komitee bin ich nicht. Aber ich unterstütze die Gegner, indem ich Interviews gebe, wie dieses hier. Zudem war ich bei Workshops zur künftigen Medienpolitik dabei und habe einer Kommission des Ständerates Auskunft gegeben.

Gerade Ehemalige müssten doch viel aktiver sein, weil SRF-Mitarbeitenden die Hände gebunden sind.
Ich glaube nicht, dass das gut ankommen würde, und meine Position ist wenig überraschend. 

Sehen Sie es auch so, dass vor allem Tamedia von dieser Abstimmung profitiert, egal wie sie ausgehen wird?
Selbstverständlich! Wenn man heute auf TV-Werbung verzichten würde bei der SRG, hätte Tamedia das Monopol bei der Schweizer TV-Werbung, weil sie jetzt auch noch für die Vermarktung der Werbefenster zuständig ist. Hinzu kommt ihre extrem starke Stellung im Zeitungsmarkt in der Deutsch- und Westschweiz. Tamedia de facto schon heute fast ein Monopol für nationale Werbung. Und was passiert, wenn es keine Konkurrenz bei der TV-Werbung mehr gibt: Tamedia wird die Preise erhöhen. Darum müsste die Werbebranche ein grosses Interesse daran haben, dass die SRG weiterhin werbefinanziert bleibt. Sonst gibt es ja gar keinen Wettbewerb mehr.

Wie realistisch ist es, dass Tamedia eigene TV-Inhalte produzieren wird?
Wenn Tamedia tatsächlich in eigene Inhalte investieren würde, wäre das eine inhaltliche Bereicherung und würde Arbeitsplätze schaffen für Journalisten. RTL und Sat 1 sind ja aus Kostengründen bald wieder von dieser Idee abgekommen, daher bin ich nicht so zuversichtlich. Zudem hat Tamedia TeleZüri und Radio 24 verkauft, und sie ist nicht gerade bekannt dafür, redaktionell stark auszubauen.

Und was ist mit anderen Verlagen? Die AZ Medien beispielsweise sagen, sie würden das Lauberhorn-Rennen übertragen.
Das können sie bestimmt (lacht). Wenn die AZ Medien die Lauberhorn-Übertragung wirklich will, dann sollte die SRG sie ihnen abgeben. Dabei muss man aber wissen, dass das eine wahnsinnig teure Produktion ist. 

AZ könnte das ja einfach und damit viel günstiger produzieren?
Ja, das ginge technisch problemlos, es ist jedoch trotzdem nicht möglich. Der Veranstalter – in diesem Fall der Skiverband – macht Vorgaben bezüglich der Qualität der Produktion, denn die Rennen werden auch international übertragen und ausgestrahlt. Wenn nun AZ den Rechte- und Produktionsvertrag an den Lauberhorn-Rennen kauft, dann verpflichtet sich die AZ zu einer hohen Produktionsqualität, die den Erwartungen der anderen Rechtekäufer entsprechen muss. Die internationalen Sender haben im übertragenen Sinn eine Rolex gekauft und bezahlt. Eine Rolex hat andere Spezifikationen als eine Swatch, obwohl beide gute Uhren sind. Wenn nun die AZ-Produktion nicht an die Vorgaben herankommt, werden der Skiverband und mit ihm alle Sender, die die Rechte gekauft haben, sehr unzufrieden sein. Ich glaube nicht, dass man als Sender mit der Produktion und Übertragung des Lauberhorn Rennens wirklich Geld verdienen kann. Es handelt sich eher um eine Investition in Prestige und Marketing.

Sie raten der SRG also tatsächlich, auf die Lauberhorn-Produktion zu verzichten?
AZ Medien könnte ja auch die Olympischen Spiele übertragen! Wenn es um Sport geht, reden manchmal Leute mit, die gar nicht wirklich wissen wovon sie sprechen. 

Wie auch immer «No Billag» ausgeht: Im Frühling wird das neue Mediengesetz beraten. Wäre eine neue Verteilung der Fördergelder eine Lösung, also Onlinejournalismus zu fördern, wie es die EMEK skizziert?
Es braucht eine kompetitive und gleichzeitig offene Infrastruktur. Langfristigwerden die traditionellen Radio- und Fernsehkanäle weniger wichtig sein und die Nutzung auf Abruf wird dominieren. Für diese Zeit muss man sich vorbereiten. Darüberhinaus wird es künftig noch schwieriger werden, Qualitätsjournalismus finanzieren zu können. Daher braucht es neue Fördermechanismen. Die SRG ist wichtig für die direkte Demokratie, aber gleichzeitig ist es genauso wichtig, eine Vielfalt an zuverlässigen Informationsquellen zu haben. Dabei spielen die Privaten eine entscheidend wichtige Rolle. Daher sollte die Politik mit indirekten Fördermitteln eingreifen – über reduzierte Steuern etwa, oder über die Förderung von Infrastruktur und Ausbildungsangeboten.

Direkter Förderung, über eine Stiftung wie in Wissenschaft oder Film etwa, stehen Sie skeptisch gegenüber.
Ja, wenn eine bestimmte Kommission über Fördergelder bestimmt, ist das in der Regel keine so gute Idee. Das fördert einerseits das Giesskannen-Prinzip, wonach zu viele eigentlich zu wenig erhalten, und es gibt der Politik potentiell mehr Einflussmöglichkeiten.

Sie haben die «wichtige Rolle der Privaten» angesprochen. Was meinen Sie damit?
Seit Jahren findet in der Schweiz eine starke Konsolidierung statt. Es gibt immer weniger Verleger in der Schweiz. Tamedia dominiert die grossen Zentren: Zürich, Bern und die ganze Westschweiz In der Deutschschweiz ist die NZZ jetzt noch stark, bis in zehn Jahren die ganzen NZZ-Regionaltitel vielleicht von der AZ gekauft werden. Darüber hinaus gibt es noch die «Basler Zeitung» in den Händen von Christoph Blocher, wie die «Südostschweiz» auf längere Sicht vielleicht auch. Daher wäre es eine sehr schlechte Idee, wenn die SRG ihre Regional-Redaktionen abbauen würde – eher das Gegenteil wäre nötig.

Sie glauben, dass Peter Wanner in zehn Jahren die Regionalmedien der NZZ abkaufen wird.
Ja, davon gehe ich aus.

 

 

 


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KOMMENTARE

Pascal Gottet
09.02.2018 15:22 Uhr
Das Programmfenster war auf RTL/ProSieben Schweiz. Damals wurden die IP-Mitarbeiter von einem extremen Simpsons-Fan per Mail terrorisiert, da seine Lieblingssendung dem Programmfenster zum Opfer fiel. Ab Frühling 2000 dürfte er sich beruhigt haben.
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