28.02.2016

Durchsetzungsinitiative

«Den Medien würde ich die Note 5 geben»

Peter Studer kämpfte an vorderster Front gegen die Durchsetzungsinitiative. Im Interview spricht der ehemalige Chefredaktor von «Tages-Anzeiger» und «Schweizer Fernsehen» über die Gründe für das Nein und die Leistung der Medien im Abstimmungskampf.
Durchsetzungsinitiative: «Den Medien würde ich die Note 5 geben»
von Raphael Rehmann

Peter Studer, die Durchsetzungsinitiative ist klar gescheitert, Ihr Einsatz hat sich ausbezahlt. Wie feiern Sie Ihren Erfolg?
Das Ergebnis ist eine freudige Überraschung. Natürlich habe ich es gehofft, aber damit rechnen konnte man nicht – trotz der Umfragen, da kann es ja immer Verzerrungen geben. Jetzt feiern wir gemeinsam in Zürich. Champagner wird es aber kaum geben – schliesslich haben wir unsere Spendengelder aufgebraucht.

Ist die Siegesfeier also zugleich die Beerdigung des «dringenden Aufrufs»?
Vorerst war das der Schluss. In zehn Tagen werden wir dann zusammensitzen und diskutieren, ob und wie es weitergeht. Bis dahin sagen wir nichts. Ausser: Vielen Dank, wir haben gewonnen!

Sie sind Jurist, Journalist und Bürger. In welcher dieser Rollen hat Sie die Durchsetzungsinitiative am meisten provoziert?
Der Umgang mit den Menschenrechten störte mich am meisten. Die Initiative wollte ein Sonderrecht gegen Ausländer schaffen. Das ist eine äusserst stossende Diskriminierung. Die SVP trötzelte allein wegen einer Härtefallklausel, die in allen europäischen Gesetzen üblich ist und ausnahmsweise den Richter eine Ausschaffung verhindern lässt. Als einer, der 1997 über unsere neue und elegante Verfassung begeistert war, empörte mich auch der schludrige Umgang der SVP mit der Verfassung. Der neue Artikel sollte mehr als drei Seiten umfassen und das Parlament von seiner Stammaufgabe ausschalten – nämlich neue Verfassungsartikel umzusetzen.

Glauben Sie, dass diese juristische Argumentation beim Volk angekommen ist?
Es sieht so aus. Der Rechtstaat ist das Fundament unserer nationalen Kultur. Wir haben als Newcomer seit Anfang Februar über eine Million Franken Spenden bekommen – das Allermeiste in kleinen Scheinen. In Inseraten und auf Plakaten erklärten wir uns. Viele Spender schrieben dazu: «Endlich tut jemand etwas gegen die orchestrierte Hetze.»

Sie haben eine Rekordsumme an Kleinspenden gesammelt, wie der Sonntagspresse zu entnehmen war. Was sehen Sie als Grund für diesen Erfolg?
Wir haben die Leute dazu gebracht, sich mit der Initiative auseinanderzusetzen. Vielen war es dabei nicht wohl. Sie waren dankbar, dass jemand etwas dagegen unternimmt und wollten etwas dazu beitragen.

Wie viel Zeit haben Sie in die Kampagne investiert?
Wir hatten ja erst spät, in der Vorweihnachtszeit, begonnen – von da an waren die Mitglieder unserer kleinen, poitisch gemischten Gruppe stets für die Abwehr der Initiative da: Wir haben hunderte Telefongespräche geführt, die Erstunterzeichner der «dringenden Aufrufs» rekrutiert, bei der Spendensammlung geholfen, Interviews gegeben und auch selber Texte geschrieben. Für mich war das praktisch ein Vollzeitjob.

Welche Reaktionen erhielten Sie aus dem privaten Umfeld auf Ihr Engagement?
Meine Familie unterstützte mich. Vor allem meine Frau, eine gebürtige Australierin. Auch zwei meiner Brüder begannen sofort, selber Leserbriefe gegen die Initiative zu schreiben und in Service-Clubs Stimmung zu machen. Von den angefragten Erstunterzeichnern lehnten nur drei ab: ein ehemaliger Bundesrat, der sich nicht mehr zur Tagespolitik äussern will und zwei Kaderpersonen mit Politikverbot. Alle drei wünschten mir aber viel Glück.

Wie beurteilen Sie die Berichterstattung der Medien im Vorfeld der Abstimmung?
Vor allem in den Zeitungen habe ich in den letzten sechs Wochen sehr viel darüber gelesen. Natürlich gab es auch Artikel, die mir nicht gefielen. Der «Tages-Anzeiger» warnte etwa davor, dass sich Eliten bilden, die die Volksstimmung nicht repräsentieren. Und «20 Minuten» druckte die Aussagen einer empörten Mutter, deren Tochter von einem Raser totgefahren worden war. Der Raser wurde auf Entscheid des Bundesgerichts nicht ausgeschafft, was etliche SVP-Werber gierig aufgriffen. Aber der Entscheid der Richter ist für mich nachvollziehbar. Und der einstimmige Verzicht auf die Ausschaffung wurde ja auch vom SVP-Richter mitgetragen.

Das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG) der Universität Zürich ermittelte: Eine Woche vor der Abstimmung waren 61 Prozent der Artikel gegen die Initiative, nur 23 Prozent dafür, wie die «Schweiz am Sonntag» schrieb. War das zu wenig ausgewogen?
Nein. Man kann nicht erwarten, dass die Medien immer gleich viele Beiträge für wie gegen eine Initiative publizieren. Sie müssen sich eine Meinung bilden, das haben nach meiner Wahrnehmung alle gemacht. Auf einer Notenskala von 1 bis 6 würde ich den Medien gesamthaft gesehen eine 5 geben.

Wo gibt es Abzug?
Sie sind spät in die gründliche Analyse der Initiative eingestiegen. Was mich aber freute: Der Tagi und die NZZ, die ich jeden Morgen lese, haben sich früh und deutlich gegen die Initiative gestellt. Damit haben sie ein Signal gesetzt. Einen der ersten sehr guten Artikel lieferte auch die WOZ. Sie zeigte deutlich die Problematik der betroffenen Secondos auf.

Ist Ihr Erfolg der Startschuss für Ihren Einstieg in die Politik – mit 80 Jahren?
Nein, behüte. Ich werde jetzt wieder in meinen Beruf als Bücherschreiber zurückkehren: Medien- und Kulturrecht. Halt mit sechs Wochen Rückstand. Für mich war die Durchsetzungsinitiative eine Wasserscheide für unser Land. Da muss die Zivilgesellschaft aufstehen. Die letzten Jahre meines Lebens möchte ich mich aber nicht mit Politik profilieren.

Auch nicht, wenn die Selbstbestimmungsinitiative, die Landesrecht über Völkerrecht stellen will, vors Volk kommt? Oder wenn es um die Abschaffung der Menschenrechtskonvention ginge?
Man soll niemals nie sagen. Aber da gäbe es dann sicher viele andere, die sich engagieren.

Bild: Keystone



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Kommentare

  • Thomas Läubli, 28.02.2016 21:13 Uhr
    Herr Studer scheint die Medien nur zu mögen, wenn sie seine persönliche Meinung repräsentieren. Leider sagt er überhaupt nichts über Sachlichkeit. Er ignoriert auch, dass beispielsweise 20Minuten mit der ewigen Flüchtlingsthematik den Abstimmungskampf beeinflussen wollte. Das geht auch klar daraus hervor, dass die geduldeten oder gewollten Schreibwerkstätten der SVP auf der Plattform mit den unsäglichsten Kommentaren Stimmung machen dürfen, während Intellektuelleres und Differenzierteres meisten gelöscht wird. Nicht zuletzt ist die unrühmliche Rolle der NZZ zu erwähnen, die am Tag vor der Abstimmung die JuSo mit den Nationalsozialisten verglichen hat. Das verdient klar die Note ungenügend.
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