15.11.2016

Hinter den Kulissen

«Die Redaktion ist unser Bullshit-Detektor»

Medium und Content-Marketing-Agentur in einem: Im Frühling hat Vice Switzerland die Büros in der Binz bezogen. persoenlich.com hat sich vor Ort umgeschaut und mit Geschäftsführer Patrick Viert gesprochen. Ein Gespräch über das Geschäft mit der jungen Zielgruppe, Social Media und die Wahrung der journalistischen Unabhängigkeit.
Hinter den Kulissen: «Die Redaktion ist unser Bullshit-Detektor»
«Branded-Content-Inhalte müssen genauso mit unserer Blattlinie funktionieren, wie redaktionelle Inhalte»: Geschäftsführer Patrick Viert. (Bilder: zVg.)

Wer die Büros von Vice Switzerland betritt, wird begrüsst von einem ausgestopften Murmeltier, das auf dem Empfangsdesk steht. Der Raum einer alten Fabrikhalle wirkt gross, hell und offen. 26 hauptsächlich junge Mitarbeiter arbeiten hier für das Onlineportal Vice sowie die hauseigene Content-Marketing-Agentur Virtue. Erst im Frühling ist das Team von der Hardstrasse in die neuen Räume im Industriequartier Binz gezogen.

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2011 startete Vice Media seine ersten Gehversuche in der Schweiz. Gegründet wurde das international tätige Medienunternehmen im Jahr 1994 in Kanada von drei arbeitslosen Freunden im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms. Ihr Grundgedanke: Nachrichten von jungen Menschen für junge Menschen. Egal ob in New York, in Tokio oder Zürich – Vice soll alle Lebensbereiche der Millennials abdecken. Nebst Musik, Sex und Drogen zählen auch Politik, Umwelt oder Bürgerrechte dazu.

Mittlerweile macht der Verlag weltweit beinahe eine Milliarde US-Dollar Umsatz pro Jahr. Das gedruckte Magazin hat eine Auflage von 1,2 Millionen und wird weltweit gratis verteilt, also auch hierzulande. Vor etwas mehr als einem Jahr haben Patrick Viert und Florian Jacquier die Geschäftsführung von Vice Switzerland übernommen. persoenlich.com hat die beiden in der Binz besucht.

Herr Viert, Vice bezeichnet sich als «Stimme einer neuen Generation», die für investigativen Journalismus sorgt. Welches sind die bisher bedeutendsten Recherchen der Redaktion in der Schweiz?
Im Sommer, als in Como die ersten Flüchtlinge gestrandet sind, die nicht in die Schweiz einreisen durften, haben wir als erstes Medium umfassend vor Ort über die Lage informiert. Ebenfalls eine sehr intensive und persönliche Recherche aus den diesjährigen Publikationen war jene zu den persönlichen Hintergründen von LKW-Fahrern, die tagtäglich die Schweiz durchqueren, von denen wir aber kaum etwas wissen. Diese Geschichten zeigen, dass Vice da übernimmt, wo andere Medien auslassen.

Welches Profil muss ein potenzieller neuer Vice-Mitarbeiter mitbringen?
Vice bringt entweder die Geschichten, die keiner hat, oder liefert zu bereits bekannten Geschichten eine neue Perspektive. Dieses Gespür für die richtigen Themen und die richtigen Geschichten muss jeder bei uns haben, das ist die wichtigste Voraussetzung. Hinzu kommt eine kräftige Portion Mut. Angst vor unangenehmen Fragen kennen wir nicht. Bei uns sind Abschlüsse zweitrangig, worum es uns geht, ist ein Mindset, das investigativ und kritisch hinter die grossen Headlines blicken kann.

Zurzeit wird das Schweizer Geschäft mit Österreich unter Vice Alps zusammengefasst. Heisst dass, dass die Leser in beiden Ländern dieselben Inhalte serviert bekommen?
Wir haben hier in Zürich eine eigene Chefredaktion und Vermarktung. Redaktionell sind wir schon eine Weile unabhängig von den österreichischen Kollegen. Das bedeutet, dass wir Inhalte produzieren, die es nur in der Schweiz zu lesen gibt. Andere Themen interessieren unsere Leser in beiden Ländern. Fest steht, dass es Vice Alps nicht mehr lange geben wird. Auf Facebook haben wir mit Vice Schweiz und Vice Austria diese Trennung schon vollzogen und auch die eigene URL folgt. Andererseits ist Vice in der Schweiz ein Teil von Vice CEE, der zentraleuropäischen Unternehmensgruppe des Vice-Konzerns mit Sitz in Wien und Stefan Häckel als CEO. Dadurch ergeben sich für uns einmalige Synergien und wir können auf ein starkes Netzwerk bauen.

Vice Switzerland hat auf Facebook knapp 13'000 Fans. Welche Social-Media Kanäle bedienen Sie sonst noch und wie wichtig sind diese?
Grundsätzlich wollen wir immer omnimedial sein. Auf allen Plattformen und in allen Kanälen. Ob am Laptop, mobile im Tram oder mit dem Magazin auf dem Klo, unsere Geschichten sollen alle Menschen überall erreichen. Dass die sozialen Netzwerke da eine ganz besonders wichtige Rolle spielen, hat Vice als eines der ersten Medien erkannt. Egal ob Snapchat, Facebook, Instagram oder Twitter, wer sich in den sozialen Netzwerken herumtreibt, kommt an Vice nicht vorbei, auch mit unseren lokalen Kanälen. Trotzdem trauen sich viele Medien noch immer nicht, ganz entschlossen auf allen Kanälen präsent zu sein.

Viele befürchten, sich von amerikanischen Firmen wie Facebook abhängig zu machen. Sie scheinen diese Bedenken nicht zu teilen. Weshalb?
Abhängig ist hier das falsche Wort. Vice ist ein Content- und Vermarktungspartner von Facebook. Eine internationale Partnerschaft, von der beide Seiten profitieren.

Bald wird die Reichweite Ihres Onlineportals durch Netmetrix erfasst. Wie nahe sind Sie dem genannten Ziel von einer Million monatlicher Nutzer?
Wir sind extrem zufrieden mit der Entwicklung unseres Traffics und sind zuversichtlich, dass wir unsere Ziele bis Ende Jahr erreichen.

Wie gross ist der Anteil Nutzer, die die sozialen Medien auf ihr Portal gelangen?
Wir generieren rund 50 Prozent unseres Traffics über die sozialen Medien, denn dort ist unser Publikum mittlerweile zu Hause.

Sie sprechen mit Vice hauptsächlich 14- bis 34-Jährige an. Gerade musste der Social-TV-Sender Joiz, bei dem Sie einmal in der Geschäftsleitung sassen, Konkurs anmelden. Lässt sich in diesem Bereich überhaupt Geld verdienen?
Natürlich lässt sich damit Geld verdienen, sonst wären wir nicht da, wo wir jetzt sind. Wir machen mit Vice das, was wir lieben: gute Geschichten, die es sonst nirgends gibt. Und mit Virtue machen wir genau das für Brands. Das nennen wir Content Campaigning und das macht inzwischen einen guten Teil unseres Umsatzes aus.

Wie hoch ist dieser Umsatz? Und verdienen Sie in der Schweiz Geld?
Ja, aber wir kommunizieren keine Umsätze.

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Nebst dem Medium umfasst Vice Switzerland auch die integrierte Content-Marketing-Abteilung Virtue. Wie viele von den 26 Angestellten sind Journalisten und wie viele kreieren Inhalte im Auftrag eines Kunden?
Vice ist das weltweit am schnellsten wachsende Medienhaus, das spüren wir auch hier am Schweizer Standort. Allein dieses Jahr konnten wir unser Team von 10 auf 26 Mitarbeiter erweitern. Davon arbeiten rund ein Drittel in der Redaktion und zwei Drittel für unsere Creative Solutions bei Virtue. 

Die Virtue-Mitarbeiter sitzen im selben Raum wie die Kollegen von Vice, lediglich durch ein Gestell in der Mitte getrennt. Wie garantieren Sie, trotz dieser Nähe, die journalistische Unabhängigkeit?
Vice ist ein unabhängiges Medium, wir lassen uns nicht von Werbebotschaften leiten und wahren immer die Presse- und Meinungsfreiheit. Wir unterscheiden streng zwischen bezahlten und redaktionellen Inhalten. Unsere Redaktion arbeitet da ganz unabhängig von den Kollegen in der Agentur. Passiert Branded Content auf Vice, so müssen diese Inhalte genauso mit unserer Blattlinie funktionieren, wie redaktionelle Inhalte. Auch für Brands schreiben wir über nichts, das nicht zu uns passt. Deshalb muss auch der zuständige Head of Content jeden bezahlten Artikel lesen und absegnen.

Sie nutzen das Wissen vom Medium Vice, um Inhalte über die Content-Marketing-Agentur zu verkaufen: Welcher Bereich ist abhängiger vom anderen?
Virtue würde es ohne Vice nie geben. Alles, was wir über gute Geschichten und über unser Publikum wissen, wissen wir durch Vice. Wir haben das grosse Glück, die Redaktion im Haus zu haben, sie ist unser Bullshit-Detektor, da sie mehrfach täglich mit den Millennials kommuniziert. Dank ihr wissen wir, welche Inhalte unser Publikum interessieren und entsprechend kommerziell erfolgreich sein können.

Ihre Inhalte werden schliesslich über Themenkanäle, sogenannte Verticals, vermarktet. Wie funktioniert das genau?
Unsere Vertical-Strategie umfasst ein Netzwerk von Channels rund um die Passion Points der Millennials – sei es Noisey für Musik, Munchies für Food, i-D für Mode oder Motherboard für Technologie. Mit den Verticals haben wir eigene thematische Plattformen geschaffen, weil wir wissen, dass wir so das relevante Publikum erreichen.

Wenn ich mich durch den Musikkanal Noisey klicke, wird mir Werbung von Cadillac angezeigt. Müssten mir hier nicht eher Konzerthinweise oder Anzeigen für die neueste Gitarre-Modelle angezeigt werden?
Wir passen die Ausspielung der Kampagne und Displayanzeigen nie nur an ein thematisches Umfeld an, sondern immer an das Publikum quer über die relevanten Kommunikationskanäle.

Was sind Ihre Ziele mit Virtue in der Schweiz?
Wir planen, unserem Markenanspruch weiter gerecht zu werden: Das grösste Youth Media Brand in der Schweiz zu werden und auf allen Plattformen und Kanälen zu Hause zu sein.

In den USA oder Grossbritannien zählt Virtue zu den Gewinnern des renommierten Cannes Lions Festival. Werden solche Erfolge auch von der Schweizer Einheit erwartet?
Wir sind ein globaler Konzern und jedes Land profitiert von den Erfolgen der anderen Länder. Dazu gehören natürlich auch Awards. Trotzdem definieren wir uns und unseren Erfolg nicht allein über Auszeichnungen. Heutzutage ist die Aufmerksamkeit des Publikums die wohl am härtesten umkämpfte Währung in der modernen Kommunikation. Wenn wir eine grossartige Geschichte einem grossen Publikum erzählen können, dann macht uns das mindestens genauso glücklich wie ein Award.


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