14.09.2015

Blendle

"Die richtig guten Artikel sind noch immer in Papierbündeln versteckt"

Als "iTunes für Medien" wird Blendle bereits als Retter des Journalismus gehandelt. Rund 400'000 Leser nutzen den Online-Kiosk in Holland. Diese Woche fiel der Startschuss in Deutschland - mit an Bord sind NZZ und "Reportagen". Co-Gründer Marten Blankesteijn spricht im Interview mit persoenlich.com über die Deals mit den beiden Verlagen und über den neuen Kurator Constantin Seibt. Zudem erklärt der 28-Jährige den Erfolg der "Geld-zurück-Funktion" und kritisiert irreführende, reisserische Schlagzeilen.
Blendle: "Die richtig guten Artikel sind noch immer in Papierbündeln versteckt"

Herr Blankesteijn, am Freitag waren Sie am Schweizer Medienkongress in Interlaken zu Gast. Wie haben Sie die Veranstaltung erlebt?
Interlaken hat sehr viel Spass gemacht. Die Schweiz ist voller interessanter, faszinierender Verlagsleute.

Während ihrem Referat verkündeten Sie überraschend die Partnerschaften mit der NZZ-Gruppe und dem Magazin "Reportagen". Ihre Reise in die Schweiz hat sich also gelohnt.
Auf jeden Fall. Die Zusammenarbeit mit "Reportagen" ist per Handschlag mit Chefredaktor Daniel Puntas Bernet zustande gekommen - etwa eine Stunde bevor ich aufs Podium stieg. Die NZZ hat schon etwas früher mit uns Kontakt aufgenommen. Wir haben ein paar Tage vor dem Kongress unterschrieben. Ich bin stolz beide Verlage an Bord zu haben.

Wie sieht es mit anderen Schweizer Verlagshäusern aus, kommen bald weitere dazu?
Momentan laufen keine aktiven Gespräche.

Kurator für die Schweiz wird "Tages-Anzeiger"-Journalist Constantin Seibt. Wie kam es dazu?
Na, Constantin Seibt ist einfach ein richtig cooler Typ. Also haben wir ihm eine Mail geschrieben. Er hat Blendle ausprobiert, fand es gut und nun hilft er uns, unsere Leser auf gute Texte aufmerksam zu machen.



Sie haben das "iTunes für Medien" zusammen mit Alexander Klöpping gegründet. Wie ist die Idee entstanden?
Ich war selbst Journalist und habe festgestellt, dass meine Freunde meine Artikel nie gelesen haben, bloss weil sie auf Papier erschienen sind. Also überlegte ich mir, wie ich das ändern könnte. Als ich dann an einem Kiosk vorbeikam, sah ich spannende Geschichten auf fast allen Titelblätter. Und trotzdem habe ich kein einziges Magazin gekauft, weil ich nur einzelne Artikel lesen wollte.

Sie zerlegen Zeitungen und Magazine in Einzelteile. Wie überzeugen Sie die Verlage davon?
Ich zeige ihnen Blendle und lasse sie selbst ausprobieren. Ich habe in den letzten Monaten gelernt, dass unser Dienst am meisten überzeugt, wenn wir nicht nur darüber sprechen.

In Holland ist Blendle eineinhalb Jahre nach dem Start ein Erfolg. Weshalb zahlen die Leser für Journalismus, wo es viele Inhalte gratis im Netz gibt?
Die Veränderungen in der Medienwelt sind gigantisch. Das kommt auch bei den Lesern an. Sie realisieren stärker denn je den Wert von Qualitätsjournalismus. Klar, es gibt jede Menge Gratis-Content, aber die richtig guten Artikel sind noch immer in Papierbündeln versteckt. "Reportagen" beispielsweise können Sie nicht kostenlos online lesen, genauso wie "NZZ Folio"-Artikel.

Der Gedanke, dass der Leser für einen einzelnen Artikel zahlt ist nicht neu. Warum ist Blendle so erfolgreich?
Es braucht zwei Dinge, um Micropayments mehrheitsfähig zu machen. Die Plattform muss ansprechend gestaltet und verständlich aufgebaut sein. Zudem darf man vom Leser nicht erwarten, den definitiven Kaufentscheid bereits zu fällen, bevor er weiss, was er dafür bekommt. Bei uns steht die Geld-zurück-Funktion im Zentrum. Wir versprechen unseren Nutzern, ihnen das Geld zurückzuerstatten, sollten sie enttäuscht werden.

Wie reagieren die Verlage auf diese Geld-zurück-Garantie?
Die Geld-zurück-Funktion ist der Schlüssel zu unserem Erfolg. Die Leser schätzen sie sehr. Die Verlagshäuser rund um die Welt reagieren ganz unterschiedlich darauf. In Schweden beispielsweise wurde die Funktion nie hinterfragt und als völlig selbstverständlich angesehen. In Italien hingegen waren viele Verleger besorgt und sagten uns wild gestikulierend, dass die Italiener doch für jeden Artikel ihr Geld zurückfordern werden.



In Holland nutzen rund 400’000 Menschen Ihr Portal. Wie viele Artikel kaufen Sie am Tag?
Täglich werden auf Blendle Tausende von Artikeln gekauft. Das sind alles Artikel, die sonst nirgends gekauft worden wären. Für Verleger ist es quasi Gratis-Geld.

Und wie hoch ist die Rückgabequote und wie lautet die meistgenannte Begründung?
Normalerweise wollen die Leute ihr Geld zurück, wenn sie sich von einer Schlagzeile in die Irre geführt fühlen. Leser sind diesbezüglich clever geworden. Wenn etwas in einer reisserischen Schlagzeile versprochen wird, was im Artikel nicht gehalten wird, verlangen sie fast immer ihr Geld zurück. Aber das passiert nicht oft. Total haben wir eine Geld-zurück-Rate von unter zehn Prozent.

Den Preis für die Artikel legen die Verlagshäuser selbst fest. Davon erhalten sie dann 70 Prozent. Wie begründet Blendle den 30-Prozent-Anteil?  
Diese Frage hat mir noch kein einziger Verleger gestellt. Denn sie wissen, wie teuer es ist eine Paywall aufzubauen. Geschweige denn ein Magazin herauszubringen und an Zeitungskioske zu liefern.

Am Montag ist Blendle in Deutschland gestartet. Wovon machen Sie den Erfolg abhängig?
Deutschland ist unser erster internationaler Launch und ein totales Experiment. Wir waren darum sehr konservativ mit unseren Berechnungen. Für mich und unsere Investoren wäre es ein Erfolg, wenn das Nutzerwachstum dem in Holland gleicht, was heisst: Wenn wir in einem Jahr 400’000 Nutzer haben, bin ich sehr glücklich.

Wie sieht es in Österreich aus: Zeigen die Verlage dort Interesse an Blendle?
Wir sind weltweit in aktiven Gesprächen mit Verlegern, auch in Österreich.

Und welches Land erobern Sie als nächstes?
Wir kündigen prinzipiell keine neuen Launches an, bevor wir nicht alle wichtigen Verleger in einem Land an Bord haben. Was ich Ihnen aber sagen kann ist, dass wir bis Ende Jahr noch einen zweiten internationalen Launch ankündigen und drei bis vier nächstes Jahr.

Interview: Michèle Widmer, Bilder und Vidoe: Keystone und zVg.


Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren