27.05.2022

WEF 2022

Düstere Themen bei heiterem Wetter

Das World Economic Forum in Davos ist am Auffahrtsdonnerstag zu Ende gegangen. Zum ersten Mal in der Geschichte des WEF wurde dieses im Frühling statt im Winter durchgeführt. Was ist sonst noch aufgefallen? Journalisten berichten über ihre persönlichen Eindrücke.
WEF 2022: Düstere Themen bei heiterem Wetter
Rund 1000 Journalisten aus aller Welt waren am WEF in Davos, darunter auch (v.l.): Matthias Steimer, Peter Fischer, Patrik Müller und Christian Dorer. (Bilder: Keystone/Gian Ehrenzeller, CH Media, NZZ, Ringier)

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Christian Dorer

Chefredaktor Blick-Gruppe

«Die Blick-Gruppe war mit sieben Journalistinnen und Journalisten vor Ort, die Stimmung war ein wenig wie im Schullager, und so brachten wir das WEF gemeinsam zu unseren Usern, Leserinnen und Zuschauern. Ich selber war zum 19. Mal dabei. Jede Ausgabe hat ihren eigenen Charakter. Dieses Jahr war vom Kontrast geprägt: Einerseits war die Stimmung locker wie nie, die Menschen flanierten draussen wie an einem Volksfest, und da es spürbar weniger Teilnehmende hatte, war auch nicht ständig alles überfüllt. Andererseits waren die Themen ernsthaft wie nie, die Aussichten düster wie selten: der Krieg in der Ukraine, unterbrochene Lieferketten, Inflation, trübe Wirtschaftsaussichten, Hungerkatastrophe, Covid und kein Ende. Allen WEF jedoch ist gleich: Als Schweizer Journalist trifft man Gesprächspartnerinnen, an die man sonst nie herankommen würde.»



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Patrik Müller

Chefredaktor Zentralredaktion CH Media und Schweiz am Wochenende

«Es war für mich erstmals kein World Economic Forum, sondern ein Western Economic Forum. Europäer und Amerikaner waren fast unter sich, vor allem das Fernbleiben der Chinesen war der grosse Unterschied im Vergleich zu den 18 WEFs, an denen ich schon teilgenommen habe. Nach all den Reden und Auftritten bleibt der Eindruck, die ganze Welt stehe hinter der Ukraine, aber das ist trügerisch, eben weil insbesondere die Stimme Chinas nicht zu hören war.»



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Peter Fischer

Chefökonom Neue Zürcher Zeitung

«Dieses 51. Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF) war anders als die vergangenen rund zehn, die ich schon erlebt habe. Anders erstens, weil der Krieg von der offiziellen Eröffnungsrede durch den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski am Montag bis zur Rede des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz das dominierende Thema war. Gross war zwar der von Politik und Wirtschaft geäusserte Wille, die Ukrainer in ihrem Verteidigungskampf und beim Wideraufbau nach Kräften zu unterstützen und Putins kruden Einsatz von Gewalt mit einer Niederlage zu vergelten. Doch bis zuletzt blieb unklar, wie dies ohne eine Ausweitung des Kriegs bewerkstelligt werden soll und wie weit die westliche Unterstützungsbereitschaft allenfalls reicht.

Zweitens war dieses WEF auch anders, weil die Sorge um den Krieg und die sich verdüsternden wirtschaftlichen Aussichten übliche Kernthemen wie Stakeholder-Kapitalismus, internationale Zusammenarbeit in der Klimapolitik und der Cybersicherheit, neue Technologien und ihre internationale Regulierung oder soziale Inklusion etwas in den Hintergrund drängten – und das trotz des demonstrierten Einstiegs des Davoser WEF ins Metaverse.

Anders war dieses WEF schliesslich drittens, weil es keinen Schnee, sondern Gewitterregen und Frühlingssonne gab, deutlich weniger politische Prominenz und Unternehmenschefs aus aller Welt persönlich anreisten, und weil wegen der Nachwirkungen der Pandemie China (im Gegensatz zu Indien) fast gar nicht präsent und auch Afrika und Lateinamerika untervertreten waren.

Geblieben ist hingegen der Eindruck, dass sich der persönliche Austausch zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im etwas abseits vom üblichen Alltag gelegenen Davos lohnt – nach der Pandemie und mit wieder stärkeren Tendenzen zum Auseinanderfallen in getrennte Welten erst recht.»



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Matthias Steimer

Leiter Bundeshaus elektronische Medien CH Media

«Aufblühende Natur, warmer Sonnenschein. Der klimatisch wohlige Rahmen des ersten WEF im Frühling stand im krassen Gegensatz zu dessen Inhalt: Krieg. Sinnbildlich bleibt das einstige Haus der heuer ausgeladenen Russen in Erinnerung, von Ukrainern umfunktioniert zum Haus der russischen Kriegsverbrechen. Davos nicht mehr als globaler Treffpunkt, sondern Plattform des westlichen Zusammenstehens. Unser Reporter Benno Kälin war hautnah dabei, als ein ehemaliger ukrainischer Kriegsgefangener dem Präsidenten Polens von der schlimmsten Zeit seines Lebens berichtete. Nicht weniger eindrücklich der Moment, als plötzlich die Klitschko-Brüder vor uns standen und noch so gerne ein Interview gaben. Sie redeten dem Westen ins Gewissen und liessen uns erschaudern, als wäre es gar nicht Frühling, sondern tiefster Winter.»


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