02.06.2015

Öffentlichkeitsgesetz.ch

"Oft wird hemdsärmlig entschieden"

Laut dem Öffentlichkeitsgesetz sind alle Dokumente der Bundesverwaltung für jedermann zugänglich. Trotzdem stellen sich Behörden oft quer - und ein Gesuch wird zu einem hochpolitischen Fall. Martin Stoll, Geschäftsführer des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch, setzt sich für die konsequente Umsetzung der Gesetzgebung ein.
Öffentlichkeitsgesetz.ch: "Oft wird hemdsärmlig entschieden"

Beamte vergeben Aufträge unter der Hand und verschaffen sich im Gegenzug persönliche Vorteile. Die vom "Tages-Anzeiger" publik gemachte Korruptionsaffäre im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beschäftigt mittlerweile die Bundesanwaltschaft. Die Recherchen zu dieser Geschichte basieren auf einem Dokument, welches noch vor ein paar Jahren unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit gelangt wäre.

Herr Stoll, Journalisten, die auf das Öffentlichkeitsgesetz pochen, können daraus oft spannende Recherchen realisieren. Ist das immer noch die Ausnahme oder machen Medienschaffende davon bereits ausreichend Gebrauch?
Als wir vor vier Jahren unsere Initiative starteten, war das Öffentlichkeitsgesetz bei Medienschaffenden noch wenig bekannt. Die Verwaltung war selten mit Einsichtsgesuchen konfrontiert. Das hat sich in letzter Zeit stark geändert, immer mehr Journalisten haben das Gesetz als Arbeitsinstrument entdeckt. Selbst Lokal- und Regionaljournalisten haben begonnen, mit ihren Öffentlichkeitsgesetzen zu arbeiten und damit wichtige Geschichten zu realisieren. 

Können Sie da ein Beispiel nennen?
Die "Solothurner Zeitung" stiess im März in ihrem Kanton eine heftige Debatte an. Mit Hilfe des Solothurner Informationsgesetzes hatte sie aufgedeckt, dass Aufträge über elf Millionen Franken zum Scannen von Steuererklärungen regelwidrig unter der Hand vergeben worden sind – ausgerechnet an eine US-Firma. Im Kanton St. Gallen findet im Moment eine heftige Debatte über Lohntransparenz statt, nachdem das St. Galler Verwaltungsgericht entschieden hat, dass das Gehalt eines Schulpräsidenten offen gelegt werden muss. Die Öffentlichkeitsgesetze sind auch im Regionalen zu einem Qualitätstreiber geworden.

Hat auch bei der Bundesverwaltung mittlerweile ein Umdenken stattgefunden?
Die Anwendung des Gesetzes ist mittlerweile auch für die Verwaltung zum Alltag geworden. Vielen Verwaltungsstellen ist heute bewusst, dass sie der Öffentlichkeit etwas schuldig sind. Vermehrt stellen Ämter inzwischen von sich aus Dokumente ins Netz. Mehrere transparenzfreundliche Entscheide des Bundesverwaltungs- und des Bundesgerichts haben uneinsichtige Verwaltungsstellen zudem in die Pflicht genommen und die Stellung der Medienschaffenden gestärkt. 

Dann hat Ihr Verein sein Ziel ja bereits erreicht.
Nein, wir sind noch längst nicht da, wo wir hinwollen. Noch immer gibt es in weiten Teilen der Verwaltung Widerstände gegen das Öffentlichkeitsprinzip. So mutieren Akteneinsichtsgesuche von Medienschaffenden in einem Amt nicht selten zu hochpolitischen Geschäften. Statt Anträge emotionslos und wertneutral nach der Richtschnur des Gesetzes und der Rechtspraxis zu beurteilen, wird der Entscheid über die Herausgabe eines Dokuments zur Chefsache. Beim Entscheid spielen das Einsichtsrecht und die gesetzlichen Regeln dann eine Nebenrolle. Oft wird sehr hemdsärmlig entschieden.

Spielen wir den Ablauf kurz durch. Ein Journalist recherchiert zu einem Thema, sucht nach geeignetem Material. Er bekommt Wind von einem interessanten Dokument. Wie weiter?
Für Medienschaffende gilt: Zuerst immer mit der zuständigen Medienstelle über die Herausgabe eines Dokuments verhandeln. Der informelle ist immer auch der schnellere Weg. Zudem ist es natürlich von Vorteil, wenn man vorgängig das Umfeld des Dokuments recherchiert hat und so mit einer möglichst konkreten Forderung an die Verwaltung gelangen kann. Die Behörden müssen Gesuchstellern aber unterstützen und sie über die verfügbaren amtlichen Dokumente informieren. So jedenfalls steht es in der Öffentlichkeitsverordnung.

Und das tun die Behörden auch?
Es ist grundsätzlich im Interesse der Behörden, den Aufwand zu minimieren und gemeinsam mit dem Antragssteller die zentralen Dokumente zu bezeichnen, in die Einsicht verlangt wird. Leider hat der Bundesrat das Projekt "Single Point of Orientation" auf Eis gelegt. Damit hätten Antragssteller selber im Katalog der vorhandenen Verwaltungsdokumente recherchieren können.

Wieso wurde das Projekt sistiert?
Offiziell heisst es: aus technischen Gründen. Ich vermute aber, dass dies ein politischer Entscheid war. Die Skepsis innerhalb der Bundesverwaltung war sehr gross. Für viele hohe Bundesangestellte war unvorstellbar, dass Journalisten einen direkten Zugriff auf das Verzeichnis der vorhandenen Dokumente haben und so von Dossiers erfahren, von denen sie vorher nichts wussten.

Lässt sich mit der Verwaltung nicht verhandeln, bleibt nur der Weg über ein offizielles Gesuch, um an ein Dokument zu gelangen. Wie geht man da vor?
Auf unserer Homepage lässt sich mit einem Antrags-Generator ein Antrag um Akteneinsicht mit wenigen Klicks an die richtige Stelle versenden. Die Verwaltung hat dann 20 Tage Zeit, das Gesuch zu bearbeiten. Geschieht dies nicht, kann man sie, ebenfalls mit Hilfe unserer Website, mahnen.

Die Prüfung eines solchen Gesuchs ist mit Kosten verbunden, diese unterscheiden sich von Fall zu Fall. Wie viel ist akzeptabel?
Früher waren Gebühren ein grosser Streitpunkt. So haben die Eidgenössische Finanzkontrolle unter ihrem ehemaligen Direktor oder das Bundesamt für Landwirtschaft beispielsweise versucht, die Einsicht in Dokumente mit gigantischen Gebührenforderungen zu verhindern. Das Bundesgericht hat hier ein wichtiges Urteil gefällt. Es hat festgestellt, dass selbst bescheidene Gebühren bei einer Kumulation Transparenz verhindern können und sich diese als Zugangsbeschränkung auswirken. Medien seien aber, zur seriösen Wahrnehmung ihrer Funktionen, regelmässig auf den Zugang zu amtlichen Dokumenten angewiesen. Seit dem Urteil gewähren viele Verwaltungsstellen Medienschaffenden einen Gebührenrabatt von 50 Prozent oder verzichten ganz darauf.

Die Gebühr zu hoch, das Dokument zu stark geschwärzt oder die Akteneinsicht wird einem ganz verweigert. Was dann?
Dann kann man ein Schlichtungsverfahren einleiten. Meine Erfahrung zeigt, dass sich dies durchaus lohnt. Das Verfahren ist kostenlos und immer wieder kommen aussergerichtliche Einigungen zustande. Das Dilemma dabei: Solche Verfahren können sich bis zu einem Jahr hinziehen. Für eine aktuelle Berichterstattung ist der Wert eines solchen Schlichtungsverfahrens deshalb oft klein.

Die Verwaltung hat also noch immer die Möglichkeit, Geschichten zu verhindern?
Ja, sie kann Geschichten aussitzen. Allerdings ist damit ein erhebliches Reputationsrisiko verbunden. Wer absichtlich Transparenzregeln missachtet, muss damit rechnen, öffentlich thematisiert zu werden. Das Bundesamt für Landwirtschaft oder die Nuklearaufsicht Ensi haben dies erfahren. Dann entsteht auch Schaden für die ganze Verwaltung und der tiefere Sinn des Gesetzes verkehrt sich ins Gegenteil. Das Öffentlichkeitsgesetz wurde ja geschaffen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Verwaltung zu stärken. 

Fällt auch der Schlichtungsentscheid negativ aus, bleibt einem Journalisten nur noch die Möglichkeit, den Fall weiterzuziehen. Das kann jedoch teuer werden.
Ja, das ist in der Tat ein Risiko. Wer unterliegt, muss die Kosten selber bezahlen. In Zeiten von schrumpfenden Redaktionsbudgets sind mehrere 1’000 Franken für ein einzelnes Dokument oft zu viel. Auch wenn ein allfälliger positiver Entscheid auch eine exemplarische Wirkung hätte, sind die wenigsten Verlagshäuser bereit, dieses Geld in die Zukunft zu investieren.

Wir haben bisher immer vom Öffentlichkeitsgesetz auf Bundesebene gesprochen. Die kantonalen Gesetze unterscheiden sich jedoch alle voneinander. Diesen hat sich Ihr Verein nun angenommen.
In unserem neuesten Projekt haben wir alle kantonalen Gesetze so aufbereitet, dass regional arbeitende Medienschaffende einen einfachen und raschen Zugang dazu erhalten. Innert Minuten erfahren sie so, in welchen Situationen sie das Gesetz anwenden können, welche Ausnahmen gelten und wie man sich für sein Einsichtsrecht wehrt. Zudem werden wir ab Herbst in verschiedenen Regionen Schulungen zum Thema anbieten. Redaktionen können uns dafür auch buchen.

Wie muss man sich das vorstellen?
In den Kursen lernen die Teilnehmenden die Möglichkeiten und die Grenzen der Öffentlichkeitsgesetze für den Einsatz im journalistischen Alltag kennen. Wir laden auch Behördenvertreter in den Kurs ein und lancieren so den Dialog zwischen Medien und der Verwaltung. 

Zum Schluss Herr Stoll, wo konkret setzten Sie als nächstes den Hebel an? 
In der Schweiz gibt es nach wie vor viele Tabuzonen: Im Bereich des Beschaffungswesens ist ein Fall vor Bundesgericht hängig. Es ist nicht einsehbar, wieso nicht alle vom Bund mit Steuergeldern beschafften Leistungen und Güter offen gelegt werden sollen. Dasselbe gilt bei den Subventionen oder staatliche Unterstützungsleistungen. Die Verwaltung hat grösste Mühe, hier Transparenz herzustellen, auch weil die Interessen von Dritten tangiert sind. Das Gesuch eines Journalisten stört hier die seit Jahren eingespielten internen Abläufe nachhaltig, denn Nutzniesser von Verwaltungssubventionen haben in der Regel ihre liebe Mühe mit dem Öffentlichkeitsgesetz. 

Interview: Nicolas Brütsch, Bild: zVg



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