13.11.2003

"Professor Glotz, ist Interaktivität beim Fernsehen nur eine Mode-Erscheinung?"

U1 TV Station, das am Mittwoch vom Bakom die Sendelizenz erhielt, verspricht "Interaktivität" -- ein Attribut, das sich auch der Star-TV-Ableger Star Games und das Fernsehprojekt Elevator-TV aufs Banner geschrieben haben. Woher kommt die Liebe der Fernsehmacher zur Interaktivität? Findet eine Demokratisierung des Mediums statt? "persoenlich.com" sprach mit Professor Peter Glotz (Bild), dem Direktor des Institut für Medien und Kommunikationsmanagement der Hochschule St. Gallen. Das Interview:
"Professor Glotz, ist Interaktivität beim Fernsehen nur eine Mode-Erscheinung?"

"Interaktivität" scheint bei neuen Fernsehprojekten das Mot du Jour zu sein. Dabei gibt es schriftliche und telefonische Zuschauerbeteiligung doch schon seit Jahrzehnten. Eine semantische Mode-Erscheinung?

Nein, das hat vielmehr mit den neuen technischen Möglichkeiten zu tun. Am erfolgreichsten ist aber, was auf dem Telefon basiert -- und nicht etwa die modernen Medien wie Internet. Der deutsche Privatsender Neun Life ist dafür das beste Beispiel, der wird inzwischen von den öffentlich-rechtlichen Sendern kopiert. Dieser Erfolg zeigt, dass im Unterhaltungsbereich ein -- wenn auch begrenztes -- Interesse besteht, sich zurückzumelden und teilzunehmen, und zwar vor allem bei Spielen. Man darf aber nicht vergessen, dass das Fernsehen vor allem ein grosser Erzähler ist. Dementsprechend wollen die Leute sich zurücklehnen und Couch Potatoes sein, und das ist legitim. Daneben kann man mit interaktiven Angeboten aber Geld verdienen.

Inwieweit muss man das Interesse an Interaktivität als Verteidigung gegen das Internet sehen, das dem Fernsehen seit Jahren Zuschauer abgräbt?

Diese Tendenz ist für die Zeitungen sehr viel ernsthafter. Leute, die das Internet nutzen, nutzen gleichzeitig auch das Fernsehen. Ich glaube daher nicht, dass das Fernsehen da grosse Ängste haben muss. Entsprechend sehe ich hier auch keine Abwehrstrategie, sondern eine Hoffnung der Sender auf neue Geldquellen.

Die Beteiligung der Zuschauer reisst die Mauern der hermetischen TV-Welt ein und verwischt so die Grenzen zwischen "realem Alltag" und "medialer Scheinwelt" -- ein Phänomen, das wir auch beim Reality-TV beobachten. Wird das Fernsehen demokratischer?

Nein. Es gibt einzig die Möglichkeit, dass ein nichtprominenter Mensch sich plötzlich am Fernsehen sieht oder hört, wie mit ihm gesprochen wird. Das findet im Rundfunk täglich statt, wenn Hörer anrufen. Diese Form der Interaktivität gibt es, das grosse Wort "Demokratie" würde ich aber nicht bemühen.

Immerhin können die Zuschauer verstärkt über Programminhalte mitbestimmen.

"Mitbestimmen" ist stark übertrieben. Die Zuschauer können an bestimmten Punkten mitmachen -- und sollen das auch tun, weil es für den Sender vielleicht lukrativ ist. Demokratie als ernsthafte Mitbestimmung bei wesentlichen Entscheidungen ist das aber nicht.

Wie beurteilen Sie die Chancen der Sender, die nun auf Interaktivität setzen?

Um hier kompetent Antwort zu geben, muss man sich erst die Business-Pläne ansehen: was sie genau machen wollen, welche Investitionen nötig sind, welche Verträge mit Telekom-Anbietern abgeschlossen wurden etc. Das habe ich nicht getan. Dass solches Fernsehen erfolgreich sein kann, zeigt, wie gesagt, Neun Life.


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