31.10.2007

SF-Verantwortliche wegen "Kassensturz"-Beitrag angeklagt

Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat aufgrund von drei Strafanträgen Anklage gegen das Schweizer Fernsehen eingereicht. Für den Einsatz mit versteckter Kamera fordert sie für vier SF-Mitarbeiter -- darunter Chefredaktor Ueli Haldimann -- happige Strafen, wie Recherchen von "persoenlich.com" ergeben. Auch die Ex-Miss Argovia kommt vor Gericht. Bitter: Das Schweizer Fernsehen hatte sie kaum über die möglichen juristischen Folgen ihres Einsatzes als Lockvogel aufgeklärt.
SF-Verantwortliche wegen "Kassensturz"-Beitrag angeklagt

Das höchste Strafmass beantragt die Staatsanwaltschaft für Ueli Haldimann: Der SF-Chefredaktor soll eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 560 Franken sowie eine Busse von 6'000 Franken erhalten, bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Tagen bei Nichtbezahlung der Busse. Doch auch "Kassensturz"-Chef Wolfgang Wettstein und zwei weitere Redaktorinnen müssen bei Schuldigsprechung mit Bussen in vierstelliger Höhe rechnen.

Auslöser für die Anklage sind zwei "Kassensturz"-Beiträge über Schönheitschirurgen, welche das Schweizer Fernsehen am 19. Dezember 2006 und am 6. Februar 2007 ausstrahlte. In einem Beitrag wird gezeigt, wie der prominente Schönheitschirurg Peter Meyer-Fürst die nackten Brüste der 19-Jährigen Jessica De Filippis berührt -- was ihm danach in der Boulevardpresse als Grabschen ausgelegt wurde. Die umstrittenen Filmbeiträge wurden SF-Chefredaktor Ueli Haldimann vor der Ausstrahlung gezeigt und er gab sein ausdrückliches Einverständnis zum Senden.

Für Rechtsexperten ist klar: Mit seiner Bewilligung zum Einsatz der versteckten Kamera hat sich Chefredaktor Haldimann weit aus dem Fenster gelehnt. "Haldimann setzt die Messlatte -- wohl aus Quotengründen -- sehr tief an", sagt Kurt Hog, der Meyer-Fürst in zivilrechtlichen Fragen vertritt. Wie heikel der Einsatz versteckter Kameras ist, illustriert er anhand eines Vergleichs. Will ein Staatsanwalt in einer Strafuntersuchung bei dringendem Tatverdacht wegen eines schweren Delikts eine Telefonkontrolle einsetzen, muss er beim Richter eine formelle Bewilligung beantragen. "Beim Schweizer Fernsehen werden solche schwerwiegenden Entscheide offenbar einem Journalisten überlassen, der über keinerlei juristische Bildung verfügt", kritisiert Hog.

Die "Grabsch-Affäre" ist nicht der einzige hängige Fall, bei welchem sich der SF-Chefredaktor vor Gericht zu verantworten hat. Im März 2003 setzte der "Kassensturz" ebenfalls einen Lockvogel ein, um ein Beratungsgespräch mit einem Versicherungsberater verdeckt aufzunehmen. Das Bezirksgericht Dielsdorf sprach das Schweizer Fernsehen zwar erstinstanzlich frei. Staatsanwaltschaft und Geschädigter gingen jedoch in Berufung. Am Montag kommt es vor der 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich zur Verhandlung. Kommt es zu einer Verurteilung, könnte dies für Haldimann und Co. gravierende Konsequenzen haben, sind sie doch dann einschlägig vorbestraft.

Hinzu kommt: Zeigte der "Kassensturz" im ersten Fall die verdeckt aufgenommene Person verpixelt und mit verzerrter Stimme, verzichtete SF in der Folge darauf, die Identität der Schönheitschirurgen zu verbergen. Für Anwalt Hog ist damit klar: "Das Schweizer Fernsehen zeigt damit, dass es nicht lernfähig ist." Am Leutschenbach will man sich zum Fall nicht äussern: "Zu laufenden Verfahren nehmen wir grundsätzlich keine Stellung", sagt SF-Sprecher Urs Durrer auf Anfrage von "persoenlich.com".

Neben den SF-Verantwortlichen muss auch Ex-Miss Argovia Jessica De Filippis vor Gericht erscheinen. Letztere war vom Schweizer Fernsehen als Lockvogel eingesetzt worden. Pikant: Aus dem Einvernahme-Prokoll der Staatsanwaltschaft, das "persoenlich.com" vorliegt, geht hervor, dass das Schweizer Fernsehen es unterlassen hat, die junge Frau über die möglichen juristischen Folgen zu unterrichten. "Ich wusste nicht genau, um was es ging", gab De Filippis der Staatsanwaltschaft zu Protokoll. Sie erhielt vom Schweizer Fernsehen für den insgesamt dreitägigen Lockvogel-Einsatz bloss eine Entschädigung von 1'000 Franken -- angesichts der Risiken ein sehr bescheidener Lohn.

Bereits im September hatte die Unabhängige Beschwerdeinstanz UBI im gleichen Fall eine Beschwerde gegen den "Kassensturz" gutgeheissen. Darin kam sie einstimmig zum Schluss, dass die verdeckt gefilmten Bilder aus der Praxis eines Schönheitschirurgen nicht hätten ausgestrahlt werden dürfen -- auch wenn das Sachgerechtigkeitsgebot nicht verletzt wurde.

Wann es zur Verhandlung kommt, ist noch unklar. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft liegt derzeit beim Zürcher Einzelrichter für Strafsachen des Bezirks Zürich. Wird sie nicht zurückgewiesen, kommt es schon bald zur Hauptverhandlung. Unbesehen davon, wie das Urteil des Zürcher Obergerichts ausfällt: Finanzielle Konsequenzen haben die SF-Mitarbeiter nicht zu befürchten. "SF stellt sich grundsätzlich hinter seine Mitarbeitenden, falls sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mit der Justiz in Kontakt kommen", heisst es in den publizistischen Leitlinien des Medienunternehmens.

(Text: David Vonplon)



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