07.03.2024

BZ/Bund

So kam es zum problematischen Politikeingriff

Der Berner Regierungsrat lässt die Berichterstattung der Berner Tamedia-Titel zu einer umstrittenen Polizeiaktion untersuchen. Chefredaktor Simon Bärtschi findet die Übung «absurd».
BZ/Bund: So kam es zum problematischen Politikeingriff
Simon Bärtschi kriegt demnächst Besuch aus dem Rathaus: Grosser Rat und Regierungsrat wollen die Berichterstattung von BZ und Bund durchleuchten. (Bild: Keystone/Peter Klaunzer, zVg)

Der Vorgang wäre Stoff für den Presserat gewesen. Es geht um Fragen, mit denen sich das Ethikgremium regelmässig befasst. Hielten sich die Journalistinnen an die Wahrheit? Unterschlugen sie wichtige Informationen? Respektierten sie die Privatsphäre?

Dass der Journalistenkodex der angemessene Massstab wäre, um die strittigen Punkte zu beurteilen, sahen eigentlich auch die Grossrätinnen und Grossräte im Berner Kantonsparlament. Zumindest sprachen sie dauernd davon. Dennoch entschied sich eine Mehrheit des Rats für den politischen Weg.

Regierung muss redaktionsinterne Vorgänge klären

Nun hat der Berner Regierungsrat den Auftrag erhalten, die Berichterstattung von Berner Zeitung und Bund zu einer umstrittenen Polizeiaktion zu untersuchen. Er muss unter anderem redaktionsinterne Vorgänge klären sowie von der Redaktion eine «klärende Berichterstattung und Richtigstellung der Fakten» einfordern. Mit 75 zu 65 Stimmen bei 12 Enthaltungen hat der Grosse Rat am Dienstag die Motion «Machtmissbrauch durch Medien-Konzern: Kantonsangestellte schützen» einer EDU-Grossrätin angenommen (persoenlich.com berichtete). 

Wie die Regierung den Auftrag genau umsetzen will, wen sie damit beauftragt und wie sie den Anschein eines Eingriffs in die Medienfreiheit vermeiden will, hat sie noch nicht entschieden. «Der Regierungsrat hat die Überweisung der Motion zur Kenntnis genommen und wird das weitere Vorgehen zu gegebener Zeit diskutieren», teilt ein Regierungssprecher auf Anfrage von persoenlich.com mit.

Simon Bärtschi, Chefredaktor von Berner Zeitung und Bund, sieht der Übung einigermassen gelassen entgegen. Er sagt: «Ich befürworte eine vertiefte Prüfung in diesem Fall, auch wenn ich es absurd finde, dafür das Parlament, die Regierung und die Verwaltung zu bemühen und Steuergelder zu verschwenden.» Er hätte es lieber gesehen, wenn sich Ombudsstelle, Presserat und Gerichte damit befasst hätten und nicht die Politik.

Am 12. Juni 2021 veröffentlichte die Berner Tamedia-Zeitung Der Bund einen Artikel über eine Polizeiaktion, bei der die Beamten Gewalt angewendet hatten, um eine Person festzusetzen. Dabei hielt ein Beamter sein Knie auf den Hals eines Mannes, den sie zuvor zu Boden gebracht hatten. Ein zufällig anwesende Delegation der Bund-Redaktion beobachtete den Vorgang aus der Nähe.

Beiläufige Erwähnung des Falls George Floyd

In einem Artikel dazu kommt neben der Schilderung des Gesehenen ausführlich eine Polizeisprecherin zu Wort, welche die Beobachtungen kommentiert und teils widerspricht, etwa dass der Beamte sein Knie nicht auf den Hals gehalten hatte, sondern im Bereich von Schulter und Kopf. Ein Experte für Polizeirecht wurde mit Aussagen zitiert, wieso das Knie auf den Hals gar nicht gehe. Und in einem kurzen Abschnitt erwähnte der Bund auch den Fall von George Floyd, allerdings ohne auf Details dieses tragischen Todesfalls in den USA einzugehen. Der Redaktion ging es um die Aussage eines früheren Rechtsmediziners, die er im Tages-Anzeiger gemacht hatte, wonach vor allem die Bauchlage einer arretierten Person gefährlich sei und zum Tod führen könne.

Das Bild zum Artikel zeigte den auf dem Mann knienden Polizisten von hinten, die Gesichtspartie vor dem Ohr war verpixelt. Eine Beamtin, welche die Beine des Manns fixierte, drehte sich von der Kamera weg, wohl als Reaktion darauf, dass sie fotografiert wird.

Nach dem ersten Artikel im Bund berichtete am gleichen Tag auch die Berner Zeitung BZ. Die beiden Redaktionen hatten damals noch je eine eigene Lokalredaktion, waren also Konkurrenz. Die BZ zitierte mehrere kritische Reaktionen zum Vorgehen der Polizei. Deutlicher als der Bund schrieb die Zeitung zudem, dass die Festhaltetechnik mit dem Knie auf dem Hals an den tragischen Tod von George Floyd erinnere.

«Vergleich» bleibt in den Köpfen hängen

Eine Woche nach der Polizeiaktion eröffnete die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung gegen die beteiligten Beamten. Gleichzeitig erschien im Bund, der den Fall bekannt gemacht hatte, ein weiterer längerer Artikel. In dieser «Analyse» schreibt der Autor, dass der Vergleich mit dem Fall von George Floyd in den USA «verfehlt» sei; ein Vergleich nota bene, den die Zeitung selbst gar nicht gemacht hatte. Einzig in den Leserkommentaren fanden sich vereinzelte Gleichsetzungen der Vorgänge. Die Redaktion dagegen hatte Floyd lediglich im Kontext erwähnt mit der Einschätzung des Gerichtsmediziners (siehe oben). Doch das sollte später keine Rolle mehr spielen. In den Köpfen der Kritiker bleib der «Vergleich» hängen, von dem sich die Zeitung distanzierte, ohne ihn selbst gemacht zu haben.

Danach blieb es rund um den Fall zwei Jahre ruhig. Bis im vergangenen September das Regionalgericht Bern-Mittelland als erste Instanz die Urteile sprach zu den an der Verhaftungsaktion beteiligten Polizisten. Jener Beamte, der den Mann unsanft in den Polizeiwagen gestossen hatte, wurde wegen Amtsmissbrauch und Tätlichkeit zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Der andere, der auf dem Mann kniete, wurde dagegen freigesprochen. Wobei das Gericht in der schriftlichen Begründung des Urteils festhält, dass der Beschuldigte unverhältnismässig gehandelt und «objektiv den Tatbestand des Amtsmissbrauchs erfüllt» habe. Freigesprochen wurde er trotzdem, weil es an der subjektiven Strafbarkeit fehlte.

Auf das Urteil geht der Regierungsrat nicht ein

Das Urteil bildete den Auftakt zu einer politischen Kampagne, an deren vorläufigem Ende nun der Grossratsbeschluss steht zur regierungsrätlichen Aufklärung der Berichterstattung. Den Anfang machte der Regierungsrat und Philippe Müller (FDP). Der Polizeidirektor kritisierte mit Bekanntwerden des Urteils Bund und Berner Zeitung in einer ausführlichen Stellungnahme, deren Inhalt er später auch noch einmal im Parlament wiederholen sollte. Der freigesprochene Polizist sei von den Medien massiv vorverurteilt worden, fand Müller. Auf das Urteil selbst ging er nicht ein. Auch den Bezug zu George Floyd kritisierte er als unangebracht. Weiter monierte der Regierungsrat, die Redaktion habe entlastendes Bildmaterial zurückgehalten und so ein einseitiges Bild gezeichnet. Zur Unausgewogenheit beigetragen habe auch die fehlende Angabe über die Dauer der Fixierung der verhafteten Person.

Die Chefredaktion von Bund und BZ hielt in einem Leitartikel dagegen und verteidigte ihre Berichterstattung als «ausgewogen und so präzise und umfassend wie möglich». Die Vorwürfe Müllers weise man «entschieden zurück».

Doch damit war die Sache nicht erledigt. Ein paar Wochen nach Müllers Medienschelte nahm EDU-Grossrätin Katharina Baumann den Ball auf. In einer Motion mit dem Titel «Machtmissbrauch durch Medien-Konzern: Kantonsangestellte schützen» fordert sie den Regierungsrat auf, eine ganze Reihe von Massnahmen und Abklärungen zu treffen, um die Berichterstattung zu durchleuchten. So solle den Polizisten «medial widerfahrenes Unrecht» geklärt und wiedergutgemacht werden. In seiner Antwort unterstützt der Regierungsrat den Vorstoss und beantragt dem Parlament eine Annahme. Dabei wiederholt die Regierung noch einmal ihre Sicht auf die Vorgänge. Er sei der Ansicht, dass die Journalistinnen und Journalisten in diesem Fall die «nötige berufliche Sorgfalt haben vermissen lassen».

«Da wurde zu wenig genau hingeschaut»

Am Dienstag kam das Geschäft nun in die parlamentarische Beratung. Die Motionärin und drei Mitunterzeichnende aus SVP, FDP und Mitte brachten im Grossen und Ganzen noch einmal vor, was Regierungsrat Müller in seiner Medienschelte schon moniert hatte. Im Kern kritisieren sie die Vorverurteilung und mediale Blossstellung eines Polizeibeamten, nicht zuletzt auch in Leserkommentaren. Dort fielen vereinzelt Begriffe wie «Mord» und «Totschlag». Eine Kritik, die Bund/BZ gelten lässt. «Da wurde zu wenig genau hingeschaut, das war ein Fehler. Die Kommentare wurden entfernt. Wir haben uns dafür entschuldigt», sagt Chefredaktor Simon Bärtschi gegenüber persoenlich.com. Die betreffenden Kommentare seien viel zu spät gelöscht worden, kritisierten dagegen die Politikerinnen und Politiker.

Im Vorfeld der Debatte im Grossen Rat stellte die Chefredaktion von Bund und BZ eine ausführliche Stellungnahme zusammen, wo sie auf alle Vorwürfe und Kritikpunkte eingeht, die sowohl Regierungsrat Müller und die Motionärin vorgebracht haben. Grossrätin Baumann gibt auf Anfrage an, dieses Dokument zur Kenntnis genommen zu haben. Ihre Ausführungen, wie auch die ihrer Kolleginnen und Kollegen, erweckten beim Zuhören aber einen anderen Eindruck. Die Ausgewogenheit und Faktentreue, die sie von den Medien einfordern, liessen sie selbst vermissen, indem sie die Position der Redaktion weitestgehend ignorierte.

Obwohl es im Rat auch Stimmen gab, die sich gegen die Motion stellten, vermochte niemand grundsätzlich zu kritisieren, dass hier eine problematische Einmischung der Politik in die Medien stattfindet und es angemessenere Wege gegeben hätte, um Fragen der Medienethik zu klären. Allerdings hätte man dafür rechtzeitig den entsprechenden Weg einschlagen müssen. Beim Presserat kann man innerhalb von drei Monaten nach Publikation eines Beitrages eine Beschwerde einreichen. Am Schluss fand sich im Berner Kantonsparlament eine klare Mehrheit, welche die Motion annahm und das vorgeschlagene Vorgehen guthiess.

«Das interessiert die Politik offenbar nicht»

Die betroffene Redaktion nimmt diesen Schritt der Politik «mit Verwunderung zur Kenntnis», wie BZ/Bund-Chefredaktor Simon Bärtschi auf Anfrage mitteilt. «Der Berner Regierungsrat und das Parlament wollen offenbar auf die Berichterstattung Einfluss nehmen und uns einschüchtern», kritisiert Bärtschi. Es sei üblich, über problematische Sachverhalte zu berichten, ohne damit ein rechtliches Urteil zu fällen, greift der Chefredaktor noch einmal den schwerwiegenden Vorwurf der Vorverurteilung des Polizisten auf. «Aber das interessiert die Politik hier offenbar nicht.»


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KOMMENTARE

Marianne Schild
13.03.2024 07:54 Uhr
Natürlich ist dieser Eingriff des Parlaments problematisch und abzulehnen. Der ordentliche Rechtsweg steht offen. Genau das habe ich als glp-Sprecherin gesagt! https://be.recapp.ch/shareparl/?agendaItemUid=ef46a4ec0c494b33ad0854986dd718fc&insiteScroll=true&scroll=false&segmentUid=65e732b5e3916e3af5d598c0
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