29.04.2003

Ulrich Tilgner -- Mitten im Feuer

Der 55-jährige Ulrich Tilgner (Bild) berichtete während des Irak-Kriegs für SF DRS und ZDF über das Geschehen in Bagdad. Weltweite Aufmerksamkeit erhielt er, als sich der ehemalige Berater Saddam Husseins, Amir al-Saadi, in Begleitung Tilgners den amerikanischen Truppen stellte. Tilgner leitet seit 2002 das ZDF-Büro in Teheran. Das Interview:
Ulrich Tilgner -- Mitten im Feuer

Ulrich Tilgner, Sie waren schon im ersten Golfkrieg 1991 in Bagdad. Was hat sich dieses Mal geändert?

1991 war von Anfang an klar, dass der Krieg Bagdad nicht erreichen wird. Natürlich gab es verschiedene Angriffe auf Wohngebiete wie jenen fürchterlichen Treffer des Amaria-Bunkers mit höchstwahrscheinlich tausend toten Frauen und Kindern -- aber die Stadt war nicht das primäre Ziel der Alliierten.

Was war für Sie in den letzten Wochen die gefährlichste Situation?

Die gefährlichen Momente konzentrierten sich auf 24 Stunden. Objektiv gesehen, war es der amerikanische Angriff auf das Hotel Palestine, in welchem hunderte von Journalisten und Technikern untergebracht waren. Im Nachhinein bestätigte sich, dass die Panzerbesatzung gar nicht wusste, wer sich im Hotel befand, und die Journalisten mit ihren Teleobjektiven mit vorgezogenen Posten der irakischen Verbände verwechselte. In der Folge sollte das Hotel von der Luft aus bombardiert werden. Erst durch die Intervention von amerikanischen Kollegen, so genannten "embedded journalists", konnte ein Massaker unter der Weltpresse verhindert werden.

Glauben Sie, dieser Angriff war ein Racheakt der amerikanischen Regierung gegenüber den Journalisten?

Wohl nicht, ich würde das weiterhin ausschliessen. Um etwas anderes könnte es sich bei den Angriffen auf die Büros von AbuDhabi-TV und Al Dschasira handeln. Es gibt keinen Hinweis, dass sich US-Soldaten dort bedroht fühlten. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass auf den Karten der US-Verbände die Positionen der Journalisten nicht eingezeichnet sind, also weder das Hotel Palestine noch die Büros der beiden arabischen TV-Sender. Für mich ist das bis heute nicht nachvollziehbar. Ob diese Unterlassung vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit passiert ist, sollte aufgeklärt werden. Wäre mir dieser Sachverhalt bekannt gewesen, hätte ich mich sicher anders verhalten, denn im Kuwaitkrieg 1991 haben die US-Soldaten die Arbeit der Journalisten zur Kenntnis genommen und sie nicht fahrlässig zu Zielen gemacht.

Verspürten Sie in einem solchen Moment Angst?

Es schwankt. Ungemütlich wurde es auch am folgenden Tag, als die Plünderungen begannen. Es war alles unorganisiert. Weil man vermutete, die ausländischen Journalisten hätten Geld, wurden sie auch ausgeraubt. Vor dem Hotel rotteten sich Jugendliche zusammen; die Situation entspannte sich erst, als die US-Panzer kamen. In dieser kritischen Phase befiel mich das Gefühl, wenn die Amerikaner jetzt nicht kommen, wird das noch katastrophal enden. Die nachfolgenden Plünderungen richteten sich nicht mehr gegen Personen, sondern gegen Gebäude.

Wie fest wurden Sie bei Ihrer Berichterstattung von den Irakern beeinflusst?

Beeinflusst wurde ich hoffentlich nicht. Sicherlich wurde ich bei meiner Berichterstattung durch meine geografische Lage in Bagdad geprägt, von der ich auch nur einen beschränkten Ausschnitt der Kriegsrealität mitbekam. Meine Berichterstattung wurde durch Vorschriften der irakischen Regierung eher erschwert denn beeinflusst.

Zum Beispiel?

So durften wir beispielsweise keine militärischen Positionen zeigen oder genaue Trefferangaben machen. Ich glaube, das war für die Zuschauer in Europa auch nicht so wichtig, ob nun der Palast A oder B getroffen wurde. Ich habe mich an die Vorgaben gehalten, weil ich bis heute überzeugt bin, dass es notwendig war, trotz Behinderungen aus Bagdad zu berichten. Darin werde ich insbesondere bestärkt, da wir uns im Vergleich zu Kollegen, die embedded waren, relativ frei bewegen konnten.

Über die "embedded journalists" ist eine heftige Diskussion entbrannt. Wie beurteilen Sie deren Arbeit?

Einem amerikanischen Kollegen wurde die Akkreditierung entzogen, weil er sich nicht an die Auflagen der amerikanischen Behörden gehalten hat. Das zeigt, dass deren Arbeitsmöglichkeiten doch sehr eingeschränkt waren. Eines ist mir aufgefallen, ich konnte von den "embedded journalists" nur wenig profitieren. Auf dem Internet konnte ich deren Arbeit für Zeitungen oder Nachrichtenagenturen verfolgen, doch die interessanten Fragen, wo sich die US-Soldaten jeweils befanden, welche Probleme sie hatten oder wie der Angriff verlief, blieben aber unbeantwortet. Das ist doch interessant. Ich hoffe jedenfalls, dass die Absicht des US-Verteidigungsministeriums, die Berichterstattung auf die "embedded journalists" zu reduzieren, gescheitert ist. Augenfällig war, dass diese Kollegen nicht berichteten, als es für die Amerikaner nicht programmgemäss lief.

Wie haben Sie den Konkurrenzdruck unter den Journalisten empfunden?

Ich habe keinen Konkurrenzdruck empfunden. Es war eine sehr angenehme Atmosphäre unter den Kollegen. Natürlich gab es ein, zwei schwarze Schafe, aber das ist doch normal. Wir tauschten bei schwierigen Arbeitsverhältnissen -- wir hatten nur beschränkt Zugriff auf Agenturen -- sehr viele wichtige Informationen aus. Nein, das Arbeitsklima war wirklich sehr kollegial.

Bevor sich der irakische Präsidentenberater Amir al-Saadi den amerikanischen Truppen gestellt hat, hat er Sie gebeten, ihn dabei zu begleiten. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?

Nein, ich habe keinen Kontakt zu ihm, da ich nicht weiss, wo er ist. Es ist ja nicht einmal bekannt, wo er inhaftiert ist. Dieser Fall interessiert mich sehr, da ich al-Saadi glaube. Er sagte mir, er hätte als ehemaliger Minister auf Pressekonferenzen nur die Wahrheit gesagt. Es wäre falsch, in ihm einen Exponenten der irakischen Führung zu sehen. So habe er niemals den Namen Saddam Hussein erwähnt, sei weder in der Partei noch beim Geheimdienst gewesen. Mit seiner Arbeit habe er nicht einem Regime, sondern dem Land dienen wollen. Bedeutsam scheint mir seine Erklärung zu sein, der Irak besitze weder chemische noch biologische Waffen. Ich weiss nicht, ob diese Aussage stimmt, zumindest ist sie hoch interessant, da sie den eigentlichen Kriegsgrund betrifft. Ich hoffe, dass ich ihn -- aufgrund meines engen Kontakts zu seiner Familie -- nochmals in der Gefangenschaft oder sonst wo zu dieser Problematik ausführlich befragen kann.

Was ist Amir al-Saadi für eine Person?

Seine offizielle Bezeichnung ist Präsidentenberater. Dabei erstaunt, dass er Saddam Hussein zum letzten Mal 1995 gesehen hat. Er hielt nicht viel vom ehemaligen Präsidenten, attestierte ihm aber die Fähigkeit, Leute am richtigen Platz einzusetzen. Al-Saadi versuchte, bei mir den Eindruck zu erwecken, dass er ein erfolgreicher Technokrat gewesen sei. So habe er unter anderem Ministerien geführt, deren Aufgabe der Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg 1991 gewesen sei. Er hatte den Rang eines Generals, ohne im Militär zu sein.

Jetzt hat der Krieg anders geendet, als viele ursprünglich angenommen haben. Sind Sie überrascht?

Der Krieg ist nicht wesentlich anders abgelaufen als ursprünglich geplant. US-Verteidigungsminister Rumsfeld hat bereits im Vorfeld von einem schnellen Einmarsch seiner Truppen und dem Zusammenbruch des irakischen Militärs gesprochen. Das ist in der Tat passiert. In den Wochen vor Ausbruch des Krieges und auch in den ersten Kriegstagen hätte ich persönlich mit erbittertem Widerstand vor Bagdad gerechnet. Dass der Zusammenbruch bereits nach der Niederlage an der Südfront erfolgte, war für mich überraschend. An den Einsatz von Chemiewaffen glaubte ich nicht, sonst wäre ich nicht geblieben. Was mich hingegen überrascht, ist die Naivität und Konzeptlosigkeit der Amerikaner beim Wiederaufbau des Landes. Für die Zukunft rechne ich mit massivem Widerstand gegen die USA, jedenfalls bin ich nicht sehr optimistisch. Ich gehe davon aus, dass Saddam noch lebt und sich im Irak, wenn nicht in Bagdad, aufhält.


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