23.05.2017

Sponsored Content

Wenn Redaktionen zu Werbeagenturen werden

Beat Krapf hat im Rahmen seiner Masterarbeit in New Media Journalism untersucht, wie gesponserte Inhalte die Strukturen, Prozesse und Rollen in den Schweizer Medienbetrieben Tamedia, Ringier, Watson und Vice verändern. Sein Fazit: «Die Transparenz und Glaubwürdigkeit des Journalismus ist gefährdet.»
Sponsored Content: Wenn Redaktionen zu Werbeagenturen werden
Dieser «Native Advertising»-Film war für kurze Zeit auf der Webseite des Verlegerverbandes und sorgte für Aufsehen. Im Clip wird erklärt, wie gesponserte Inhalte in ein redaktionelles Umfeld gelangen. Wie ein Chamäleon würden sich diese Artikel der Umgebung anpassen. (Bild: Screenshot)
von Marion Loher

Sinkende Absatzzahlen auf dem Lesermarkt und geringere Erlöse auf dem Werbemarkt stellen die Einnahmequellen klassischer Medienunternehmen in Frage. Der daraus resultierende wirtschaftliche Druck führt zu einer Suche nach neuen Werbeformaten wie Native Advertising und Sponsored Content.

Das heisst: Werbekunden sollen dafür bezahlen, als Sponsor redaktionell scheinender Inhalte auftreten zu dürfen. Über diese Formate wird viel diskutiert. Im Fokus stehen meist ethische Fragen wie die Trennung von Werbung und Inhalt sowie der Einfluss von Werbekunden auf journalistische Beiträge.

«Zerstört das Vertrauen»

Wie brisant das Thema ist, zeigt ein Beispiel von Anfang Mai. Der Verlegerverband hatte auf seiner Webseite einen «Native Advertising»-Clip aufgeschaltet (persoenlich.com berichtete). Darin wird erklärt, wie gesponserte Inhalte in ein redaktionelles Umfeld gelangen. NZZ-CEO Veit Dengler kritisierte den Erklärfilm.

«Native» – allgemein im Wortsinn und im Speziellen im Sinne des Videos – bedeute bewusste, gewollte Verwechslung von redaktionellen und gekauften Inhalten, sagte Dengler damals gegenüber persoenlich.com. «Das zerstört das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Medien.» Der Verlegerverband entfernte den Clip wieder.

Vier Medienunternehmen befragt

Für Beat Krapf* ist klar: «Sponsored Content ist in der Schweiz angekommen. Seit 2016 bieten alle grösseren Schweizer Medienhäuser entsprechende Dienstleistungen an.» Der 25-jährige Zürcher hat sich für seine Masterarbeit in New Media Journalism an der Universität Leipzig mit der Umsetzung von Sponsored Content beschäftigt. Krapf wollte herausfinden, welche Strukturen Medienunternehmen dafür aufgebaut haben, wer die gesponserten Inhalte schreibt und was der Einfluss von Werbekunden auf redaktionelle Inhalte für die Rolle betroffener Journalisten bedeutet.

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Befragt wurden vier Schweizer Medienhäuser: Tamedia, Ringier, Watson und Vice. «Letzteres sehe ich primär als Ergänzung zu den drei grossen Schweizer Playern», erklärt Krapf seine Auswahl. «Schliesslich nutzt Vice Native Advertising schon länger mit Erfolg – auch in einem internationalen Umfeld.» Die NZZ sei nicht dabei, da sie zum Zeitpunkt der Stichprobenbildung kommunizierte, keine derartigen Dienstleistungen anzubieten. Das hat sich mittlerweile geändert: Anfang 2016 formierte man an der Falkenstrasse die Abteilung «NZZ Content Solutions» (persoenlich.com berichtete).

In einem Leitfaden-Interview gaben die Verantwortlichen für Sponsored-Content-Kampagnen und die Autoren der gesponserten Inhalte Auskunft über den Aufbau, die Abläufe und die Rollen in ihrem Unternehmen.

Neues Berufsbild entsteht

Die Resultate sprechen eine deutliche Sprache. «In allen untersuchten Medienunternehmen wurden neue Strukturen aufgebaut, die denjenigen von Werbeagenturen ähneln», schreibt Krapf in seiner Masterarbeit. Dadurch werde die Dienstleistungspalette erweitert. «Mehrere Medienhäuser bieten heute nebst der Beratung von Werbekunden und der Auslieferung fertiger Werbemittel auch Konzeption und Gestaltung an», sagt er.

Der Bereich «Commercial Publishing» bei Tamedia beispielsweise sei organisiert in Beratung und Kreation. «Diese Aufteilung ist sonst typisch für Werbeagenturen. Aus der bekannten Zweiteiligkeit mit Redaktion und Verlag habe sich eine Dreiteiligkeit mit Redaktion, Verlag und Agentur im selben Betrieb entwickelt, «und das erschwert einen unabhängigen Journalismus».

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Die meisten Journalisten seien zwar nicht unmittelbar von Sponsored Content betroffen, trotzdem erfahre das journalistische Berufsbild eine Modifikation. «Es ist quasi ein neues Berufsbild entstanden», so Krapf. «Der sogenannte Brand Editor erstellt Inhalte für Marken in einem redaktionellen Stil. Er beherrscht das journalistische Handwerk, kennt sich aber auch mit Zielgruppendefinitionen aus.»

In den meisten Fällen seien dies ehemalige Journalisten, die nicht mehr für die Redaktion arbeiteten. «Eine Ausnahme ist Watson: Hier schreiben die normalen Redaktoren die gesponserten Inhalte.» Im Hinblick auf die Authentizität möge das sinnvoll sein, aus medienethischer Sicht sei es aber problematisch.

Sowohl für die Medien als auch für die Werbewirtschaft böten sich durch Sponsored Content und Native Advertising neue Möglichkeiten mit viel Potenzial, bilanziert Krapf. Aber: «Weil einheitliche Standards und Richtlinien fehlen, gefährden gesponserte Inhalte die Transparenz und Glaubwürdigkeit im Journalismus.»


*Beat Krapf arbeitet bei der Werbeagentur Megura und ist verantwortlich für den Aufbau der neuen Abteilung «Content». Er hat an der Zürcher Hochschule der Künste Cast und Audiovisuelle Medien studiert. Sein Masterstudium in New Media Journalism absolvierte er an der Universität Leipzig in Kooperation mit Hochschulen in Salzburg und Hamburg sowie der Journalistenschule MAZ in Luzern.



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