25.03.2003

"Wir sind überzeugt, unsere Glaubwürdigkeit mit dem Deal nicht verspielt zu haben"

Nach dem Einstieg der Tamedia bei 20 Minuten erschien das einzige Interview mit CEO Martin Kall (Bild) im Zürich Express, an dem Tamedia beteiligt ist. "persoenlich.com" hatte nun Gelegenheit, dem Manager weitere Fragen zu unterbreiten: Hat er gegenüber seinen Mitarbeitern kein schlechtes Gewissen? Wie ist die Stimmung bei der Express-Redaktion? Und wie stellt sich Kall zum Facts-Interview mit Express-Verlagsleiter Marius Hagger? -- Das Interview:
"Wir sind überzeugt, unsere Glaubwürdigkeit mit dem Deal nicht verspielt zu haben"

Sie waren gestern bei der Express-Redaktion. Wie war dort die Stimmung?

Natürlich war das Team über unseren Entscheid nicht erfreut. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in den letzten Wochen und Monaten mit viel Herzblut eine phantastische Leistung erbracht. Aber ich stelle auch einen hohen Grad an Professionalität fest. Schon am Freitag Abend und dann auch am Wochenende hat das Team die Weiterführung des Zürich Express vorangetrieben.

Haben Sie kein schlechtes Gewissen, nachdem Sie für dieses Projekt verschiedene Leute von guten Stellen abgeworben haben?

Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht, aber Wehmut verspüre ich schon. Ich habe Verständnis für die Enttäuschung. Die Entscheidung, den Express nicht zu lancieren, ist uns nicht leicht gefallen. Schliesslich hatten wir -- nicht zuletzt auch angesichts der Wettbewerbssituation -- immer die Absicht, ein tolles Produkt zu lancieren. Deshalb haben wir sehr gute Leute geholt. Wir haben aber auch immer gesagt, dass es nur für eine Pendlerzeitung Platz gibt. Die Flexibilität und die Risikobereitschaft, welche die Express-Mitarbeitenden an den Tag gelegt haben, honorieren wir, indem wir niemanden entlassen.

Sie versprechen neue Jobs, gleichzeitig gilt ein Anstellungsstopp. Wie lösen Sie diesen Widerspruch?

Das ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Wir hatten auch im bereits schwierigen Jahr 2002 eine Fluktuation von rund 12 Prozent. Es sollte also in diesem Unternehmen mit seinen rund 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglich sein, den Kollegen vom Express innerhalb der nächsten Monate eine adäquate Stelle anzubieten. Hier zählen wir auch auf die Solidarität der Verantwortlichen von anderen Produkten.

Während die letzte Verhandlung mit 20 Minuten lief, erschien im ebenfalls zur Tamedia gehörenden Facts ein grosses Interview mit Express-Verlagsleiter Marius Hagger. Was hatten sie da für ein Gefühl?

Wir haben bis letzten Freitag gegen Abend nicht gewusst, ob die Übernahme durchkommt. Und intensiv verhandelt hatten wir vor allem in den letzten 36 Stunden vor der Unterzeichnung der Verträge. Da war der Artikel von Facts längst in der Druckerei. Über den Artikel an sich habe ich mich gefreut. Er zeigt, dass auch unsere eigenen Redaktionen durchaus kritisch über unser Unternehmen berichten. Und die beiden Geschäftsführer Marius Hagger und Rolf Bollmann haben sich im Interview gut geschlagen.

Die Tamedia legt Wert auf Glaubwürdigkeit. Jetzt haben Sie Öffentlichkeit, Kunden und Mitarbeiter an der Nase herumgeführt. Wie begegnen Sie dem zu erwartenden Vertrauensverlust?

Unseren Kunden und der Öffentlichkeit ist es wohl gleich ergangen wie uns. Wir haben uns nämlich auch auf die Lancierung des Express gefreut. Aber wir sind überzeugt, dass wir unsere Glaubwürdigkeit, auf die wir in der Tat viel Wert legen, mit diesem Deal nicht verspielt haben. Tamedia hatte stets betont, dass im Pendlerzeitungsmarkt nur ein Produkt überleben wird. Wenn die Wettbewerbskommission dem sukzessiven Besitzerwechsel zustimmt, dann gibt es nur noch eine, hoffentlich überlebensfähige, Pendlerzeitung. Das schafft auch Sicherheit. Im Wissen, dass eine solche Übernahme immer Erklärungsbedarf verursacht, haben wir nach dem Entscheid vom Freitag Abend umgehend auch unsere Kunden und die Öffentlichkeit informiert und sehr transparent gemacht, weshalb wir uns für diese Lösung entschieden haben.

Wieviel kostet die Tamedia die Übernahme von 20 Minuten?

Über den Kaufpreis und die genauen Modalitäten der Transaktion wurde zwischen den Parteien Stillschweigen vereinbart.


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