14.10.2003

"Wird U1 ein Boulevard-Sender?"

U1 TV Station will als neuer Schweizer Privatsender demnächst loslegen. Wie wird das Programm nun aussehen? An wen richtet sich der Sender? Und wird es wie beim Vorgänger TV3 Erotik-Sendungen geben? "persoenlich.com" war in Schlieren zu Besuch bei Geschäftsführer Thomas Sadecky (links im Bild) und Chefredaktor Beni Leoni. Das Interview:
"Wird U1 ein Boulevard-Sender?"

Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass der Radio-Mann Michi Fritschi Teamleiter Sport wird. Gibt es weitere, womöglich prominente Neuzugänge?

Beni Leoni: Wir stellen regelmässig neue Leute ein, das Team umfasst mittlerweile über dreissig Kollegen. Insgesamt sind das alles frische Leute, nur bei den Schlüsselstellen setzen wir auf Profis. So gehören unsere Techniker auch international zur Spitze.

Thomas Sadecky: Zwar wird es auch ein paar bekanntere Namen geben, doch ist für uns ist Prominenz prinzipiell kein Kriterium.

Sie setzen auf PraktikantInnen. Wie wollen Sie mit Greenhorns ein Qualitätsfernsehen machen?

Thomas Sadecky: Das sind keine Greenhorns, sondern sehr gut qualifizierte Leute -- teilweise mit abgeschlossenem Studium und in praktisch allen Fällen journalistischer Erfahrung in Radio, Print oder TV --, Leute, die bei uns noch den letzten Schliff erhalten: eine Schulung in Moderation, Kameraführung sowie im Journalismus. Eine solche, nota bene internationale Ausbildung bietet in der Schweiz derzeit niemand. Es handelt sich denn auch nicht um kurzfristige Praktikanten, sondern um Volontäre. Unser Auswahlprozedere ist sehr streng, wir möchten Leute, die den Fernsehjournalismus als Lebensziel sehen. Unser motiviertes Team ist einer unserer Schlüsselfaktoren zum Erfolg. Selbstverständlich wollen wir die guten Leute nach Ablauf des Stages auch behalten. Wir beginnen zwar sehr kostenbewusst, wollen in drei Jahren aber schwarze Zahlen schreiben.

Bei Ihrer Eingabe an das Bakom haben Sie eine Programmstruktur mitgeliefert. Bleibt es dabei?

Beni Leoni: Nein, die ist unterdessen etwas abgeändert worden. Was bleibt, ist ein Vollprogramm mit täglich einer halben Stunde Nachrichten mit Wetter und Sport. Der Rest ist ein Mix aus Service, Unterhaltung, Dokus, Talksendungen, einem Sportmagazin und Shows im Reality-Bereich.

Nationale News? Bekommen Sie da nicht das "TV3-Problem", dass Sie gegen SF DRS antreten müssen?

Thomas Sadecky: Nein, wir gehen grundsätzlich unseren eigenen Weg. Wir wollen und können niemandem kopieren. In Bezug auf die News bedeutet das, dass wir keine Tagesschau machen wie das Schweizer Fernsehen, da fehlen uns Ressourcen und Korrespondenten.

Das ist noch etwas schwammig...

Beni Leoni: Die Tagesschau von SF DRS will nach eigenen Angaben weg vom Boulevard. Für uns könnte sich da ja eine Lücke auftun. Wobei wir keine Boulevard-Newssendung machen werden, eher etwas magazinhaftes. Dazu werden 15 unserer 25 redaktionellen Mitarbeiter eingesetzt.

Sie haben Shows erwähnt. Was muss man sich da vorstellen?

Thomas Sadecky: Die Reality-Shows sind allesamt Eigenproduktionen, die wir gemeinsam mit unseren Partnersendern in München und Berlin herstellen. Da gibt es schon verschiedene Konzepte, einiges ist schon in Vorbereitung -- wir sind sehr kreativ (lacht). Mehr verrate ich aber nicht, jedes Mal, wenn ich mich verplaudere, werden wir abgekupfert.

Beni Leoni: Wir haben eine breitere Definition des Begriffs "Reality", die über "Big Brother" etc. hinausgeht: Reality ist alles, was sich im Leben abspielt oder abspielen könnte. Einerseits gehen wir also zu den Menschen, an einen Sportanlass etwa. Andererseits gibt es die konstruierte Realität. Wir verstehen uns als Sender für die Leute und wollen sehr, sehr nahe zu Ihnen hin. Wir werden viele Autokilometer fahren (lacht).

U1 TV Station wird also ein Boulevard-Sender.

Beni Leoni: Fernsehen ist immer Boulevard, auch SF DRS, ZDF und ORF machen Boulevard. Wir werden noch stärker in diese Richtung gehen, was aber nicht heisst, dass wir schlechten Boulevard machen.

Wo ziehen Sie denn die Linie?

Beni Leoni: Das Kriterium ist die Würde des Menschen: Schlechter Boulevard verletzt sie aus reiner Sensations- und Quotengier.

Ihre Studiovorbesitzerin TV3 sendete jeweils nach Mitternacht Erotik-Sendungen. Wird es das auch bei U1 geben?

Thomas Sadecky: Das ist denkbar -- gut möglich. Mehr will ich hierzu nicht sagen.

Wer ist Ihr Zielpublikum?

Thomas Sadecky: Wir glauben nicht, dass jemand den Fernseher einschaltet, weil er gerade U1 sehen will. Eher will man beispielsweise einen Sporttalk sehen und findet unseren den besten. Die Zuschauer können da 12 oder 79 Jahre alt sein. Für die Kleinen haben wir wiederum jeweils um 16:00 Uhr eine Kindersendung. Dann gibt es politische Sendungen. Unser Sender ist nicht primär für Werber konzipiert, sondern für die Zuschauer. Die wollen wir in erster Linie glücklich machen, dann sind auch die Werber zufrieden.

Wieviel Einfluss nehmen Ihre österreichischen Investoren auf die Programmgestaltung?

Thomas Sadecky: Für das Programm ist bei uns allein der Chefredaktor zuständig, und der ist unabhängig.

Beni Leoni: Ich habe noch keine einzige Mail aus Wien erhalten (lacht).

Trotzdem werden Sie auf Ihre Partnersender Rücksicht nehmen müssen und Kompromisse eingehen. Wo liegt für Sie die Grenze?

Beni Leoni: Wir sind grundsätzlich zu allen Kompromissen bereit, denn im Vordergrund steht, dass es uns allen in der Gruppe gut geht. Dazu muss jeder vom Knowhow des anderen profitieren können.

U1 ist als Dreiländerfernsehen geplant. Welche Gefässe werden konkret ausgetauscht?

Thomas Sadecky: Das "Dreiländerfernsehen" haben die Medien herbeigeschrieben, ich habe mit der Bezeichnung ein bisschen Mühe. Die wichtigen Sachen machen wir selber: News oder Talk. Zudem können wir aber von den Ressourcen und dem Knowhow unserer Partner in Deutschland profitieren -- das ist ein Vorsprung gegenüber den Lokalsendern. Ein Austausch findet beispielsweise bei der Dating-Show statt. Wichtig ist aber in jedem Fall die Relevanz für die Schweiz.

Warum soll sich das deutsche Publikum für Beiträge aus der Schweiz interessieren?

Beni Leoni: Es findet zwischen unseren Ländern ein reger Austausch statt, diie beiden Länder wachsen immer mehr zusammen. Wir stellen fest, dass die Kollegen in München und Berlin darauf brennen, zu uns nach Zürich zu kommen.

Die News wollen Sie in vollkommener Eigenregie herstellen. Was tun Sie bei internationalen Grossereignissen?

Thomas Sadecky: Es wird keine internationale News geben. Im Fall von 9/11 hätten wir wohl auf CNN umgeschaltet, mitkommentiert und im Studio einen Talk einberufen. Dazu sind wir innerhalb von zehn Minuten fähig. Bei einem Uefa-Cup-Final wiederum werden wir ein Alternativprogramm für jene bieten, die sich nicht für Fussball interessieren. Oder wir suchen einen eigenen Zugang, indem wir mit dem Schweizer Bruder des Torwarts sprechen.

Die Lizenzvergabe durch das Bakom wird ungefähr für den 5. November erwartet. Wann beginnen Sie zu senden?

Thomas Sadecky: Wir möchten uns nicht auf einen Termin festlegen, erst braucht es die Lizenz. Wir wären aber in der Lage, zwei bis drei Wochen nach deren Erteilung loszulegen.

Zum Schluss die Gretchenfrage: Privatfernsehen mit nationaler Verbreitung sind bisher gescheitert. Warum sollten Sie es schaffen?

Thomas Sadecky: Diese Frage stellt nur, wer nicht gut zugehört hat. Wir machen sehr vieles anders: Wir kaufen keine Spielfilme und bezahlen auch sonst keine Lizenzgebühren. Und wir setzen auf Koproduktionen, was die Kosten ebenfalls enorm senkt. Insgesamt arbeiten wir sehr kostenbewusst. Wir eifern niemandem nach. Wenn uns etwas zu teuer erscheint, lassen wir uns nicht unter Druck setzen und machen es einfach nicht. Ausserdem haben wir für die Studios natürlich nicht den Preis bezahlt, den TV3 damals musste. Insgesamt orientieren wir uns am Vorbild der Sender in Berlin und München, wo die Belegschaft von 120 auf 50, respektive 70 Leute reduziert wurde -- mit steigenden Zuschauerzahlen.

Beni Leoni: Sehr wichtig ist auch, dass wir sehr vorsichtig budgetieren und keine unrealistischen Annahmen zum Werbemarkt treffen.

Wie hoch ist denn dieses straffe Budget?

Thomas Sadecky: 20 Mio. Franken jährlich.


Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren