06.02.2014

Akte Grüninger

"Die kontroversen Diskussionen freuen uns!"

Produzentin Anne Walser zum "Weltwoche"-Vorwurf, man habe Fakten verdreht.
Akte Grüninger: "Die kontroversen Diskussionen freuen uns!"

Mit über 12'000 Zuschauern ist "Akte Grüninger" der drittmeistgeschaute Film von vergangener Woche. Zum grossen Publikumsinteresse dürfte auch die Kontroverse in der "Weltwoche" beigetragen haben, in welcher das Köppel-Blatt den Filmemachern einige historische Ungenauigkeiten vorgeworfen hatte. Trotzdem ist Produzentin Anne Walser von C-Films euphorisch: Eine französische Fassung sei bereits in Planung.

Frau Walser, Ihr Film "Die Akte Grüninger" hatte sehr gute Medienresonanz, was sich auch auf das Publikumsinteresse auswirkte. Welche Reaktionen haben Sie von den Zuschauern erhalten: 
Das Echo auf diesen Film war überwältigend. Besonders berührend waren natürlich Reaktionen von Menschen, die einen persönlichen Bezug zur Geschichte oder zum Menschen Paul Grüninger hatten, oder die in jener Zeit die Geschehnisse an der Grenze direkt mitgekriegt haben, wie beispielsweise die Menschen im Raum Vorarlberg oder in der Ostschweiz. Sehr gefreut hat mich auch, dass der Film viele Komplimente von Jugendlichen erhalten hat. Viele haben ein Stück Vergangenheit der Schweiz kennengelernt, von der sie bis anhin nichts wussten. Gleichzeitig empfinden die Jugendlichen den Film als topaktuell, weil er sie zu Diskussionen über die aktuelle Lage der Flüchtlingspolitik inspiriert.
 
Anne Walser
 
Die Weltwoche hatte Ihrem Film im Vorfeld Ungenauigkeiten vorgeworfen. Wie hat sich das auf das Publikumsinteresse ausgewirkt?
Wir freuen uns, wenn unsere Filme kontrovers diskutiert werden. Das schafft Interesse, weckt Neugierde und inspiriert dazu, sich näher mit einem Thema, einer Geschichte auseinanderzusetzen. Das kann sich nur positiv auf die Stellung im Kinomarkt auswirken. Kritik ist immer wichtig, auch wenn sie, wie in diesem Fall, rein faktisch völlig unberechtigt ist. 
 
Trotzdem behauptete die Weltwoche, Sie hätten sich nicht an historische Fakten gehalten. So sei beispielsweise die Zahl der geretteten Juden falsch oder Heinrich Rothmund, der Chef der damaligen Fremdenpolizei, werde zu negativ gezeichnet?
Wir haben uns nicht nur an historische Fakten gehalten, sondern auch mit diversen namhaften Historikern zusammengearbeitet. Weiter umgeht der Film direkte Vorwürfe ganz bewusst. Wir haben viel Wert darauf gelegt, alle Charaktere realistisch und korrekt darzustellen und keine Schwarz-Weiss Bilder zu zeichnen. Es ist allerdings so, dass Heinrich Rothmund in seiner Funktion Hauptexponent der restriktiven Flüchtlingspolitik war. Das ist ein Fakt.
 
Polizeikommandant Paul Grüninger (Stefan Kurt) inmitten jüdischer Flüchtlinge. 
 
Die Grenze zur Schweiz ist zu. Paul Grüninger ermöglicht trotzdem hunderten von Flüchtlingen die Einreise.
 
Der Film wurde auch im benachbarten Ausland, also in Vorarlberg gezeigt. Wie haben die Menschen auf der anderen Seite des Rheins auf den Film reagiert? War die Geschichte von Paul Grüninger dort bekannt?
Paul Grüninger ist gerade im Grenzgebiet zwischen Österreich, der Schweiz und Deutschland eine bekannte Figur. Der Film ist also auch im Raum Vorarlberg sehr gut angekommen - bereits im Vorfeld wurden wir übrigens von der Region Vorarlberg stark unterstützt; der Film spielt teilweise auch dort. Allgemein gilt zu sagen, dass Grüninger weit über die Schweizer Grenzen hinaus ein Held ist. Gerade in Israel ist sein Name ein Symbol für Menschlichkeit - die Holocaust Yad Vashem (World Center of Holocaust Research) hat ihn sogar noch vor seiner Rehabilitierung in der Schweiz für seine Taten geehrt. Wir sind grundsätzlich überzeugt, dass dem Film eine lange und auch internationale Auswertung bevorsteht. 
 
Sie haben während fast fünf Jahren an diesem Film gearbeitet. Wo stellten sich die grössten Probleme bei der Realisation?
Die Realisation historischer Filme ist immer vielen Risiken und Schwierigkeiten ausgesetzt: Jede Antenne, jede Steckdose, überhaupt alles Heutige muss beseitigt und der Historie angepasst werden. Dies sorgt für viele Unkosten, die ein Film im Heute und Jetzt nicht hat. Die Finanzierung dieses Filmes war aus diesem Grund weitaus komplexer als sonst. Erst der Beizug des Koproduktionslandes Österreich verhalf uns zur Schliessung der Finanzierung. 
 
Hauptdarsteller Stefan Kurt spricht im Film perfektes St. Galler-Deutsch, obwohl dies überhaupt nicht seine Muttersprache ist. Wie haben Sie ihm dies beigebracht?
Zum einen besitzt Stefan Kurt ein unglaubliches Talent für Dialekte. Ohne diese Ausgangslage wäre dies nie möglich gewesen. Zum anderen stand Stefan ein Voice Coach aus St. Gallen zur Seite, der mit ihm über Wochen hinweg die Texte einstudiert hat. Es gab sogar Kassetten, die sich Stefan Kurt in seiner Freizeit anhören konnte. 
 
Paul Grüninger und Sidney Dreifuss (m., Anatole Taubman) fälschen die Einreisepapiere einer Jüdin und ermöglichen ihr so die Flucht in die Schweiz.
 
Untersuchungsrichter Walter Härtsch (m., Peter Jecklin) lässt Grüningers Flüchtlingslager räumen.
 
Der Film wurde in einer Rekordzeit von 23 Tagen abgedreht. Was war der Grund?
Aufgrund der sehr sorgfältigen Ausstattung und überhaupt der hohen Qualität der Inszenierung und der Darsteller, war schlichtweg kein Budget für mehr Drehzeit vorhanden. Eine kleine Korrektur: Wir hatten zusätzlich zu den 23 Drehtagen im Herbst 2012 noch Drehzeit im Frühjahr 2013. Dann wurden die Frühlings- und Flussszenen des Films gedreht. 
 
Wird der Film auch in andere Sprachen übersetzt?
Die Originalversion des Filmes ist Schweizerdeutsch-Deutsch. Eine komplett hochdeutsche Version existiert bereits und eine französische Fassung ist in Planung. Wir hoffen, dass neben der englischen Untertitelung eventuell auch eine englische Fassung erstellt wird. Dies passiert, wenn sich die internationalen Interessen konkretisieren und eine englische Untertitelung nicht ausreicht. 
 
Sie haben parallel dazu den Martin-Suter-Roman "Der Koch" abgedreht. Wann kommt dieser in die Kinos?
Der Koch wird im Spätsommer 2014 in den Deutsch-Schweizer Kinos starten. Gerade habe ich den Feinschnitt des Filmes gesehen und ich bin schon voller Vorfreude. Ein toller Film, wenn auch diametral anders als Akte Grüninger. Es ist herrlich, wenn man als Produzentin derart verschiedene Projekte betreuen und entwickeln darf. 
 
Fragen: Matthias Ackeret, Bilder: zVg

 



Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240419