21.03.2013

Tamedia

"Bei Tamedia sind keine geldgierigen Verleger am Werk"

Christoph Tonini ist seit Anfang Jahr CEO von Tamedia. Er ist, wie er selbst sagt, "ein ganz anderer Typ" als sein Vorgänger und Ziehvater Martin Kall. Inhaltlich gibt es aber kaum Unterschiede, "das wäre auch merkwürdig, schliesslich habe ich mit ihm zehn Jahre lang zusammengearbeitet." persoenlich.com hat den neuen CEO auf einer Zugfahrt begleitet: Ein Gespräch über die Paywall, die verschwiegene NZZ, den Pendlerzeitungskrieg in Dänemark, Hansi Voigts "Print-Prognostik" und den vielleicht neusten Tamedia-Aktionär: Christoph Mörgeli.
Tamedia: "Bei Tamedia sind keine geldgierigen Verleger am Werk"

Herr Tonini, heute Morgen hat die Bilanzmedienkonferenz der Tamedia stattgefunden, wir treffen uns hier im Zug auf einem geschäftlichen Transfer von Zürich nach Lausanne. Sind Sie tatsächlich so vielbeschäftigt, dass ein Interview nur auf der Fahrt stattfinden kann oder ist das eine bewusste Selbstinszenierung als "busy businessman"?
(lacht) Genau letzteres trifft zu. Nein, von mir aus hätten wir das Interview auch irgendwo anders machen können, aber heute hätte es nicht geklappt. Ich habe gerade gestern meiner Familie gesagt, dass der heutige Tag wohl mein bisher anstrengendster als CEO sein wird. Ich bin von morgens bis abends um zwölf Uhr ausgebucht.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino meinte, die Ablösung zwischen Martin Kall und Ihnen als Tamedia-CEO sei "harmonisch" und "perfekt" abgelaufen. Kall war Ihr Ziehvater, mit ihm haben Sie jahrelang zusammengearbeitet. Worin unterscheiden Sie sich von ihm?
Ich schätze Martin Kall sehr und bin froh, dass ich so lange mit ihm zusammenarbeiten durfte. Ich bin aber sicher ein ganz anderer Typ.

Was für ein Typ sind Sie denn?
Ich habe tendenziell einen engeren Draht zu vielen Mitarbeitern bei Tamedia, als dies Martin Kall hatte. Das liegt massgeblich an meinem Werdegang: Ich habe in fast allen Unternehmensbereichen gearbeitet und so sehr viele Leute persönlich kennengelernt. Was aber die strategische Ausrichtung von Tamedia anbelangt, so habe ich keine Differenzen mit Martin Kall. Das wäre auch merkwürdig, schliesslich habe ich mit ihm zehn Jahre lang zusammengearbeitet. Deshalb bleibt die Kontinuität, wie das Herr Supino angesprochen hat, für das Unternehmen gewahrt. Ich musste mich nicht speziell in meine neue Aufgabe einarbeiten, Leute kennenlernen - es war vielmehr ein fliessender Übergang.

Lassen Sie uns erst einmal über den "Tages-Anzeiger" und "20 Minuten" sprechen. Wann kommt die Tagi-Paywall?
Die Zielsetzung ist nach wie vor, die Paywall im Dezember 2013 aufzuschalten. Das ist ein sportliches Ziel, aber wir glauben nach wie vor, dass wir bis dahin bereit sein werden.

Sie äusserten sich dahingehend, dass Tamedia die Lancierung der NZZ-Paywall beobachtet habe. Welche Erkenntnisse haben Sie aus Ihren Beobachtungen gezogen?
Die NZZ ist sehr restriktiv, wenn es darum geht, Informationen preiszugeben, wie ihre Paywall gestartet ist. Ich habe dafür ein gewisses Verständnis, aber für uns wäre es natürlich interessant zu wissen, was die ersten Erkenntnisse sind. Gewisse Fehler bräuchten wir so nicht auch noch einmal zu machen. Wer die Paywall wie umsetzt, ist letztlich ja nicht entscheidend, denn wie eine Paywall funktioniert, ist dem Nutzer völlig egal. Der Leser entscheidet sich nicht für eine Paywall vom Tagi oder von der NZZ, sondern für journalistische Inhalte. Was uns die zurückhaltende Informationspolitik der NZZ sicher zeigt, ist, dass es nicht so einfach sein wird, beim Nutzer Akzeptanz für eine Bezahlung der Online-Inhalte zu schaffen.

War es kein Thema, die Paywall mit der NZZ gleichzeitig zu lancieren?
Wir setzten beim "Tages-Anzeiger" mit Newsnet anfänglich auf eine Reichweitenstrategie, die auch funktionierte und rentabel wurde. Die NZZ hingegen hat schon früh gemerkt, dass eine solche Reichweitenstrategie für eine Zeitung mit ihrer Positionierung keine Option ist und hat dementsprechend schon früher ernsthaft eine Paywall in Betracht gezogen. Als wir bemerkten, dass die Displayerlöse, die jahrelang angestiegen sind, langsam stagnieren, sind wir vom reinen Reichweitensystem abgerückt. Da war die NZZ mit der Lancierung ihrer Paywall aber bereits weiter vorangeschritten. Dazu kommt, dass es seitens NZZ, wie gesagt, bisher am Willen zum Informationsaustausch fehlte.

Pietro Supino sieht in den Online-News der SRG eine Konkurrenz für die Online-Inhalte des "Tages-Anzeigers". Gefahr droht aber wohl vor allem hausintern von "20 Minuten". Eine Paywall für den Tagi, Gratis-News auf "20 Minuten" – wie passt das unter ein Dach und wie schaffen Sie es, dass die Online-Leser vor den Bezahlinhalten des "Tages-Anzeigers" nicht einfach auf 20 Minuten Online ausweichen?
Diese Frage haben wir schon vor zehn Jahren bezüglich der Print-Welt gehört: "Wie kann man unter einem Dach gleichzeitig eine Bezahl- und eine Gratis-Zeitung anbieten? Die Gratiszeitung ist doch ein Angriff auf das Bezahlprodukt."

Das ist sie ja auch.
Es hat sich jedenfalls gezeigt, dass wir die Leserschaft des "Tages-Anzeigers" relativ stabil halten konnten. Die beiden Medien befriedigen völlig unterschiedliche Bedürfnisse. Mit "20 Minuten" liefern wir eine sehr kompakte, auf News basierte Information, die innert kürzester Zeit einen Überblick verschafft. "Tages-Anzeiger" und "Bund" wiederum bieten umfassende vertiefte Hintergrundinformationen. Auch im Netz werden diese unterschiedlichen Lesebedürfnisse spielen. Eher oberflächliche News werden im Internet immer gratis zur Verfügung stehen, ob sich darum die SRG oder jemand anders kümmert. Der Vorteil von "20 Minuten" ist, dass diese Kurzinfos mit unterhaltsamen Elementen angereichert werden. Unzulässig wäre, wenn die SRG mit ihren Ressourcen anfangen würde, Hintergrundberichterstattungen online zu stellen. Dann würde tatsächlich ein Konkurrenz-Umfeld entstehen, bei dem nicht mehr alle Anbieter über gleich lange Spiesse verfügen.

Müssen "Tages-Anzeiger" und "20 Minuten" in ihren Profilen noch schärfer werden? Muss "20 Minuten" entsprechend noch boulevardhafter werden?
Dieser Prozess kommt ganz von alleine in Gang. Beim "Tages-Anzeiger" werden neu die gesamten Print-Inhalte im Netz stehen. Die Redaktion muss sich keine Gedanken mehr machen, was gratis und was bezahlt ist. Das Profil des "Tages-Anzeigers" wird dadurch im Netz geschärft. Denn, es war tatsächlich schwierig, mit zwei getrennten Redaktionen eine gemeinsame Medienmarke zu schaffen. Die konvergente Redaktion bietet nun eine Riesenchance, sich als ein Team zu präsentieren und die gesamten Informationen auf verschiedenen Kanälen zu spielen. Die Marken werden sich so ganz von selbst voneinander entfernen, denn im Netz sind sich "20 Minuten" und der "Tages-Anzeiger" in der Vergangenheit tatsächlich zu ähnlich geworden.

Im "Sonntag" stellte Hansi Voigt die Prognose auf, "20 Minuten" werde nur noch vier Jahre als gedruckte Ausgabe erscheinen, der Tagi noch zehn bis fünfzehn Jahre. Teilen Sie diese Einschätzung?
Man müsste Hansi Voigt fragen, wieso er dem Tagi eigentlich eine längere Lebensdauer in Aussicht stellt (lacht). Hansi Voigt liebt provokative Aussagen, die kommen natürlich auch immer gut an. Aber es ist eindeutig, dass die Quersubventionierung bei "20 Minuten" von Print zu Online stattgefunden hat, und nicht umgekehrt, wie das Hansi Voigt in dem erwähnten Interview beschreibt. Der Aufbau von 20 Minuten Online konnte nur dank der Pendlerzeitung stattfinden. Ich bin überzeugt, dass Print noch weit über den von Hansi Voigt prognostizierten Zeitraum hinaus existieren wird.

Voigt kritisiert auch die Verlegerfamilien, die "enorm hohe Renditen" erwarten würden und sich von den guten alten Zeiten, in denen sie "wählen konnten, ob sie Zeitungen oder lieber Geld drucken wollten" nicht recht verabschieden können. Müssten die Mehrheitsaktionäre bei Tamedia angesichts des "konjunkturellen Gegenwinds" und der "strukturellen Verschiebungen" - wie Sie sich ausdrückten - nicht mehr Bescheidenheit an den Tag legen und auf Rendite verzichten?
Man muss berücksichtigen, wieso es diese Renditeziele überhaupt gibt. Ohne diese Ertragskraft hätte Tamedia in den letzten Jahren nicht nach Bern, nach Lausanne, ins Tessin oder nach Dänemark expandieren können. Bei Tamedia sind keine geldgierigen Verleger am Werk. Wenn man als Unternehmen in diesem Medienwandel erfolgreich sein will, braucht es die Fähigkeit, aus einer Position der Stärke Chancen wahrnehmen zu können. Jobs.ch war beispielsweise eine sehr teure Transaktion. Wenn wir in der Vergangenheit nicht immer substantielle Gewinne geschrieben hätten und weiterhin solche in Aussicht hätten, wäre eine solche Investition unmöglich gewesen.

Der Kauf von Jobs.ch wäre in der Terminologie Ihres ehemaligen Arbeitsnehmers Voigt "Dot-Com-Bingo", der Kaufpreis von 390 Millionen Franken war ja auch tatsächlich sehr hoch.
Man kann nicht ohne Risiko in ein profitables Digital-Geschäft investieren. Wir müssen etwas riskieren, ohne die Bereitschaft dazu, werden wir unsere Geschäfte nie weiterentwickeln können. Wenn wir beispielsweise mit "MetroXpress" in Dänemark die grösste Pendlerzeitung schaffen wollen, gehen wir ein hohes Risiko ein. Sollte es schiefgehen, wider Erwarten und obwohl wir alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt haben, so wäre das sehr schade, aber es würde Tamedia nicht umhauen. Wir sind gut aufgestellt. Für die Medienunternehmen, die traditionell aus dem Verlagsgeschäft kommen, ist dieser Mentalitätswechsel zweifellos schwierig. Früher investierten Medienhäuser in eine Zeitung und anschliessend entwickelte sich ihr Geschäft während hundert Jahren relativ stabil. Die heutigen Investitionszyklen sind viel kürzer. Es ist heute effektiv so, dass kein Mensch weiss, wie die Rubrikenmärkte in zehn Jahren funktionieren werden. Deshalb zu verzagen und nichts zu versuchen, wäre aber völlig falsch.

Einige Hoffnungen setzen Sie darauf, das Pendlerzeitung-Modell von "20 Minuten" in andere Länder zu tragen. Im April lancieren Sie "MetroXpress" in Dänemark. Welche Erwartungen haben Sie an dieses Projekt?
In Dänemark scheint jeglicher Glaube an die Zeitung und insbesondere an die Gratiszeitung verloren gegangen zu sein - wir sehen das anders. Vor einigen Jahren herrschte in Dänemark geradezu eine Gratiszeitungseuphorie, die zu einem eigentlichen Krieg unter den Gratiszeitungen führte. Es gab bis zu sechs Gratiszeitungen und die Investoren dahinter haben sich alle eine blutige Nase geholt, desillusioniert sind alle wieder vom Markt verschwunden. Momentan glaubt in Dänemark niemand an das Gratiszeitungsmodell und wir können zu relativ günstigen Konditionen in den Markt einsteigen. Wir glauben daran, dass eine Gratiszeitung in Dänemark funktioniert. Das Risiko verglichen zu Jobs.ch ist hier ein anderes: Bei Jobs.ch ist die Frage, ob wir den hohen Preis refinanzieren können, bei "MetroXpress" stellt sich die Frage, ob Dänemark wie der Schweizer Markt funktioniert oder wir uns verschätzt haben. Wir glauben aber, wenn man in Dänemark konsequent eine junge Zielgruppe anspricht und die Reichweite massiv erhöht, dass eine solche Zeitung auch in diesem Land sehr profitabel sein kann.

Warum sollte es Tamedia in Dänemark besser ergehen als den anderen Gratiszeitungs-Euphorikern, die allesamt ausgeschieden sind? Ist das Know-how entscheidend oder die finanzielle Power, um alle anderen auszuschalten?
Ausschalten müssen wir in Dänemark keine Marktteilnehmer mehr, die sind alle schon weg, das macht das Land für uns auch so attraktiv. Aber in einem Markt, in dem ein Wettbewerb besteht, ist diese Power ein absolutes Killerkriterium. Pendlerzeitungen leben von einer hohen Reichweite. Man muss den anderen Marktteilnehmern deshalb glaubhaft machen, dass am Schluss nur ein Angebot übrig bleiben wird. Ein solcher Wettbewerb kostet viel, das haben wir in der Westschweiz gesehen, als wir uns mit "20 minutes" gegen "le matin bleu" durchsetzen mussten. Unsere Vorgänger in Dänemark versuchten eine Art "Tages-Anzeiger-Light" zu kreieren - das funktioniert im Pendlerzeitungsgeschäft nicht.

Welche Länder kämen für Ihr Gratiszeitungs-Modell denn noch in Frage?
Ich möchte nicht über konkrete Länder spekulieren. Sollte die Pendlerzeitung in Dänemark funktionieren, haben wir aber schon noch einige Ideen parat. Es wäre ja merkwürdig, wenn die Schweiz, Luxemburg und Dänemark die einzigen Länder wären, in denen Pendlerzeitungen funktionieren! Soviel ist jedenfalls sicher, wir haben keine Pläne ausserhalb Europas.

Sie setzen am Sonntagsmarkt, aber auch im digitalen Bereich stark auf Kooperationen. Hat die Presse- und Meinungsvielfalt in Ihrem unternehmerischen Denken überhaupt einen Platz?
Wir sind kein Selbsthilfeverein, wenn wir Kooperationen eingehen, machen wir das immer auch mit einem wirtschaftlichen Interesse für Tamedia. Aber ich bin völlig überzeugt, dass Kooperationen für die ganze Branche in den nächsten zehn Jahren wichtiger werden, als sie es bisher waren. Intelligente Kooperationen sichern die Finanzkraft und Eigenständigkeit der jeweiligen Partner. Wir wollen die Zeitungen unserer Partner nicht übernehmen, aber wir sind motiviert, wenn wir in den industriellen Bereichen zusammenarbeiten können. Intern haben wir diese Möglichkeiten bereits weitgehend ausgeschöpft. Mit Kooperationen können auch andere Partner von unseren Grössenvorteilen, etwa beim Druck, profitieren. Das nützt beiden Seiten. Wenn ich etwa von Freiburger Politikern höre, dass die Unabhängigkeit ihrer Presse gefährdet sei, weil sie nicht mehr in Fribourg gedruckt werde, bekomme ich wirklich graue Haare. Das ist so paradox.

Zum Schluss: Sie haben gemäss dem "Sonntags-Blick" einen neuen Aktionär gewonnen - Christoph Mörgeli. Werden ihm für seine Aktie dieses Jahr auch schon die 4.50 Franken ausgeschüttet?
Ja, wenn er die Aktie gekauft hat, dann kriegt er das Geld. Ich hoffe, er reinvestiert es in Tamedia (lacht).

Er kündigte für die Aktionärsversammlung eine Rede an. Mit welchen Gefühlen schauen Sie dieser entgegen?
Alle Aktionäre sind eingeladen, sich an der Aktionärsversammlung zu Wort zu melden, wenn sie das möchten – das gilt natürlich auch für Christoph Mörgeli.

Interview: Benedict Neff, Bild: Keystone



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