14.10.2014

Blick

"Wir schreiben, was gut ist für unser Land"

55 Jahre: Diesen Schnapszahl-Geburtstag nahm der "Blick" am Dienstag zum Anlass, sich auf einer Doppelseite von der Schweizer Polit- und Wirtschaftsprominenz zum "Jubiläum" gratulieren zu lassen. Doch herrscht im Newsroom trotz sinkender Leserzahlen tatsächlich Party-Stimmung? Im Interview mit persoenlich.com blickt René Lüchinger auf seine ersten zehn Monate als Chefredaktor zurück. Zudem spricht er über die politische Positionierung des Boulevard-Blatts und er fordert von der Wemf eine zeitgemässe Leserzahl-Erhebung.
Blick: "Wir schreiben, was gut ist für unser Land"

Herr Lüchinger, warum sind 55 Jahre "Blick" ein Grund zu Feiern?
Warum sollten wir nicht feiern? Das ist doch ein halbrunder Geburtstag! (lacht)

Sie sind also in Partylaune – trotz massiven Leserverlusten. Der "Blick" verlor laut Wemf im Vergleich zum Vorjahr 19'000 Leser.
Alle Print-Titel verzeichnen Leserverluste. Man muss aber bedenken, wie viele Leser die Marke "Blick" erreicht! Wenn wir alle Leser unserer Titel – "Blick", "SonntagsBlick", "Blick am Abend", blickamabend.ch und blick.ch – zusammenzählen, kommen wir auf etwa drei Millionen Schweizerinnen und Schweizer pro Woche. So viele Leute hat der "Blick" in seiner 55-jährigen Geschichte noch nie erreicht. Meiner Meinung nach sollte die Wemf nicht nur Print erheben, sondern alle Kanäle zusammenzählen. Unsere publizistischen Leistungen werden ja auf unterschiedlichen Kanälen konsumiert – auch und immer öfter Online. Die aktuelle Zählweise entspricht einfach nicht mehr der Realität und ist darum nicht mehr zeitgemäss.

Sie sind seit Anfang Jahr "Blick"-Chefredaktor. Welches ist das grosse Thema, das Sie in Ihrer Amtszeit lancieren konnten?
Ich will hier nicht eine einzelne Geschichte herausgreifen, denn man muss das journalistische Gesamtangebot betrachten. Im klassischen Boulevard und im Sport sind wir so stark wie eh und je, zudem konnten wir in Politik und Wirtschaft an Visibilität und Relevanz zulegen, wie Feedbacks von Lesern und Politikern oder Wirtschaftsvertretern zeigen.

Was haben Sie sich vor dem Start anders vorgestellt?
Mich überrascht, welche Kraft die Marke "Blick" hat. Wenn man ein Thema wirklich konsequent durchzieht und auf verschiedenen Kanälen spielt – Online und auch im SoBli – hat das eine sehr grosse Wirkung. Das war mir im Vorfeld nicht so bewusst und hierin sehe ich Potential und einen wichtigen Vorteil gegenüber unseren Konkurrenten: Keine zweite Publikation in der Schweiz verfügt über zwei Online- und drei Printkanäle.

In den letzten Wochen beziehen immer mehr Zeitungen Position in der Europa-Frage. Was ist hier vom "Blick" zu erwarten?
Seit Annahme der MEI ist die EU-Debatte das wichtige und entscheidende innenpolitische Thema. Der "Blick" wird einige Erklärstücke liefern, etwa zu folgenden Fragen: Welches sind die Konsequenzen bei einer harten Begrenzung der Einwanderung? Was bedeutet eine Annahme der Ecopop-Initiative? Dazu wir eine klare Haltung: Ohne die Bilateralen hat die Schweiz ein massives Problem. Die Schweiz kann nicht überleben in einem vertragslosen Zustand gegenüber unserem grössten Exportmarkt. Solche Zusammenhänge müssen wir unseren Lesern erklären.

Der "Blick" positioniert sich also eher "europaphil".
Mit "europaphil" hat das nichts zu tun. Persönlich sehe ich heute keinen Grund für einen EU-Beitritt. Aber: Eine offene Gesellschaft mit einer exportorientierten Industrie kann sich gegenüber ihren Nachbarn nicht abschotten! Das ist für mich unbestritten. Historisch gesehen, gründet unser Wohlstand auf dem Rezept der Weltoffenheit. Wir wären ja bescheuert, wenn wir das aufgeben würden!

Wo steht der "Blick" politisch?
Der Blick steht keiner Partei nahe. Wir nennen uns "Tageszeitung für die Schweiz". Und genau darum geht es: Wir schreiben, was gut ist für unser Land. Kritisieren, was nicht gut ist für unser Land. Man kann das auch Pragmatismus nennen. Linke sagen mir, wir seien rechts, zu rechts. Rechte sagen mir, der "Blick" sei zu linkslastig. Wenn beide Seiten das sagen, liegen wir in etwa richtig.

Es ist doch gefährlich, wenn der Leser nicht weiss, wo seine Zeitung politisch steht.
Wo steht das geschrieben? Schauen Sie, ein Leser will von seiner Zeitung überrascht, unterhalten und manchmal auch genervt werden. Es wäre ein Fehler dem Leser einfach nach dem Mund zu schreiben. Das produziert nur Langeweile. Und Lageweile ist tödlich im Zeitungsbusiness. 

Überraschend wäre dann Ihrer Ansicht nach die Berichterstattung über den Eritreer, der eine Aargauerin verletzt hatte. 
Wenn ein Asylbewerber eine Frau überfällt, ist das doch ganz klar eine Geschichte, die wir bringen. Am zweiten Tag brachten wir dann das Bild der Verletzten.  Auch, weil die Frau damit einverstanden war und mit dem Foto auf ihr Schicksal aufmerksam machen wollte.

Die "Wochenzeitung" und Watson etwa werfen Ihnen vor, diesen Vorfall dramatisiert zu haben und eine "üble Medienkampagne" zu fahren.
Wir werden halt liebevoll von der Konkurrenz beäugt. Die schrieben sinngemäss: Wir hätten zu Ausländerhass aufgerufen durch unsere Berichterstattung. Was absurd ist. Wir haben geschrieben, dass die Tat von einem Asylbewerber aus Eritrea verübt worden ist, der seit kurzem in der Schweiz war. Dazu kommentierten wir, dass keiner diese verwerfliche Tat eines einzelnen Asylbewerbers zum Anlass nehmen darf, Fremdenfeindlichkeit und Unmenschlichkeit zu propagieren. Klarer geht es wohl nicht. Was hat unsere liebe Konkurrenz daraus gemacht? Sie schrieben sinngemäss: Wo ist das Problem? Der Täter würde in der Schweiz abgeurteilt und bestraft. Da wird Ursache und Wirkung einfach vertauscht. Wer handelt hier journalistisch unredlich?

Eine solche Tat hätten Sie auch als kurze Meldung abhandeln können. Warum gaben Sie dem Vorfall so grosses Gewicht?
Das Gewicht dieser Story ist nicht höher als bei anderen, vergleichbaren Fällen. Dass die Geschichte interessiert hat, zeigten auch die Leserkommentare.

Zur Affäre Geri Müller: Hat es Sie im Nachhinein gewurmt, dass Sie die Geschichte nicht selber lanciert hatten, sondern erst nach der "Schweiz am Sonntag" darüber berichteten?
Nein. Ich habe damals geurteilt, dass sie nicht an die Öffentlichkeit gehört, weil ein Chat zwischen zwei Personen Privatsache ist. Ich habe das seinerzeit auf Anfrage von persoenlich.com in einem Satz öffentlich gemacht. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Und nochmals zum Jubiläum, wie feiern Sie? Hat Ringier Kunden zum Geburtstagsfest eingeladen oder offerieren Sie allen Mitarbeitern Freibier und Gratis-Champagner?
Nein. Wir sind bescheiden. Mit dem kleinen journalistischen Stück im heutigen "Blick" haben wir die Welt über unseren 55. Geburtstag informiert. Und: That’s it.

Interview: Edith Hollenstein, Bild: Ringier



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