16.05.2014

Buzzfeed

Von Kätzchen und Krisengebieten

Die amerikanische Online-Plattform Buzzfeed ködert Millionen Leser mit putzigen Tierbildchen – und will jetzt auch ein seriöses Nachrichtenportal werden. Wie das gelingen soll, hat uns Vice President Scott Lamb am Rande des Swiss Media Forum vom 8. und 9. Mai erklärt. Ausserdem spricht er über seine Deutschlandpläne, die Schweizer Buzzfeed-Kopien und seinen "brillanten Chef" Jonah Peretti.
Buzzfeed: Von Kätzchen und Krisengebieten

Mister Lamb, Sie arbeiten bei Buzzfeed. Sie lieben Listen und seit einiger Zeit auch Quiz. Ich bin laut Buzzfeed Kirsch-Eiscreme. Welche Sorte verkörpern Sie?
Ich bin wohl Mint chocolate chip, eine interessante Mischung, die gut schmeckt. Solche Quiz sind für Buzzfeed im Moment sehr wichtig. 2009 habe ich das erste Quiz lanciert mit dem Titel "What Pirate are you?". Aber es hat bis 2014 gedauert, um dieses Format zu perfektionieren. Wir haben immer geahnt, dass Quiz ein grosses Thema sind: Inhalte, die etwas über den Leser aussagen, werden gerne geteilt. Haben Sie Ihr Eiscreme-Resultat geteilt?

Nein. Ich fand es nicht besonders relevant, der Welt mitzuteilen, dass ich aufgrund meiner Persönlichkeit am ehesten Kirsch-Eiscreme sein soll.
Aber viele Leute würden das tun! Das erste richtig erfolgreiche Quiz ging der Frage nach, in welcher Stadt man eigentlich leben sollte. Jede Zeitung publiziert regelmässig Artikel über die Städte mit der besten Lebensqualität. Anstatt nur eine Liste mit Fotos zu erstellen, haben wir den Leser in den Mittelpunkt gestellt und gefragt, wo er aufgrund seines Charakters und seiner Vorlieben leben sollte. Der Inhalt wurde so modifiziert, dass man ihn gerne in sozialen Netzwerken teilt: Die Leser wollen sich persönlich ausdrücken und nicht bloss konsumieren.

Dann ist für Sie der eigentliche Inhalt weniger wichtig als dessen Aufbereitung?
Beides ist gleich wichtig. Aber es ist ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen News-Publikationen. Wir überlegen uns immer, was der Leser mit einer Geschichte macht.

Sie machen vor allem Listen. Am Swiss Media Forum haben Sie mit Hansi Voigt und Peter Röthlisberger diskutiert. Ich nehme deshalb an, Sie kennen Watson, blickamabend.ch und weitere Seiten, die Buzzfeed zum Vorbild haben. Welche deutschsprachigen Web-Angebote sind Ihre Top 5? Machen Sie mir ein "Spontan-Listicle"?
Ich kenne Watson, Storyfilter, heftig.co und blickamabend.ch. Jemand hat mir gerade eben vom LikeMag erzählt, ich habe es mir aber noch nicht genauer angeschaut. Es wäre deshalb unfair, hier eine Liste zu machen.

Aber klar wird: Mit all diesen Portalen, die Sie eben selber aufgezählt haben, gibt es bereits eine Menge Buzzfeed-Kopien im deutschsprachigen Raum. Sind Sie mit dem Original schon zu spät?
Ich glaube nicht. Dass alle versuchen, ähnliche Projekte zu lancieren, zeigt doch, dass das Modell funktioniert. Was uns unterscheidet: Wir haben eine fortschrittliche Technologie-Plattform und ein sehr grosses Entwicklerteam. Das gibt uns einen Vorsprung. Wir haben viel mehr Daten, mit denen wir arbeiten können, die Seiten sind gut optimiert. Und ganz wichtig: Wir produzieren auch News. Wir haben Korrespondenten in der Ukraine, in Syrien, Nairobi oder Istanbul und somit einen Bereich mit Hard News und seriösem Journalismus. Das ist interessant für die deutsche Leserschaft.

Wann starten Sie denn nun in Deutschland?
Ich hoffe, dass es in den nächsten Monaten soweit ist. Wir haben aber ein fixes Datum, weil es noch einige Dinge zu regeln gibt. 

Zum Beispiel wer die Redaktionsleitung übernimmt.
Wir sind bereits in Gesprächen, ich kann aber noch keine Namen nennen.

Ich liebe Berlin. Was muss ich können, damit Sie mich einstellen? Muss ich etwas von Journalismus verstehen oder reicht es, wenn ich Kätzchen und Kuriositäten mag?
Katzen zu mögen, reicht natürlich nicht. Aber es ist ein guter Anfang! Wir suchen Generalisten, die über Kultur, Sport, Politik und viele weitere Themen schreiben können. Am wichtigsten: Unsere Mitarbeiter müssen Dinge schreiben können, welche die Leser teilen wollen. Es geht also nicht nur um die Informationen. Buzzfeed-Geschichten müssen unterhaltend, emotional und witzig erzählt werden. Dafür braucht eine etwas andere Denkweise.

Gibt es denn ein Rezept, wie eine Story aufgebaut sein muss, damit sie geteilt wird?
Alles, was den Leser und seine Persönlichkeit betrifft, wird geteilt. Es gibt kein Patentrezept, aber Ideen: Regionale Identität ist ein Faktor, der sicher auch in der Schweiz funktionieren wird.

Sie sind 2007 zu Buzzfeed gestossen, sind also fast seit dem Anfang dabei. Haben Sie damals geahnt, dass Buzzfeed einmal so erfolgreich werden könnte?
Nein. Jonah Peretti holte mich damals zu Buzzfeed. Jonah ist brillant, ich wollte schon immer einmal mit ihm zusammenarbeiten. Ich ging also vor allem seinetwegen zu Buzzfeed. Ich habe natürlich an das Projekt geglaubt, dass der Erfolg aber einmal so gross sein wird, habe ich mir nicht träumen lassen. Ich bin studierter Journalist und habe Buzzfeed zu Beginn nicht als Journalismus eingestuft. Artikel hatten einen Titel, einen Teaser und Links zu anderen Seiten. Der Inhalt war dürftig. Ich finde es deshalb toll, dass wir jetzt auch längere Geschichten und Hard News machen.

Warum investieren Sie derzeit so stark in Intestigativ-Journalismus, wenn doch die Listicles so gut funktionieren?
Etwa im Jahr 2011 haben wir gemerkt, dass wir bereits sehr gut im Produzieren von emotionalen und lustigen Inhalten sind. Lange waren es auch die einzigen Inhalte, die man über die sozialen Netzwerke teilte. Aber plötzlich beobachteten wir, wie Leute begannen, News zu teilen. Wir hatten aber keine Kapazität, um solche zu schreiben. Darum investieren wir nun in Journalismus. Insbesondere investigativer Journalismus ist sehr sozial: Wenn ein Skandal aufgedeckt wird, verändert das die Art, wie wir die Welt anschauen. Leute teilen sowas gerne, es hat eine richtige Macht im sozialen Web.

Dann berichten Sie bald über soziale Ungerechtigkeiten in Listenform? Wie wollen Sie die Geschichten darstellen, damit sie sich vom Kätzchencontent abheben?
An der Darstellung arbeiten wir zurzeit mit unserem Team. Unsere Journalisten werden deshalb in der nächsten Zeit wohl keine gewaltigen Geschichten publizieren. Wir haben auch ein grosses Entwicklerteam, das am CMS arbeitet. Sie sind ebenfalls daran, gute Formate zu entwickeln für solche Geschichten. Diese müssen auch auf Mobile funktionieren, was insbesondere bei umfangreichen Artikeln eine grosse Herausforderung ist. Vielleicht werden wir einige Geschichten in Listenform präsentieren, wer weiss, das haben wir auch schon gemacht. Das Interessante am heutigen Journalismus: Es gibt gerade Explosion an möglichen Formaten, wie man etwas darstellen kann.

Aber interessiern sich typische Buzzfeed-Leser überhaupt für seriöse Berichterstattung aus Krisengebieten? 
Wir haben kein klares Bild davon, wer oder was ein typischer Buzzfeed-Leser ist. Wir fokussieren zudem nicht so stark auf unsere Frontpage, wichtiger für uns sind Social-Media-Plattformen. Die Storys müssen ihre Leser anderswo im Web finden. Leser kommen weniger direkt auf buzzfeed.com, den meisten Traffic generieren wir derzeit via Facebook. Wir versuchen jedoch, unsere Kanäle zu diversifizieren, um uns nicht von einem Kanal abhängig zu machen. Facebook schraubt immer wieder am Newsfeed-Algorithmus, die letzte Änderung hatte für viele Verlage in den USA negative Auswirkungen auf den Traffic.

Ist es denn nicht generell ein Problem für eine Marke, wenn sie keine Stammleserschaft hat, sondern voll auf Social Media setzt? Insbesondere, wenn sie eine seriöse Newsseite werden möchte. 
Eine Stammleserschaft wollen wir eben genau durch seriösen Journalismus gewinnen! Wenn Leser unsere Primeurs toll finden, sind sie neugierig, was wir sonst noch bieten. Seit wir in Hard News investieren, steigt unser Frontpage-Traffic. Wir wollen einen Mix aus beidem: Bei manchen Geschichten ist es uns auch egal, wenn jemand nur einmal darauf klickt. Wir haben 130 Millionen Unique Visitors pro Monat. Unsere Analyse-Instrumente zeigen uns aber auch, welche Story wo und wie oft geteilt wurde. Diese Metrik ist derzeit noch nicht weit verbreitet. Es gibt also noch nicht eine beglaubigte, wirklich zuverlässige Messung. Bei umfangreichen Geschichten interessiert uns, wie lange sie gelesen wird und wie weit Leser herunterscrollen. Je nach Story sind andere Messgrössen wichtig.

Der "Spiegel" schrieb jüngst, dass Buzzfeed und Co. durch Native Advertising zu einer grossen Konkurrenz für etablierte Medien im Kampf um knappe Werbebudgets werden. Sollten auch die NZZ oder der "Tages-Anzeiger" auf Native Advertising setzen?
Klar. Es kommt immer auf die Umsetzung an. Die New York Times macht beispielsweise auch Native Advertising. Jede Zeitung sollte es einfach einmal ausprobieren. Es ist natürlich einfacher für neue Plattformen, die von Null beginnen. Ihre Marke ist neu, sie sind flexibel. Für die traditionsreiche NZZ ist das eine ganz andere Geschichte.

Irgendwann hat doch jeder genug von Katzen. Ist Buzzfeed nur ein Hype, der in ein paar Jahren wieder verschwindet?
Ich glaube nicht, dass Buzzfeed ein Hype ist. Denn wir sind überzeugt davon: Es liegt in der Natur des Menschen, sozial zu sein und Dinge zu teilen. Wir sind in einer Zeit, wo neue Technologien alles verändern. Vielleicht ist Facebook in ein paar Jahren nicht mehr die erfolgreichste Plattform, vielleicht gibt es neue Formate. Aber die Vorstellung, dass wir Geschichten mit Freunden teilen wollen und dadurch mit ihnen Kontakt pflegen, wird sich nie ändern. Wir bei Buzzfeed wollen ein grosses, globales Medienunternehmen aufbauen. Ich glaube, dass es im Moment einige Web-Publikationen gibt, die in 20 bis 30 Jahren sehr grosse und nachhaltige Medienkonzerne sein werden. Das ist auch unser Ziel.

Interview: Seraina Etter, Bild: zVg SwissMediaForum

 

 



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