14.07.2014

Corine Mauch

"News-Häppchen können eine fundierte Information nicht ersetzen"

Seit 2009 ist Corine Mauch Stadtpräsidentin von Zürich, wo Tamedia, Ringier und NZZ ihre Hauptquartiere haben. Warum sind die grössten Schweizer Medienhäuser hier? Welche Rolle spielen Google und die Kreativwirtschaft für die Branche? Mit persoenlich.com spricht die SP-Politikerin über die Medienstadt Zürich, die Herausforderungen des Journalismus und die Initiative von Ringier-CEO Marc Walder, nach New Yorker Vorbild einen Medien-Cluster zu bilden.
Corine Mauch: "News-Häppchen können eine fundierte Information nicht ersetzen"

Frau Mauch, Zürich ist unbestritten die Medienhauptstadt der Schweiz. Im Vergleich zum Beispiel zur Finanzbranche ist die Medienbranche aber eher klein. Welche Rolle spielt sie für die Stadt Zürich?
Einerseits sind die Medien wichtig für die Demokratie, und in Zürich findet durch die Dichte der Branche eine sehr intensive Diskussion statt. Andererseits sind die Medien wirtschaftlich wichtig, als Teil der Kreativwirtschaft, die in den letzten Jahrzehnten enorm an Bedeutung gewonnen hat. Ein Viertel der Schweizer Arbeitsplätze in der Kreativbranche befinden sich in Zürich.

Mit Ringier, Tamedia und der NZZ-Mediengruppe sind die grössten und wichtigsten Medienunternehmen der Schweiz in Zürich, auch die SRG hat hier viel Geld und Mitarbeiter. Wieso sind diese da?
Einerseits aus Tradition – die "alte Tante" NZZ zum Beispiel seit 1780. Andererseits ist die Dichte für die Medienhäuser selber interessant. Und natürlich bietet Zürich eine sehr hohe Lebensqualität, ist ein wichtiger Bildungsstandort, zieht spannende Arbeitskräfte an und ist eine internationale Stadt mit einer grossen wirtschaftlichen Dynamik. All das ist für die Medienhäuser interessant.

Ich habe den Eindruck, die Stadt Zürich habe in den letzten Jahren und Jahrzehnten keine aktive Medienpolitik gemacht.
Medienpolitik an sich ist ja keine kommunale Sache, das läuft primär beim Bund. Die Aufgabe der Stadt ist es, gute Rahmenbedingungen für die Bevölkerung und die Unternehmen zu schaffen. Ich habe aber regelmässige Treffen des Stadtrates mit den grossen Medienhäusern initiiert, um sich auszutauschen und zu hören, was ihnen wichtig ist.

Stichwort Kreativwirtschaft: Viele Leute wissen gar nicht, dass da auch Medien und ICT dazu gehören. Meist denkt man dabei eher an Designer und Künstler.
Die ganze Breite der Kreativwirtschaft mag nicht allen bekannt sein. Aber diese Breite birgt eben gerade viel Potenzial. So ist beispielsweise auch die Filmwirtschaft in Zürich stark. Bei ihr spielen das Künstlerische, das Unternehmerische und das Technische intensiv ineinander. Mit der ZHdK, die gerade ins Toni-Areal umzieht, wird das sicher stärker sichtbar. Die Bündelung im Ausbildungsbereich ist ein starkes Zeichen dafür, dass die Kreativwirtschaft in Zürich wichtig ist.

Gerade im Bildungsbereich sind die zwei wichtigsten Deutschschweizer Journalistenschulen aber in Luzern und Winterthur und nicht in Zürich.
Zürich ist die Kernstadt eines grossen Metropolitanraumes, zu dem auch diese beiden Standorte gehören. Die Medien überschreiten genau wie die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben, ja da Alltagsleben überhaupt, die Grenzen der Stadt.

Der Medienstandort Zürich wird von drei grossen Konzernen dominiert, die in den letzten Jahrzehnten viele kleinere Verlage geschluckt haben. Ist diese Konzentration ein Problem?
Ja. Das hat aber nichts mit Zürich speziell zu tun. Wir wünschen uns natürlich eine vielfältige Medienlandschaft und auch eine unabhängige Berichterstattung. Bei einer solchen Konzentration ist es immer ein Abwägen. Das wird zusätzlich überlagert von der technologischen Entwicklung und der Frage, was Information und Kommunikation heute im Internet sind. Dabei geht die Tendenz in Richtung News. Das ist die grosse Herausforderung: dass nicht nur News, sondern auch wirkliche Information weiterhin - auch im Interesse der Demokratie - gewährleistet ist und geliefert wird.

Kann eine solche Konzentration nicht auch schädlich sein für die Stadt, wenn die Leute auf dem Land den Eindruck bekommen, ihr Lokalblatt werde von Zürich aus gesteuert?
Ich habe Verständnis für solche Befürchtungen als Reaktion auf den Konzentrationsprozess. Man kann die Stadt und die Medienhäuser aber nicht gleichsetzen. Die Stadt Zürich ist der Standort dieser Firmen, und die Regulierung findet auf Bundesebene statt.

Inwiefern wird der Medienstandort Zürich davon beeinflusst, dass Google und weitere ICT-Firmen hier sind?
Google ist ein sehr spannender Player, und dass diese Firma hier ist, zeigt die Attraktivität des Standorts und dass die Leute gerne hier arbeiten. Google ist auch darauf angewiesen, dass sie weltweit die besten Talente anziehen können.

Unter anderem um Talentförderung geht es auch Marc Walder von Ringier bei seiner Initiative, einen Medien-Cluster in Zürich zu bilden (persoenlich.com berichtete). Wie ist da der Stand?
Es hat ein erstes Treffen stattgefunden, wo die Idee präsentiert und diskutiert wurde. Die Idee ist, die Seite des Contents – den die Medienhäuser machen – und die Seite der Technologie, die in Zürich eben auch sehr stark ist, zusammenzubringen und das Potential auszuloten. Das ist spannend. Man kann es aber nicht auf die Stadt begrenzen. Darum habe ich initiiert, dass der Kanton Zürich ins Boot geholt wird für ein nächstes Treffen. Die Stadt und ich helfen im Rahmen unserer Möglichkeiten gerne und dienen als Türöffner, um die Branche zusammenzubringen. Der Impetus, der Drive, der muss meiner Meinung nach aber aus der Branche selber kommen.

Die Idee zu dieser Initiative stammt aus New York...
...genau, der ehemalige Bürgermeister Michael Bloomberg hat das lanciert. Die Verhältnisse in Zürich und New York sind aber in keiner Weise vergleichbar, schon nur finanziell. Bloomberg ist selber ein wichtiger und finanzkräftiger Player in diesem Bereich. Zudem ist das politische System in New York viel zentralistischer als hier. Was Bloomberg zu dieser Initiative bewogen hat, war der grosse Druck  von der Westküste. Im Zusammenhang mit dem Silicon Valley und dem technologischem Wandel ist etwas entstanden, das in New York als Bedrohung identifiziert worden ist. Bloomberg wollte die Medienhäuser in der Stadt behalten und vom Umzug an die West Coast abhalten.

Die Empfehlungen aus New York, die im Rahmen der Initiative "Media.NYC.2020" entstanden, klingen nicht so spektulär: Man solle Talent anziehen, die Branche vernetzen und Innovation fördern.
Es geht letztlich sicher um Innovation. Wenn man die richtigen Leute zusammenbringt, kann etwas Neues entstehen. Das zu ermöglichen, da mache ich gerne mit. Aber der Drive muss wie gesagt von der privaten Seite kommen. Sonst greift das nicht.

Der Bericht aus New York empfiehlt auch, gute Bedingungen für ausländische Medienkonzerne zu schaffen. Wäre das etwas für Zürich?
Sicher nicht vordringlich. Wichtig ist, dass die hier ansässigen Medienhäuser gute Bedingungen haben und ihre Herausforderungen gut bewältigen können. Da leisten wir im Rahmen unserer Möglichkeiten gerne einen Beitrag. Es ist auch in unserem eigenen Interesse, dass die Lebendigkeit und die Vielfalt weiter bestehen und das Potential, das der Standort Zürich hat, ausgelotet, ausgenutzt und erweitert wird.

Fühlen Sie sich als Stadtpräsidentin von Zürich in dieser Medienstadt eigentlich unter besonderer Beobachtung?
Als Stadtpräsidentin ist man sowieso besonders unter Beobachtung. Zürich hat natürlich eine erhöhte Aufmerksamkeit, als wirtschaftlich starke und für das ganze Land wichtige Stadt – und auch als Medienstandort. Das gehört dazu, und das ist auch positiv.

Ist es nicht auch anstrengend?
Ich muss sagen, ich habe diesen Anteil am "Job" der Stadtpräsidentin wirklich unterschätzt, die Arbeit im Bereich Kommunikation und Information. Mag sein, dass das in Zürich noch mehr ist als in einer anderen Stadt.

Was lesen Sie denn selber? Was halten Sie von den Zürcher Medien?
Am Morgen schaue ich die beiden grossen Tageszeitungen an, das ist klar. Tagsüber schaue ich unterwegs auf dem Handy oder im Büro am Computer immer wieder auf verschiedene Seiten – so funktioniert das heute. Man spürt den Zeitdruck, alles geht viel schneller als früher. Auch das politische Leben hat sich dadurch sehr stark verändert: Als ich 1999 im Gemeinderat anfing, gab es in der NZZ jede Woche eine ausführliche Ratsberichterstattung. Die ist mittlerweile stark geschrumpft und kommt in anderen Zeitungen nur noch marginal vor. Das finde ich schwierig, wenn unser Parlament medial nicht stattfindet.

Interessiert das die Leute einfach nicht mehr?
Da sind wir genau mitten in der Thematik: Was heisst interessieren? So vieles zielt auf den schnellen Konsum. Wirtschaftlich erfolgreich sind die Gratiszeitungen. "20 Minuten" sagt es ja schon im Titel: Man blättert schnell durch, und das war’s dann. Auf welchem Weg findet noch eine Berichterstattung statt, die einordnet und erklärt und recherchiert und Fakten überprüft? News-Häppchen können eine fundierte und kritisch-analytische Information nicht ersetzen. Bei meinem Kontakt mit Medienleuten merke ich aber schon, dass nicht nur die Journalistinnen und Journalisten, sondern auch die Medienhäuser unter enormem Druck stehen. Es ist schwierig für sie, gleichzeitig die Qualität aufrecht zu erhalten und ihre Funktion für Politik und Gesellschaft wahrzunehmen – und wirtschaftlich zu bestehen.

Interview: Lukas Meyer//Bild: zVg


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