05.10.2011

Interview mit Michèle Binswanger

Schluss mit Mama-Image.
Interview mit Michèle Binswanger

Schluss mit Mama-Image: Michèle Binswanger will wieder mehr über andere Themen schreiben, als über Familie und Mutterschaft. Hat das Bloggen ihre Marke als Journalistin verwässert? Und wie stark muss sie sich auf Kundenwüsche ausrichten, wenn sie für PR-Magazine schreibt? Persoenlich.com hat die "Journalistin des Jahres" zum Interview getroffen:

Frau Binswanger, sind Sie verwandt mit Daniel Binswanger vom "Magazin"?

Er ist mein Cou-Cousin.

Sie bezeichnen sich selber als "Journalist, Yogi, Climber, Mama, Elastigirl." Warum "Elastigirl"?

Es ist ein Spitzname, dem die Mutterfigur aus Film "The Incredibles" Pate gestanden ist. Wie sie bin ich sehr beweglich - auch im übertragenen Sinn. Als Onlinejournalistin und berufstätige Mutter muss man sich sehr flexibel unterschiedlichen Situationen anpassen können.

Fühlen Sie sich am richtigen Ort so wie Sie jetzt journalistisch arbeiten?

Ja, im Blog habe ich thematisch, wie auch stilistisch viele Freiheiten. Seit ich für den Mamablog schreibe, bekomme ich auch viele freie Aufträge rund ums Thema.

Doch mit dem Mama-Blog hören Sie jetzt auf (persoenlich.com berichtete).

Es ist schon so: Ich habe nie geplant, nur über Mütter- und Frauenthemen zu schreiben, diese Themen interessierten mich journalistisch früher auch nicht besonders. Doch als man mir beim Newsnetz vorgeschlagen hat, bei diesem Blog mitzuarbeiten, habe ich zugesagt. Es ist wohl der Wunsch jedes jungen Journalisten, eine eigene Kolumne zu haben. Das Thema "Mama" passte, weil ich zwei Kinder hatte.

Ihre Texte gründen auf Episoden. Wie geht Ihr Mann damit um?

Ich gebe ihm jeweils die Texte, die ihn auch betreffen, vor der Veröffentlichung zum Gegengelesen, damit er sein Okay geben kann. Denn klar, wenn ich von unserem Familienleben schreibe, betrifft das die Privatsphäre meines Ehemannes und meiner zwei Kinder.

Ist Ihr Schreibstil typisch weiblich, oder gibt es auch Männer, die ähnlich schreiben wie Sie?

Thematisch gibt es inzwischen ja auch Männer, die das gleiche Feld beackern: Benz Friedli, Sven Broder und Matto Kämpf sind Beispiele. Stilistisch wurden persönliche Meinungsgefässe oder Kolumnen in den 1960er und 70er Jahren populär, besonders in Frauenmagazinen, während der klassische männerdominierte Journalismus eher distanzierter war. Ich habe immer Mühe mit solchen Mann-Frau-Klassifizierungen, aber man kann schon sagen, dass die kolumnistische Tradition aus einem auf Frauen ausgerichteten Journalismus kommt.

Besteht beim Bloggen nicht die Gefahr, dass man seine Marke als Journalistin verwässert?

Nein, denn Journalismus hat sehr viele Formen: Eine Kolumne ist etwas anderes als ein Hintergrundtext. Nun setzt man halt im Onlinejournalismus eher auf Meinung und auf Köpfe. Dies heisst aber nicht, dass meine "Marke" als Journalistin verwässert wird. Vielmehr bin ich eigentlich erst bekannt geworden, als ich mich ganz klar im Feld "Familie, Mutterschaft, Emanzipation." positionierte.

Vom Image der Mama-Bloggerin wollen Sie sich nun lieber wieder lösen.

Ja, denn ich schreibe gerne vor allem gerne über Menschen und ihre Geschichten. Ich kann mich in viel mehr und ganz andere Themen einarbeiten und darüber schreiben, als nur immer über meine Mutterschaft.

Wie schwierig ist ein solcher Imagewechsel?

Das wird sich zeigen. Ich war thematisch schon immer sehr breit interessiert und ein Erfolgsrezept des Mamablogs war es ja auch, das Thema Mutterschaft gesellschaftspolitisch sehr weit zu verhandeln. Allerdings funktioniert die Aussenwahrnehmung halt über Etiketten.

Wie bewusst steuern Sie Ihr Image?

Ich denke, dass in Zukunft die Brands der Medienunternehmen an Bedeutung verlieren werden und die einzelnen Journalisten gerade durch Soziale Medien die Möglichkeit haben, ihren eigenen Brand zu stärken. Dass ich nicht als Journalistin beim "Tages-Anzeiger" angesehen werde, sondern mehr als Journalistin Michèle Binswanger, habe ich durch diesen Titel "Journalistin des Jahres" realisiert. Das steuere ich aber nicht bewusst, sondern die Leute fragen mich für Aufträge an, weil sie meine Arbeit vom Mamablog kennen. Deshalb schreibe ich jetzt auch ein Buch zu diesem Thema. Aber ich setze mir nicht zum Ziel, dass mich die Leute entsprechend einem bestimmten Bild wahrnehmen sollen.

Für den Implenia-Halbjahresbericht (vgl. Bild oben) verfassten Sie einen Text über Frauen auf der Baustelle. Gibt es Konflikte, wenn Sie auch PR-Artikel schreiben?

Diesen Text für den Implenia-Geschäftsbericht betrachte ich nicht als reinen PR-Artikel. Denn mir wurde ja nur das Thema vorgegeben, bei der Recherche und der Wahl der Storyline war ich ja frei. Wenn ich ein Buch rezensieren oder eine These überprüfen muss, sehe ich das nicht als PR-Arbeit.

Innerhalb des Implenia-Halbjahresberichts zeigt Ihr Text aber auf, wie sozial nachhaltig und fortschrittlich Implenia in Frauenfragen ist. Das ist PR.

Ich hatte keine Vorgaben. Zumindest fast keine. Kompromisse muss man auch eingehen, wenn man für ein Medienunternehmen schreibt. Ich muss meine Texte ja verkaufen können und sie daher auf die Kundenwünsche ausrichten.

Nun schreiben Sie mit Nicole Althaus zusammen an einem Buch mit dem Titel "Macho Mama". Worum geht es?

Die Themen sind ähnlich wie beim Mama-Blog. Nur erzählen wir nicht aus der privaten Sicht der Mutter, sondern wir zeigen auf, dass die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie der eigentliche Knackpunkt der Gleichstellung ist. Auch für Männer. Fakt ist ja, das 50 Prozent der Studienabgänger Frauen sind, diese tauchen dann aber irgendwie unter, sie sind im Berufsleben nicht mehr sichtbar. Warum gibt es wenige Frauen in Top-Etagen? Unsere These ist, dass diese Frauen dann eben alle Mütter werden und es plötzlich extrem schwierig ist, die Karriere weiter zu verfolgen. Das Problem liegt einerseits an den auf "männliche" Lebensläufe ausgerichteten Strukturen, aber vielfach liegt es auch an den Frauen selber.

Ende Dezember ist das Buch fertig, ab Mai steht es in den Läden. Was tun Sie dann?

Ich gehe ab Januar wieder ins Kultur- und Gesellschaftsressort des "Tages-Anzeigers" zurück und werde dort vor allem fürs Newsnetz schreiben. Mein Pensum wird nicht mehr 70 Prozent sein, wie bis anhin, sondern kleiner.

Interview: Edith Hollenstein



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Kommentare

  • Victor Brunner, Lerchenbergstrasse 7, 8703 Erlenbach, 19.08.2017 08:41 Uhr
    Beim Mann holt sie das ok für Texte ein und zum Implenia-Engagaement sagt sie: "Ich hatte keine Vorgaben. Zumindest fast keine. Kompromisse muss man auch eingehen, wenn man für ein Medienunternehmen schreibt. Ich muss meine Texte ja verkaufen können und sie daher auf die Kundenwünsche ausrichten". Damit gesteht Binswanger ein dass auch sie käuflich ist. Moneyjournalismus auf allen Ebenen betreibt!
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