23.08.2012

NZZ

"Jackass auf NZZ-Niveau? Warum nicht."

Christoph Zürcher (46) ist Ressortleiter des Gesellschaftsteils der "NZZ am Sonntag". Er ist der Schweizer Journalist, der am meisten "ich" schreibt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit kommen in seinen Artikeln weiter die Worte "Blödsinn", "gefährlich" und "überleben" vor. Er suchte Usama bin Ladin in Pakistan –- erfolglos. Er suchte Piraten in Djibouti und fand ein Bordell. Wer ist der Journalist, der ein gehobenes Jackass-Format für das Haus NZZ produziert? Abenteurer? Karl May? Chauvinist? Eitler Gockel? Das Interview:

Herr Zürcher, liest man Ihre Artikel, bekommt man etwa folgendes Autorenprofil: Männlich, heterosexuell, Junggeselle, kinderlos, eitel, egozentrisch, Hang zu Alkohol und Drogenexperimenten, abenteuerlustig, sportlich. Sind Sie das?

Ja, da gibt es eigentlich fast nichts, das ich überzeugend widerlegen könnte. Am ehesten lösen bei mir die Zuschreibungen von Eitelkeit und Ich-Bezogenheit Widerspruch aus. Das höre ich aber nicht zum ersten Mal. Ich finde allerdings, dass es im Journalismus viel eitlere Formen als die Ich-Form gibt. Ich denke da etwa an aufgeblähte, wichtigtuerische Kommentare. Dazu kommt, dass die Ich-Form bei mir auch aus einer gewissen Not entstanden ist. Ich habe meistens nur eine Woche Zeit irgendwo hin zu gehen, brauche eine Geschichte mit Plot und Narrative, da ist es häufig am einfachsten, wenn ich mich als Person selbst einbringe. Das ist am schnellsten zu bewältigen. Man kann natürlich sagen, das sei eine Ausrede, aber Journalismus findet heute, wie wir alle wissen, unter verschärften ökonomischen Bedingungen statt.

Die Subjektivität ersetzt also die Recherche. Die eigene Perspektive wird zum sicheren Ausgangspunkt des Erzählens.

Genau. Man hat in der Geschichte immer schon einen Protagonisten, am besten einen, Tölpel mit dem sich das Publikum auch identifizieren kann. Wenn du irgendwo in die Pampa gehst, in ein Land, das kein Mensch kennt, hilft es dem Leser, wenn er mit dem Protagonisten einen Anknüpfungspunkt hat - das bin dann halt ich. Es gibt also überzeugende publizistische Argumente für die Ich-Form jenseits von Selbstdarstellung und Eitelkeit. Dazu kommt: Allzu schmeichelhaft ist das Bild von mir selbst in meinen Artikeln auch nicht, ich exponiere mich, gebe den Lesern Angriffsfläche, mache mich zum Idioten.

Ist das Bild, das Sie in Ihren Texten von sich vermitteln authentisch?

Ich bin sicher nicht so extrovertiert und hedonistisch, wie das meine Texte suggerieren könnten. Ich bin eher ein introvertierter Mensch und ein Einzelgänger. Manchmal forciere oder übertreibe ich eben ein bisschen, mache ein Ereignis dramatischer als es gewesen ist. Da kann die Selbstinszenierung schon Züge eines Rollenspiels annehmen, aber letztendlich bin das immer noch ich.

Ihr Konzept ist "ich", "Blödsinn", "gefährlich", "überleben" – übrigens auch typische Wörter Ihrer Reportagen. Sie reiten sich in den Schlamassel und schauen, was passiert?

(lacht) Da will ich gar nicht widersprechen. Es ist nun halt einmal so: Eine Geschichte ist ein Problem. Ohne Problem gibt es keine Geschichte, das kapieren komischerweise auch gestandene Journalisten nicht. Wenn ich etwa eine Woche lang auf den Malediven im Four Seasons einchecke, wird mit grosser Wahrscheinlichkeit nichts passieren. Es wäre unergiebig. Ich muss dorthin, wo es am Übelsten ist. Je desolater der Ort, desto schneller lernt man auch Leute kennen.

Kann man sagen, Sie machen Jackass auf NZZ-Niveau?

(lacht) Das ist sicher keine bewusste Konzipierung, aber ja, vermutlich ist Ihr Vergleich nicht ganz unzutreffend.

Hat Ihnen die "NZZ am Sonntag" noch kein Projekt aus Rücksicht auf Ihre Sicherheit oder Gesundheit verboten? Denken wir etwa an Ihre absurde Aktion vor acht Jahren, Bin Ladin in Pakistan aufstöbern zu wollen.

Absurd ist immer gut. Das war eine meiner ersten Geschichten. Die habe ich mir damals unter dem Vorwand erschlichen, ich ginge in die Ferien. Felix E. Müller (Der Chefredaktor, Anm. d. Red.) bejubelt die Ergebnisse meiner Geschichten jeweils nicht gerade euphorisch. Er findet sie in der Regel knapp ok. Vermutlich auch aus pädagogischen Gründen, um nicht noch zu grösseren Waghalsigkeiten anzustacheln. Bis jetzt wurde mir aber noch nie etwas verwehrt.

Kurze Rast auf der Suche nach Usama bin Ladin.

Wie wichtig ist Ihnen das Selbsterlebnis?

Das ist mir nicht mehr so wichtig, ich habe es heute eigentlich lieber ruhig und gehe lieber ins Engadin wandern, als mich auf irgendwelche Unannehmlichkeiten einzulassen. Meine Ausflüge mache ich nur noch für gute Geschichten.

Diesen Eindruck bekommt man bei Ihren Artikeln aber gar nicht. Ich nehme Sie eher als Masochisten wahr.

Meine Reisen sind mir schon nicht total zuwider. Aber ich mache sie für meine Geschichten. Ich bin eher ein ängstlicher Mensch. Als Kind waren schon irgendwelche Gangsterübungen in der Pfadi zuviel für mich, da wollte ich jeweils gleich nach Hause gehen.

Was sind Sie bereit, für eine Geschichte in Kauf zu nehmen?

Das kann schon sehr weit gehen. Im Dschungel von Brasilien wäre ich, ohne zu übertreiben, wirklich fast gestorben. Und das war nicht geplant!

Was haben Sie denn da gemacht?

Da habe ich an einem Ultra-Marathon teilgenommen. Ein solcher geht über mehrere Tage und an jedem einzelnen muss man eine Marathon-Distanz laufen, als zusätzliche Schikane auch das eigene Gepäck selber mitschleppen. Das Setting: Dschungel, Sumpf, wilde Tiere. Ich habe mich im Vorfeld zwar joggend recht intensiv vorbereitet (lacht), aber eindeutig zuwenig Gedanken gemacht über Ernährung und dergleichen. Auf jeden Fall bin ich bereits am ersten Abend in Ohnmacht gefallen, am zweiten Tag war ich so dehydriert, dass ich bis zu den Ohrläppchen in Krampf erstarrt bin. Ich wäre aus dem Dschungel nicht rausgekommen, hätte man mich nicht herausgetragen. Erstaunlich ist: Nach sieben Liter Salzlösung per Infusion fühlte ich mich sehr schnell wieder recht gut. Vorher war ich tot.

Christoph Zürcher am Ultra-Marathon per Bahre abtransportiert.

In Djibouti haben Sie Piraten gesucht, Ihr Artikel mündet aber darin, dass Sie eine Woche lang in einem Puff herumhangen und die lokale Droge Kat kauen.

Zwei Tage.

Der Leser denkt sich, Christoph Zürcher hatte zugedröhnt Geschlechtsverkehr mit Prostituierten in Djibouti.

Das wird suggeriert. Ich mache das auch bewusst, weil ich damit die Denkvorschriften gewisser Leute herausfordern will. Ich suggeriere etwas, das natürlich nicht stattgefunden hat. Ich gehe sicher nicht nach Djibouti, um da mit irgendwelchen äthiopischen Schönheiten herumzumachen. Aber ich schreibe sicher nicht in den Artikel: "Aber ich hatte nichts mit diesen Frauen." Das wäre mir dann doch ein bisschen zu politisch korrekt.

Nachtleben in Djibouti.

Ihr Chauvinismus ist vor allem Provokation?

Zum Teil sicher. Es geht ja auch darum, die üblichen Denkmuster ein bisschen herauszufordern. Beim Djibouti-Text hatte ich allerdings selber ein mulmiges Gefühl, ob ich mir erlauben kann, diesen Puff-Ausflug offen zu lassen, zu schreiben, wie lässig es war und wie hübsch die Frauen aussahen, was auch wirklich stimmt. Ich hätte auch über die 25 Prozent Aids-Rate schreiben können, was ebenso stimmt. Aber damit hätte ich einfach nachgebetet, was man über Djibouti so sagen muss. Ich hatte ein etwas schlechtes Gewissen, aber interessanterweise gab es keine einzige entrüstete Reaktion, nicht einmal vom Chefredaktor. Das hat mich ehrlich gesagt auch erstaunt.

Alle fanden Ihre Darstellungsweise also total okay?

Ob es alle total okay fanden? Sicher nicht. Sehr viele finden das, was ich schreibe, sicher furchtbar. Aber die Feministinnen-Fraktion der Redaktion hat sich zumindest nicht zu Wort gemeldet, was normalerweise vorkommt, wenn ein allzu chauvinistischer Blick auf eine Sache geworfen wird. Ich finde ehrlich gesagt: auch zu recht. Ich bin sicher kein Chauvinist, und sicher auch kein Macho. Das wäre ein Missverständnis.

In einem Kommentar zu Ihrem Djibouti-Artikel werden Sie als Karl May bezeichnet. Wie halten Sie es eigentlich mit Dichtung und Wahrheit?

Ich halte es mit dem ehemaligen Chefredaktor des Economist, der sagte: "Zuerst vereinfachen und dann übertreiben." Diese beiden Dinge darf man bis zum Gehtnichtmehr praktizieren. Was nicht spannend ist, fliegt raus. –Totale Puristen würden diese Vorgehensweise sicher bereits kritisieren. Erfinden ist bei meinen Geschichten gar nicht nötig.

Nehmen wir mal Ihren Artikel "Einmal Ueli Steck sein": Für diesen haben Sie die Trainingsstrecke des Schweizer Bergsteigers absolviert, Sie haben dreimal an einem Tag den Niesen erklommen (5007 Höhenmeter). Hier schreiben Sie, Sie hätten in der Nacht vor Ihrer Berg-Übung von Rolltreppen und Lifts geträumt. Das wird wohl kaum tatsächlich der Fall gewesen sein und Sie schreiben das nur, weil es witzig ist.

Stand das im Artikel? Das könnte schon sein, dass ich das geträumt habe. Aber in dem Fall würde ich die Regel formulieren: Wenn man sich selber einbringt, steht einem dieser Freiraum offen: innere Geschehen. Wichtig ist, dass Tranparenz besteht.

In Ihrem Gepäck hatten Sie eine Flasche Fürst Metternich und ein Pack Pommes Chips der Marke Zweifel. Vor der letzten Gipfelerklimmung trinken Sie den Champagner und erbrechen sich, wen wundert’s. Machen Sie das einfach für die Story oder sind Sie auch privat so drauf?

Das ist lustig, darüber habe ich gerade letztes Wochenende mit einem Kollegen beim Wandern gesprochen. Bei der Anlage meiner Geschichten spielt oftmals meine dilettantische Haltung eine Rolle. Diese versuche ich definitiv auch nicht zu minimieren. Denn alles, was Probleme in Aussicht stellt, ist gut für meine Geschichte. Deshalb organisiere ich auch meine Reisen nicht übermässig gründlich und lasse mich auf jeden "Löli" ein, der meinen Weg kreuzt, ist ja egal, wenn dabei nichts Schlaues herauskommt, Hauptsache, ich und somit der Leser erfahren allenfalls etwas Neues. Was den Champagner anbelangt: Da dachte ich natürlich schon, dass der zur Feier des Erfolgs inszeniert werden kann. Wenn ich ihn dann nicht erbrochen hätte, hätte ich darüber aber wohl auch nicht geschrieben.

Was klammern Sie von Ihnen in den Artikeln bewusst aus?

Nichts, wenn es die Geschichte unterhaltsamer macht oder mich noch peinlicher dastehen lässt, mache ich es sofort.

In Djibouti suchen Sie Piraten und finden ein islamisches Drogenmekka. In Pakistan suchten Sie Bin Ladin, ein Begleiter von Ihnen fand immerhin seine Liebe. Man hat das Gefühl, Sie sind jeweils die Marionette der Geschichte, verlieren die Distanz zu Ihrem Unterfangen und verfehlen Ihr formuliertes Ziel mit grosser Sicherheit.

Das kann schon sein. Aber warten Sie mal, gewisse Dinge haben schon geklappt, etwa mein Tag als Ueli Steck. Aber klar, die Erfüllung des Auftrags ist nicht so wichtig, Scheitern ist ohnehin interessanter.

Wie gut verträgt sich Ihr Stil mit demjenigen der "NZZ am Sonntag"?

Nun, mit der "NZZ am Sonntag" verträgt sich mein Stil ganz gut. Übermässige Anstrengungen unternommen, mich wieder loszuwerden, hat man bisher nicht. Ich bin jetzt ja doch schon zehn Jahre hier. Und die mir am feindlichsten gesinnten Leser scheinen mittlerweile in stiller Resignation versunken. Einen Leserbrief von der Schärfe wie "Schade wurde ihr Redaktor nicht gefressen", den ich nach meinem Abstecher zu den Kannibalen West Papuas erhalten habe, ist auf jeden Fall seit Längerem ausgeblieben. Wie sich mein zugegebenermassen von boulvardesken Zügen nicht immer ganz freier Stil mit der Tradition des Hauses NZZ verträgt, ist natürlich eine andere Frage: Aber einer hehren NZZ-Tradition darf ich mich sicher auch zugehörig fühlen: der Weigerung, Berichterstattung und Kommentar zu trennen.

Im Frühling 2013 erscheint bei Orell Füssli ein Buch mit Christoph Zürchers gesammelten Reportagen aus der "NZZ am Sonntag".

Interview: Benedict Neff

 


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