20.02.2014

NZZ am Sonntag

"Wir wollen im Filmjournalismus neue Standards setzen"

Überall wird gespart, Kulturkritiker entlassen, Print eingestampft. Entgegen dieser Trends startet die "NZZ am Sonntag" gemeinsam mit dem Zurich Film Festival (ZFF) ein Film-Magazin mit einer Auflage von 140'000 Exemplaren. "Frame", das am Kiosk 9.80 Franken kostet, wird dadurch auf Anhieb zum grössten Periodikum über Filme im deutschsprachigen Raum. Man wolle keine ZFF-Werbepostille sein. Das Vitamin B werde aber helfen, einfacher an den Vorzimmerdamen der Hollywood-Promis vorbei zu kommen, so Christian Jungen im Interview. Der Filmredaktor trägt die Verantwortung für das erste "Frame", das am Wochenende der "NZZ am Sonntag" beiliegen wird.
NZZ am Sonntag: "Wir wollen im Filmjournalismus neue Standards setzen"

Herr Jungen, Zeitungsverlage stecken in der Krise. Ein beliebtes Opfer von Sparrunden sind die Kulturressorts. Die "NZZ am Sonntag" bringt, entgegen aller Trends, ein über 90-seitiges Film-Magazin auf Hochglanzpapier heraus. Wie kommt man auf eine solche Idee?
Christian Jungen: Die Idee kam vom Zurich Film Festival. Co-Direktor Karl Spoerri hatte Ferien in Los Angeles gemacht und dort viele Film-Magazine gelesen. Er schwärmte davon, wie dort sehr lustvoll und ausführlich über Filme berichtet wird. Bei uns ist das Gegenteil der Fall. Er fand, dass man ein neues Kapitel aufschlagen sollte mit einem Film-Magazin, in dem auch lange Hintergrundartikel möglich sind. Weil es eine Freizeit-Lektüre werden sollte, dachte er an ein Printprodukt. Felix E. Müller und ich waren sofort begeistert von der Idee und auch unser CEO Veit Dengler war bald angetan vom Projekt.

Aber gibt es überhaupt genügend Leser, die man begeistern kann?
Ja. Wir schliessen eine Marktlücke. Es gibt im deutschsprachigen Raum kein vergleichbares Magazin. Und wir wissen aufgrund von Befragungen, dass die "NZZ am Sonntag"-Leser sehr filmaffin sind. Sie sind gebildet und urban, weshalb sie statistisch gesehen am häufigsten ins Kino gehen. Hinzu kommt, dass es im Filmbereich eher Gemeinsamkeiten gibt als in anderen Kultursparten. Sprich: Es ist einfacher, einen gemeinsamen Nenner zu finden, der viele Leser anspricht. Ein Beispiel: "Wolf of Wall Street" hat schon nach einem Monat weit über 300'000 Zuschauer verzeichnet, inzwischen hat bei uns fast die ganze Redaktion den Film gesehen. Auch TV-Serien sind gross im Kommen. "House of Cards" oder "Mad Men" schauen enorm viele Menschen.

Das heisst, man thematisiert vorwiegend angelsächsische Blockbuster und Serien? Wo bleiben die Schweizer Filmszene und das Arthouse-Kino?
Nicht nur. Das erste Heft ist viel "arthousiger" geworden, als man es wahrscheinlich erwarten würde. Wir machen keine oberflächliche Glamourzeitschrift. In unserer Titelgeschichte geht es um Charlotte Gainsbourg, die in Lars von Triers "Nymphomaniac“ die Hauptrolle spielt. Wir berichten über das Revival des kubanischen Kinos und gehen der Frage nach, weshalb sich so viele Schweizer Filmer in Berlin niederlassen. Ich glaube, dass viele Leser überrascht sein werden am Sonntag.

Aber irgendetwas muss ja auch Zurich Film Festival davon haben.
Als Mit-Herausgeber von Frame ist es als Marke das ganze Jahre über präsent. Aber die erste Ausgabe enthält keine Geschichte, die in einem direkten Zusammenhang steht mit dem Festival. Wir sind keine Werbepostille für’s ZFF, wir machen eine Zeitschrift ganz ohne "Gschmäckle". Das Festival als Mit-Herausgeber will einen Beitrag leisten zur Filmkultur. Wenn vermehrt über Filme gesprochen wird, spricht man natürlich auch über Festivals. Das ZFF profitiert indirekt.

Aber die Festival-Organisatoren reden bei der Themenwahl mit. Die dritte Ausgabe im Herbst dreht sich dann vermutlich schon um das ZFF.
Da wird wohl auch ein Thema vom ZFF drin sein. Aber das Festival ist inzwischen so wichtig, dass wir auch ohne eigenes Magazin darüber berichten würden. Die dritte Nummer kommt vor Locarno heraus, die vierte erst nach dem ZFF. Wir haben keine Vorgaben. Natürlich habe ich für die erste Ausgabe mit Direktor Karl Spoerri über mögliche Themen gesprochen, was sehr inspirierend war, weil er die Filmindustrie sehr gut kennt und bestens über neue Trends Bescheid weiss. Die ganze Produktion liegt aber bei uns. Wir nutzen Synergien und profitieren vor allem von den Kontakten.

Genau. Sie schrieben im Dezember in der Medienmitteilung zur Lancierung von "Frame" (persoenlich.com berichtete), dass Sie "keine 08/15-Interviews von Gruppenterminen bringen, sondern Hollywoodstars und Branchen-Grössen besuchen".
Wir kommen nun an Grössen heran, die wir aus eigener Kraft nicht treffen könnten. So haben wir eine Journalistin nach L.A. geschickt, damit sie für uns eine Reportage darüber schreibt, welche Branchen von den Oscars profitieren. Ich habe die Berichterstattung rund um die Oscars lange selber gemacht, schaffte es aber nie, einen Academy-Boss zu interviewen. Diesmal konnten wir plötzlich den Vorsteher Mark Johnson treffen. In Hollywood ist es ein bisschen wie in Italien: "Dì che ti mando io" – dann klappt es. An den Vorzimmerdamen kommt man mit Vitamin B einfach besser vorbei.

"'Frame' wird bildstark darüber berichten, welche Stars auf dem roten Teppich in Cannes mit welcher Mode eine gute Figur machen“, steht ebenfalls in der Ankündigung. Das klingt wiederum ein bisschen nach einem Klatschmagazin, wie sie schon zu tausenden existieren. Was macht "Frame" einzigartig?
Die Tatsache, dass wir lange Texte haben und in die Tiefe gehen. Wir haben den Anspruch, Filmstars persönlich zu treffen. Ich betone dies, weil die meisten Starinterviews an Roundtables entstehen, wo 15 Journalisten aus 15 Ländern 15 Minuten mit einem Schauspieler reden können. Was dann gross als Exklusiv-Interview angepriesen wird, ist in Wahrheit das transkribierte Protokoll eines Gruppengesprächs, bei dem der Norweger den Star fragt, ob er schon mal in Oslo war und der Italienische Kollege dessen Meinung zur Scheidung von Monica Bellucci erfahren möchte. Unsere Oscar-Geschichte ist neun Seiten lang und wurde mit grossem Aufwand betrieben. Wir wollen seriöse Gespräche bieten und im Schweizer Filmjournalismus neue Standards setzen.

Das klingt toll – und kostspielig. "Frame" liegt am Sonntag als Gratisbeilage in der "NZZ am Sonntag". Wie finanzieren Sie sich eigentlich?
Das Heft wird auch am Kiosk und über iTunes verkauft, wo es 9.80 bzw. 9 Franken kostet. Wir finanzieren uns aber hauptsächlich über Inserate. Das ist unser Geschäftsmodell, welches sehr gut zu funktionieren scheint. Wir haben 23 Seiten Werbung in der ersten Ausgabe, weit mehr als wir erwartet hätten. Wir haben auch schon viele Buchungen für die kommenden Ausgaben.

Ist ein solches Magazin besonders attraktiv für Werbekunden?
Ja, wir haben gemerkt, dass man gerne bei uns inseriert. Filme sind extrem populär, laut Umfragen ist der Kinobesuch bei Jung und Alt eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Kinos werden von einer konsumfreudigen und gebildeten Schicht besucht. Uhren- oder Automarken – die selber oft mit Schauspielern werben –  inserieren gerne in einem solchen Umfeld. Und es gibt einfach keine Alternative, die genau unser Publikum anspricht.

Wen wollen Sie denn ansprechen? Wer soll "Frame" lesen?
Neben den "NZZ am Sonntag"-Lesern alle, die gerne ins Kino gehen. Zurzeit werden so viele Kinos gebaut wie seit 100 Jahren nicht mehr. Zwischen 1911 und 1913 wurden in Zürich acht Kinos gebaut, das gilt bisher als Rekord. In den kommenden zwei Jahren werden gut 18 neue Säle entstehen. Das Interesse am Film und an TV-Serien wird immer grösser. TV-Serien sind die Romane des 21. Jahrhunderts. Vor gut 20 Jahren konnte man in einer Tischrunde mit der Frage "Max Frisch oder Friedrich Dürrenmatt?" eine abendfüllende Diskussion entfachen, heute schafft man dies mit der Frage "'Homeland' oder 'House of Cards?". Wir sprechen also auch junge Serienfans an. Dieser neuen Kunstform widmen wir im "Home Cinema"-Teil, der von meiner Kollegin und Serienspezialistin Regula Freuler betreut wird, viel Platz.

Mit welchem ausländischen Magazin ist "Frame" vergleichbar?
Was Aufmachung, Länge und Aufwand betrifft, ist "Vanity Fair" unser Vorbild. Sie probieren ebenfalls, mit den Leuten persönlich zu sprechen.

Was war für Sie die grösste Herausforderung bei der Konzeption und Realisation des Magazins?
Der Zeitdruck. Das "Go" kam im November. Ich arbeite 80 Prozent für die "NZZ am Sonntag" und musste das neue Projekt nebenbei stemmen, vorwiegend an den Wochenenden. In den letzten vier Wochen habe ich quasi in der Redaktion campiert.

Warum tun Sie sich das an?
Für die Sache! Ich war vom ersten Moment an Feuer und Flamme, ein Filmmagazin zu gründen, ist ein Bubentraum von mir. Nun machen wir etwas Neues, das völlig gegen den Trend geht. In den letzten zehn Jahren wurde am Filmjournalismus ein regelrechtes Massaker verübt. Jeder dritte Schweizer Filmkritiker wurde weggespart, was mir nie einleuchtete. Denn es gehen im Schnitt jedes Wochenende mehr Leute ins Kino als an Fussball- und Hockeyspiele der höchsten Ligen zusammen.

Wer gehört zu der festen Redaktion von "Frame"?
Die erste Ausgabe haben wir unter anderem mit Personen aus der Redaktion gemacht. Zudem haben wir freie Autoren engagiert und darauf geachtet, dass es einen Mix gibt aus jungen Talenten und Edelfedern wie Wolfram Knorr oder This Brunner. Das Layout stammt vom renommierten Londoner Zeitschriften-Art Director Simon Esterson, der unter anderem auch die britische Zeitschrift "Sight & Sound" designt hat.

Sie beabsichtigen also, auch für das nächste Magazin Ihre freien Wochenenden zu opfern?
Ich behalte die redaktionelle Gesamtverantwortung, wenn es sein muss, arbeite ich auch wieder ein ganzes Wochenende durch, aber nicht mehr über Monate. Wir möchten jemanden einstellen, der sich um die Produktion kümmert. Wer das sein wird, ist aber noch offen.

Was ist denn Ihr persönliches Highlight der ersten Ausgabe?
Ein Essay des Filmwissenschaftlers Vinzenz Hediger. Er schreibt, warum bei Andy Warhol die Filme eigentlich wichtiger waren als die Bilder.

Und welcher Text war am problematischsten?
Die Geschichte über die Schweizer Filmer in Berlin. Wir mussten acht Personen an einen Tisch bekommen, was logistisch eine Herausforderung war. Zudem mussten wir einen Fotografen aufbieten, der alle zusammen fotografiert hat und danach noch jeden einzelnen in seiner Umgebung in Berlin begleitete.

Was wollen Sie mit dem Magazin auf lange Sicht erreichen?
Wir wollen den Leuten Lust auf Film und Kino machen. Wir wollen nicht das Schlechte betonen, sondern unsere Film-Leidenschaft so vermitteln, dass sie die Leser ansteckt. Natürlich wünschen wir uns auch, dass es noch lange weitergeht mit "Frame". Wir sind sehr zuversichtlich. 

Interview: Seraina Etter, Foto: Annick Ramp/NZZ, Layouts: zVg

 



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