12.11.2014

NZZ

"Wir müssen arbeitsteiliger werden"

Übersichtlich und verständlicher: Am Mittwochnachmittag schaltete die NZZ die Testversion einer neuen Webseite auf. Warum schon wieder ein frisches Layout? Wie hat Markus Spillmann die Redaktion der NZZ für die Zukunft aufgestellt? Im ausführlichen Gespräch erklärt der Chefredaktor sein Konzept der "neuen Dreifaltigkeit". Er spricht zudem über die sinkende Bedeutung von Print, mögliche Kooperationen mit der "NZZ am Sonntag" und gibt Fehleinschätzungen bei "Equity" zu.
NZZ: "Wir müssen arbeitsteiliger werden"

Herr Spillmann, Sie sind NZZ-Chefredaktor seit 2006. Damals war die Medienwelt noch eine andere, inzwischen haben die Tageszeitungen tausende Leser verloren. Wie geht es Ihnen?
Gut, ich lebe noch.

Das tönt nicht gerade euphorisch.
Ich bin kein grosser Euphoriker. Ich lasse mich aber gerne begeistern. Wir durchleben eine der spannendsten Zeiten dieser Branche und es ist ein Privileg, jetzt in einer Führungsposition zu sein. Klar ist dies auch anstrengend. Man muss anpacken und schläft daher wenig.

Publizistikprofessor Kurt Imhof erklärte anlässlich der Präsentation seines neuen Jahrbuchs im Interview, er lese täglich die NZZ. Ist er ein typischer Leser oder an welche Audience denken Sie, wenn Sie einen Leitartikel schreiben?
(lacht). Also Kurt Imhof hatte ich nicht im Kopf, als ich meinen letzten Kommentar verfasste. Beim Schreiben habe ich niemanden konkret vor Augen. Ich weiss aber, welches die Erwartungen an eine NZZ sind, oder ich meine es zu wissen. Dies aufgrund der Marktforschungsdaten und durch persönliche Kontakte.

Im Wirtschaftsteil schreibe Ihre Zeitung "vollkommen an ihren Lesern vorbei", kritisierte Imhof. Ist das Am-Leser-vorbei-schreiben bewusste Strategie im Rahmen der Positionierung als "Qualitätszeitung"?
Nein, sicher nicht. Kurt Imhof beklagt sich immer wieder über die Boulevardisierung der Schweizer Medien, während er selber jedoch genau diese Instrumente verwendet, wenn er die Ergebnisse seines Jahrbuchs kommuniziert. Polemik, wie Imhof sie betreibt, machen wir als NZZ nicht. Wenn Imhof selber den Wirtschaftsteil immer zur Seite legt – obwohl es sicher besser wäre, er würde ihn lesen, damit er sich objektiver äussern kann –, heisst dies doch nicht, dass der Wirtschaftsteil an den Lesern vorbei schreibt. Natürlich ist unser Wirtschaftsteil nicht jedermanns Morgenlektüre. Dennoch wollen wir uns möglichst stark an den Bedürfnissen unserer Leser orientieren.

"Equity" war ein Schritt näher zum Leser. Warum ist das Konzept gefloppt?
"Equity" war ein Test eines neuen Produktes. Solche Tests werden wir auch künftig immer wieder machen. Wenn aber ein Produkt die formulierten Ziele nicht erreicht, muss man konsequent sein. "Equity" war nicht schlecht, sondern der von uns erhoffte Effekt traf nicht ein. Wir erwarteten, dass wir über ein zusätzlich der NZZ beigelegtes Magazin die Leserschaft verbreitern und am Werbemarkt zusätzliches Inventar anbieten könnten. Das ist aber nicht gelungen. Ich habe das falsch eingeschätzt.

Sie haben am Mittwoch die Beta-Version einer neuen Webseite aufgeschaltet. Warum ist schon wieder ein Redesign nötig?
Wir sind laufend dabei, unseren Webauftritt zu optimieren und weiterzuentwickeln. Die Beta-Version dient uns dazu, unser digitales Angebot noch nutzergerechter zu gestalten und Rückmeldungen zur weiteren Verbesserung zu verwenden. Das Testing soll ungefähr bis Ende März 2015 dauern.

Sie haben zudem einige bekannte Namen angestellt. Warum haben Sie die Redaktion neu organisiert?
Seit drei Jahren haben wir eine konvergente Redaktion. Diese Redaktion muss sieben Tage die Woche während 24 Stunden qualitativ hochwertigen Journalismus sicherstellen. Zudem leben wir in einer Welt, in der wir stärker entbündeln und uns schneller an die Kundenwünsche adaptieren müssen. In dieser Welt wird die Gattung "Zeitung" – zumindest die Tageszeitung – eine neue Rolle einnehmen. Print ist zwar heute noch dominant, aber die Geschäftsgrundlage – vor allem wegen den rückläufigen Werbeerlösen – ist unter starkem Druck. Wir können das beklagen, aber sorry to say: So ist es nun mal. Ich kenne keine Studie, die in eine andere Richtung zeigt. Im Tagesverlauf wird das Digitale über die Zeit zum wohl wichtigsten Informationsmedium für den Nutzer. 

Seit einigen Wochen arbeitet Ex-"Landbote"-Chefredaktorin Colette Gradwohl bei Ihnen. Was genau macht sie?
Aufgrund dieser Entwicklungen müssen wir uns so aufstellen, dass wir den Erwartungen gerecht werden. Wir sind eine hoch spezialisierte Redaktion. Diese ist zentral für die Qualität der NZZ. Darum will ich alles daran setzen, diese Wertigkeit auch im Digitalen sicherzustellen. Das gelingt, wenn die Kollegen, die sich um diese Inhalte kümmern, schrittweise und bestmöglich von Tätigkeiten entbunden werden, die nicht direkt mit der Herstellung des Inhaltes zu tun haben. Wir müssen also arbeitsteiliger werden. Aus diesem Grund sind wir daran, eine Art Dreifaltigkeit aufzubauen. Erstens: eine inhaltliche Kompetenz. Das sind die Ressorts mit ihren Fachspezialisten. Zweitens den Newsroom, in den alle Elemente mit Querschnittsfunktion reinkommen; also Bild, Datenjournalismus, aktuelle Nachrichten. Drittens – und hier kommen jetzt Colette Gradwohl und die anderen neu angestellten Kollegen ins Spiel – die Produkteverantwortung. Das heisst, es muss sich jemand den ganzen Tag, von morgen bis abends, um ein Produkt kümmern können, damit NZZ drin ist, wo NZZ drauf steht. Diese Produkteverantwortung gilt für die Webseite, für unseren Newsletter und für die klassische Printausgabe.

Frau Gradwohl leitet also die Redaktionssitzung und bestimmt, was in der Printausgabe steht?
Colette Gradwohl wird als Produktverantwortliche Print/Replika dafür sorgen, dass die "Neue Zürcher Zeitung" mit grösster Professionalität hergestellt wird. Wenn Sie von einer Redaktionssitzung sprechen, dann denken Sie noch völlig in der alten Welt. Heute gibt es nicht mehr nur eine einzige Sitzung, sondern viele, verteilt über den Tag, weil wir auch verschiedene Kanäle und Angebote bespielen müssen. Die Rolle des Chefredaktors bzw. des zuständigen Tagesleiters besteht hierbei in der Moderation. Er muss an den richtigen Stellen Akzente setzen und bestimmen, welche Themen, welche Standpunkte, welche Meinung wir als NZZ über alle Kanäle bestimmten Sachverhalten gegenüber einnehmen. Colette Gradwohl als Verantwortliche für das Produkt Zeitung muss sicherstellen, dass dies im Print mediumsgerecht umgesetzt wird.

Stellvertretender Chefredaktor ist doch René Zeller. Welche ist denn seine Rolle?
Die Chefredaktion ist etwas breiter aufgestellt. René Zeller ist einerseits stellvertretender Chefredaktor, andererseits – und das ist fast wichtiger – ist er der Inlandchef der NZZ. Er bildet zusammen mit Luzi Bernet, ebenfalls im Range eines stellvertretenden Chefredaktors und Nachrichtenchefs, sowie mit Colette Gradwohl mein Führungsteam auf oberster Ebene für die NZZ. Es bildet indirekt auch die oben dargestellte Dreiteilung – Inhalt, Newsroom und Produkt – ab.

Und Peer Teuwsen?
Peer Teuwsen habe ich angestellt als Leiter "Entwicklungsprojekte Publizistik". Er kümmert sich um Projekte, die die nächsten zwei, drei Jahre im Blick haben. Er soll Konzepte entwickeln und diese soweit konkretisieren, damit wir dann über diese befinden können. Zudem obliegt Peer Teuwsen der ganze Bereich "Long Tail", also unser Archiv mit allen Inhalten, die wir schon einmal publiziert haben. Er muss sich auf Basis dieses Materials neue Angebote überlegen.

In diesen Tagen zieht ja die "NZZ am Sonntag“ von der Mühlebachstrasse zu Ihnen an die Falkenstrasse. Was bedeutet dies für die Zusammenarbeit zwischen den Redaktionen?
Ich war ja im Gründungteam der "NZZ am Sonntag" und habe mich dabei vehement dafür eingesetzt, dass wir möglichst "unbehelligt" von der Mutter blieben. Das war auch gut und wichtig so. Es konnten sich zwei ganz unterschiedliche Kulturen und Temperamente entwickeln, - dies zum Nutzen der "NZZ am Sonntag", sehr wohl aber auch der NZZ, wie ich meine. Dass mit dem geografischen Zusammenrücken hoffentlich auch engere Zusammenarbeit möglich wird, bei allem, was nicht produkterelevant ist, ist sicher eine Erwartung. Aber eine Zusammenlegung im Publizistischen ist momentan kein Thema, wobei wir bereits seit Langem eine Sportredaktion unter einer einzigen Führung haben, was sehr gut funktioniert.

Sie sagen eine Zusammenlegung ist "momentan" kein Thema.
Ja, ich bin zurückhaltend mit Aussagen über die Zukunft. Denn, wer hätte vor fünf Jahren, als es noch nicht einmal ein vernünftiges Smartphone gab, gedacht, dass wir da stehen, wo wir heute sind?

Print wird mittelfristig seine Dominanz verlieren, sagten Sie. Wie reagiert die NZZ darauf?
Mich interessiert die absurde Diskussion um "Print ja oder nein?" überhaupt nicht. Relevant ist die Frage, ob wir bereit sind für den Fall, dass es irgendwann Print nicht mehr geben sollte, oder auf der anderen Seite Print wieder zu einem absoluten Hype wird. Unsere Redaktion muss schnell auf sich verändernde Marktbedürfnisse reagieren können. Die Adaptionsfähigkeit der Journalisten ist der Garant, dass wir erfolgreich sein werden. Wir müssen uns umorganisieren, um schlagkräftig und anpassungsfähig zu bleiben. Wir bauen sozusagen das Flugzeug während des Fluges um.

Was muss sich ändern?
Das grösste Problem, das die Branche momentan hat, ist der Ablösungsprozess vom Print. Print war 200 Jahre lang König. Da braucht es wahnsinnig viel Zeit und Überzeugungskraft, um den Leuten klar zu machen, dass im Online der Inhalt nicht schlechter sein darf als im Print. Er muss ohne Zweifel anders sein, eben mediumsgerecht. Doch die Grundhaltung muss genau die gleiche sein: Der Inhalt muss saumässig gut sein. Bei den ganzen Diskussionen um Kanäle, Produkte und Prozesse muss man unbedingt wieder mehr über die Inhalte reden. Kreativität und Inhalte sind zentral. Die Frage, welches die Geschichten sind und wie wir sie erzählen, ist unsere Kernaufgabe. Darum müssen wir uns kümmern!

Es braucht Zeit, bis sich dies in den Köpfen der Mitarbeitenden gefestigt hat.
Das braucht viel Flexibilität und Geduld. Denn es geht manchmal sehr chaotisch zu und her bei uns. Und auch für mich ist dies keine simple Zeit. Doch wir müssen die Chancen sehen, denn wenn wir nicht zu viele Fehler machen, haben wir künftig noch mehr Potential als bisher.

Diejenigen Mitarbeiter, denen irgendwann der Geduldsfaden reisst, verlassen die NZZ. Leiden hier nicht gerade die von Ihnen geforderte Kreativität und die Ideen? Schmerzt es nicht, wenn dossierkompetente, langjährige Mitarbeiter der Redaktion den Rücken kehren und z.B. auf die PR-Seite wechseln?
Momentan ist der Arbeitsplatz Journalismus bei einem Verlagshaus weniger attraktiv als der Arbeitsplatz Kommunikation bei der öffentlichen Hand oder in der Privatwirtschaft. Doch, Hand aufs Herz: Journalismus ist immer auch intrinsisch motiviert. Klar, verlieren wir immer wieder Leute, zum Teil gute. Aber die momentane Veränderung ist ein elementarer Teil der Arbeit als Journalist! Sich bewegen und Neugierde sind Ingredienzien unseres Berufes. Und dass man einen Arbeitsplatz verlieren kann, weil Stellen gestrichen werden, ist einfach eine Tatsache in der heutigen Zeit. Ich habe viele Kollegen in der Finanz- und Versicherungsbranche, die in den letzten Jahren mehrmals den Job wechseln mussten. Mein Gott, denen geht es auch nicht anders! Wir müssen also etwas demütiger sein, wenn wir immer nur unser eigenes Schicksal beklagen. Die Welt ist in Veränderung, die Unsicherheit ist das neue Kontinuum. Das bereitet Sorgen, ja, aber es schafft auch sehr viele Opportunitäten.

Der Know-how-Abfluss ist demnach kein Problem.
Natürlich muss man immer ein wenig schauen, dass die Delle nicht zu tief wird. 2008/2009 hat auch die NZZ grosse, tragende Namen meist durch Frühpensionierungen verloren. Das wirkte sich schon aus. Doch mit dieser Realität muss man zurecht kommen können. Abgesehen davon werfen grosse Eichen auch Schatten; sind sie weg, können jüngere Bäume nachwachsen.

Wie ist die Situation im Moment: Haben Sie einen Sparauftrag?
Nein. Wir haben investiert und werden dies auch im nächsten Jahr wieder tun. Für 2015 habe ich ein leicht höheres Budget als 2014. Auch für Innovationsprojekte haben wir einen relativ hohen Betrag vorgesehen. Doch klar, dabei dürfen die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Ich muss sparsam haushalten.

Lohnerhöhungen für Redaktoren liegen da nicht drin, oder doch?
Wir haben in den letzten Jahren immer wieder individuelle Lohnanpassungen vorgenommen, doch. Aber generelle Lohnrunden in dieser Branche sind in der Tat schwierig geworden.

Wie ist das bei Ihnen? Sie selber haben offenbar den höchsten Lohn unter allen Schweizer Chefredaktoren – von 480‘000 Franken war die Rede.
Die Gesetzmässigkeiten der Marktentwicklung gelten auch für mich, übrigens auch, dass Lohntransparenz, wenn schon, für alle gelten sollte. Sie können also jede Zahl nennen, ich kommentiere sie nicht. Ob mein Lohn der höchste ist, weiss ich nicht. Damit habe ich mich noch nie beschäftigt. Neben meinem Amt als Chefredaktor, bin ich für die Gesamtleitung Publizistik und mit Steven Neubauer auch für die Geschäftsführung der NZZ verantwortlich. Zudem sitze ich in der Unternehmensleitung. Hier kann man eher die Frage stellen, ob dies – mit all den Ämtern – nicht etwas zu viel ist. Ich aber habe noch nie nur wegen des Lohnes gearbeitet. Der ist mir nicht so wichtig, wirklich nicht. 

Interview: Edith Hollenstein, Bild: NZZ

Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie in der Dezemberausgabe des "persönlich"-Magazins. Dort spricht der NZZ-Chefredaktor über die Erfahrungen mit der Paywall und er erklärt, warum die Debatte um Qualität im Journalismus für die NZZ von Nutzen sein kann, er sich aber gegen jegliche Form staatlicher Unterstützung wehrt. Auch die Sommerlochgeschichte rund um die "Pornosekretärin" ist ein Thema, genauso wie Zynismus in der Medienbranche.



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