02.09.2015

NZZ

"Wir sollten das liberale Profil weiter schärfen"

Seit Kurzem kommt die "Neue Zürcher Zeitung" unter der Woche schlanker daher, dafür umso umfangreicher am Wochenende. Dieser Relaunch war eines der wichtigsten Projekte von Eric Gujer in seinen ersten Monaten als neuer NZZ-Chefredaktor. persoenlich.com hat ihn Mitte August in seinem Büro an der Falkenstrasse getroffen. Ein Gespräch über den Liberalismus als Richtmass, über Lifestyle, den er neu vollständig der "NZZ am Sonntag" überlässt und die Diskussionen um seine Rolle bei der Beratung des Nachrichtendienstes.
NZZ: "Wir sollten das liberale Profil weiter schärfen"

Herr Gujer, "Game of Thrones" sei eine Ihrer Lieblingsserien, sagten Sie in einem Interview zum Amtsantritt. Kommen Sie weiterhin dazu, Serien zu schauen?
Ja, hin und wieder. Mein Zeitbudget hat sich allerdings deutlich verändert und die Zeit für private Dinge ist geringer geworden.

Was heisst das in Bezug auf Filme und Serien?
Das betrifft mein Zeitbudget für Privates insgesamt. Ich habe mir bis dato keine Rechenschaft darüber abgelegt, welcher Bereich sich um welchen Prozentsatz verringert hat. Da ich nicht nur Serien schaue, sondern auch andere Dinge tue, ist das schwer zu sagen.

Wie haben Sie die fünf Monate als NZZ-Chefredaktor erlebt?
Im Vordergrund standen zwei grosse Projekte. Zum einen der Relaunch unserer Webseite nzz.ch. Dieser ist sehr erfolgreich über die Bühne gegangen. Wir wollten die Homepage aufräumen und gleichzeitig die technischen Parameter verbessern, zum Beispiel die Ladezeit, die ja sehr wichtig ist für die ungeduldigen Online-User. Das zweite Projekt ist die neue NZZ. Unter dem Projekttitel „NZZ Neo“ ging es darum, die NZZ fit zu machen für die Lesergewohnheiten im beginnenden 21. Jahrhundert. Das heisst konkret zum Beispiel: Wir sind schlanker unter der Woche. Am Wochenende jedoch – also am Freitag und Samstag – haben wir das Angebot ausgebaut. Wir wechselten von drei auf vier Bünde, denn es hat sich herausgestellt, dass die Leser eine Vierbundstruktur mehrheitlich bevorzugen. Mit dem neuen Wochenend-Bund am Freitag knüpfen wir an eine alte NZZ-Tradition an. Es gab schon einmal einen NZZ-Wochenendbund, der sich ganz besonders der längeren, opulent bebilderten Reportage widmete.

Die NZZ hat sich ja immer dem Prinzip "Digital first" verpflichtet. Trotzdem renovierten Sie die Printausgabe, und zwar sehr aufwändig. Das ist doch ein Widerspruch.
"Digital first" bedeutet, dass wir Ressourcen aus dem Print- in den Digitalbereich verlagern. Das werden wir fortführen. Und zugleich werden wir natürlich auch die Zeitung verbessern, denn: Das eine tun, heisst ja nicht, das andere zu lassen. Es wäre dumm zu sagen, wir machen nur noch Digitales, weil wir ja viele Leser haben, die Print bevorzugen.

Wie spürt man der Zeitung an, dass Sie Chefredaktor sind?
Die neue Struktur der Chefredaktion ermöglicht es mir stärker als meinem Vorgänger, mich um die Redaktion zu kümmern. Das ist ein grosser Vorteil. Ich habe immer gesagt, dass die NZZ nicht alles anbieten kann und muss. Doch das, was wir anbieten, machen wir besonders gut. Mir ist es wichtig, das Profil zu schärfen.

Wie ist das sichtbar?
Ich glaube, dass wir aktueller und pointierter geworden sind in der Kommentierung. Wir sollten das liberale Profil noch weiter schärfen, gerade auch im Lokalteil. Wir müssen aber wie gesagt nicht alles machen. Den Lifestyle-Bereich im Online überlassen wir zum Beispiel neu den Kollegen von der "NZZ am Sonntag".

Bedeutet das mehr kommentierende Texte?
Das bedeutet, dass wir klar machen müssen, wofür die NZZ steht – nämlich für eine Haltung, die der Freiheit des Einzelnen verpflichtet ist, die staatlichem Engagement kritisch gegenübersteht und für eine grösstmögliche Freiheit auch der Wirtschaft eintritt. Das sind die liberalen Grundpfeiler. Diese gilt es in der täglichen Arbeit an konkreten Sachfragen anzuwenden.

Wie vermitteln Sie diese Grundsätze der Redaktion?
Wichtig ist hier ein Mix: Präsenz in der Redaktion, eigene Kommentierung, interne Diskussionen.

Sie haben vorher gesagt, Lifestyle-Themen wollen Sie keine mehr. Auch Boulevard soll die NZZ nicht machen, sondern vielmehr auch auf Sprache und Stil fokussieren.
Ja, Sprache ist ein wichtiges Thema, doch da haben wir schon ein hohes Niveau, gerade wenn wir sehen, was unsere Mitbewerber tun und lassen.

An wen denken Sie da?
Da will ich keine Namen nennen. Doch ich möchte meine Aussage zu Lifestyle-Themen auf nzz.ch präzisieren. Die "NZZ am Sonntag" baut diesen Bereich aus, so dass wir insgesamt auf unserer Webseite nicht weniger Lifestyle-Themen haben werden. Doch diese macht eben nicht die "Neue Zürcher Zeitung", sondern die "NZZ am Sonntag". Das sind die Fachleute für dieses Thema.

Diesen letzten Satz sagen Sie mit einem Schmunzeln im Gesicht, wie Sie es bisher in diesem Interview noch nicht hatten. Warum?
Ich habe grossen Respekt davor, einen guten, nicht simplen Lifestyle-Teil zu machen. Das macht die "NZZ am Sonntag" hervorragend und ich wundere mich, dass wir diese Idee nicht schon viel früher hatten. Deswegen habe ich ein bisschen geschmunzelt.

Eine wahrscheinlich schwierige Phase war, als Sie Mitarbeiter entlassen mussten. Sieben Kündigungen und einige Frühpensionierungen mussten Sie aussprechen. Nach welchen Kriterien geschah dies?
Sie werden verstehen, dass ich zu den einzelnen Fällen und damit zu den Kriterien, nach denen diese Kündigungen ausgesprochen wurden, in der Öffentlichkeit keine Angaben machen kann. Schon aus Respekt vor den betroffenen Mitarbeitern. Ich kann Ihnen nur erklären, was der Hintergrund dieser Massnahme ist: Wir waren zwischenzeitlich über Budget, weil wir eine Reihe von Anstellungen vorgenommen hatten. Geplant war, dass an anderer Stelle Personal abgebaut werden sollte. Es wurde nur der Aufbau vollzogen, der Abbau hingegen nicht. Das mussten wir jetzt nachholen. Deswegen kam es zu diesen Kündigungen. Trotzdem sind wir immer noch ein gutes Dutzend Stellen über dem Stellenplan von Ende 2013.

Vielleicht können Sie jedoch sagen, wer über die Kündigungen entschieden hat: Sie oder die Ressortleitung?
Auch hier kann ich keine Stellung nehmen, das sind interne Prozesse, die wir nicht nach aussen kommunizieren.

Doch Sie als Chefredaktor waren informiert?
Sie können davon ausgehen, dass wir in der NZZ untereinander kommunizieren.

Welche Rolle spielt bei solchen Entscheidungen die Tatsache, dass Ihre Ehefrau auf der gleichen Redaktion im Feuilleton-Ressort arbeitet?
Keine.

Vor einigen Wochen gab es die heftige Diskussion um Ihre Rolle bei der Beratung des Schweizerischen Nachrichtendienstes.
(wird lauter) Hier müssen wir jetzt wirklich einmal einen Punkt machen. Ich habe zu keinem Zeitpunkt für den Nachrichtendienst gearbeitet. Ich weiss nicht, wie Sie darauf kommen.

Es geht um die Aussage in einem Interview, das der "Schweizer Monat" veröffentlicht hatte. Rainer J. Schweizer erwähnte, dass Sie im Beirat des NDB waren.
Das ist eine falsche Aussage. Es gibt keinen Beirat des NDB, darum war ich auch nie Mitglied. Richtig ist, dass ich bei der Ausarbeitung des neuen Nachrichtendienstgesetzes, wie andere Experten auch, zu diesem Thema konsultiert worden bin. Ich habe dabei das gesagt, was ich auch immer wieder in der NZZ geschrieben habe - insofern herrscht hier allergrösste Transparenz. Nämlich: Dass ich glaube, dass eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer von ihrem Staat erwartet, dass er sie gegen solche Bedrohungen wie beispielsweise den islamistischen Terror schützen kann und deswegen ein neues Nachrichtendienstgesetzt notwendig ist.

Hier kann man darüber diskutieren, inwiefern das nun eine liberale Haltung ist. Das Nachrichtendienstgesetz beschneidet ja die Rechte des Einzelnen durchaus.
Liberalismus ist immer auch eine Güterabwägung. Natürlich tritt er für die Wirtschaftsfreiheit ein, aber nicht für eine, die über Leichen geht. Auch in der Wirtschaft machen gewisse Regulierungen Sinn. Freiheit und Sicherheit sind eine solche Güterabwägung. Meine Freiheit, mich zu entfalten, kann ich nur dann ausüben, wenn ich meine Grundbedürfnisse gesichert habe. Insofern glaube ich, dass es sich gerade aus liberaler Sicht gut begründen lässt, wenn man für einen vernünftigen Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit eintritt. Aber lassen Sie uns nochmals auf die eingangs zu diesem Themenkomplex von Ihnen formulierte Frage zurückkommen. Ich glaube, es geht weniger darum, ob ich nun vom NDB konsultiert worden bin oder nicht. Sondern um die Frage, warum wir diese Diskussion überhaupt führen.

Was vermuten Sie?
Einzelne Gegner des Nachrichtendienstgesetzes haben ganz klar gesagt, die NZZ sei eine der wenigen Zeitungen, die für das Nachrichtendienstgesetz in seiner jetzigen Form eintrete. Natürlich wird hier ein politischer Kampf geführt, bei dem es auch darum geht, diese Stimme, die sich für Freiheit und Sicherheit gleichermassen einsetzt, zum Verstummen zu bringen. Und dafür greift man eben auch auf eklatante Unwahrheiten zurück, wie zum Beispiel die Behauptung, ich unterhielte eine enge Beziehung zur CIA. Völliger Unsinn.

Diese Aussage mit der CIA stammt aber nicht von Herrn Schweizer.
Nein. Diese Aussage über die Verbindungen zur CIA hat Grünen-Nationalrat Daniel Vischer in der "Schweiz am Sonntag" geäussert. Und diese Behauptung ist offensichtlich unwahr.

Dann können Sie vielleicht an dieser Stelle genau sagen in welchem Zeitraum und wie oft Sie vom NDB konsultiert wurden.
Das waren einige Gespräche. Der genaue Zeitraum ist mir nicht mehr präsent.

Was waren das für Gespräche? Einzelgespräche? Gruppendiskussionen?
Mehrere Experten wurden befragt in einer grösseren Runde.

Nach der Publikation des Interviews im "Schweizer Monat" und der aufkeimenden Diskussion distanzierte sich René Scheu, der Chefredaktor des Hefts, relativ schnell über Twitter. Freute Sie diese Entschuldigung?
Von diesem Tweet habe ich keine Kenntnis. Es freut mich aber, dass eine falsche Behauptung richtig gestellt wurde.

Nun ist René Scheu neuer Feuilletonchef. Warum ist er der Richtige?
Weil ich ihn für den besten Mann für diesen Job halte.

Inwiefern mussten Sie bei dieser Ernennung das Ressort anhören, oder konnten Sie selber bestimmen?
Natürlich ist die Besetzung von Ressortleitungen eine der Kernaufgaben des Chefredaktors.

Während für Ernennungen der Chefredaktion im NZZ-Statut vorgesehen ist, dass die Redaktion angehört werden muss, ist dies demnach bei Ressortleitungen nicht der Fall.
Nein.

Dann würde ich gerne nochmals etwas Persönliches erfahren, um auf den Anfang des Gesprächs zurückzukommen. Welche Strategien haben Sie, um abzuschalten, resp. was tun Sie in Ihrer Freizeit?
Ich betreibe Ausdauersport und lese gerne. Und ich gehe wandern. Da unterscheide ich mich nicht so sehr von anderen Leuten.

Interview: Edith Hollenstein, Bilder: NZZ


Das vollständige Interview finden Sie in der September-Ausgabe des "persönlich"-Magazins.



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