18.01.2015

Peter Hogenkamp

"Wie Twitter ohne das nervige Drumherum"

Rund ein Jahr nach seinem Abgang bei der NZZ meldet sich Ex-Digitalchef Peter Hogenkamp zurück und lanciert eine neue News-App. "Niuws" ist ein Aggregator, der Nachrichten verschiedener Medien übersichtlich bündelt. Also eine Art iTunes für Nachrichten oder "eine Alternative zu '20 Minuten' oder 'Blick am Abend' für Goldküsten-Pendler", wie Newscron-Präsident und -CEO Hogenkamp sein Start-up-Projekt nennt.
Peter Hogenkamp: "Wie Twitter ohne das nervige Drumherum"

Herr Hogenkamp, Sie lancieren die App "Niuws" und niu.ws, einen neuen News-Aggregator mit Fokus auf handkuratierten News. Wer soll das lesen?
Professionals, berufstätige Leute mit Führungsverantwortung, in Deutschland nennt man gern "Entscheider", in der Schweiz meist "Kader". Das ist eine Nische, aber keine kleine; man geht von gut zwei Millionen Personen im DACH-Raum aus.

Sie sprechen also die gleichen Leser an wie die NZZ, die Süddeutsche, oder die FAZ. Diese Leute informieren sich doch direkt über die entsprechenden Medien-Apps.
Klar informieren die sich über die genannten Medien und das sollen sie auch weiterhin machen. Wir gehen nicht davon aus, dass irgendjemand unseretwegen die NZZ-App vom Smartphone löscht. Aber die Leute haben ja unterschiedliche primäre News-Quellen, und kaum jemand wird – wie ich dummerweise – zwei Dutzend News-Apps auf seinem iPhone installiert haben. Der Platz der sekundären Quelle, bei der man sich regelmässig informiert, nachdem man die Breaking News anderswo gelesen hat, scheint mir sehr attraktiv.

Zudem möchte ich gleich wieder relativieren, was ich gerade gesagt habe: Die starre zielgruppenspezifische Mediennutzung ist doch mehr oder weniger passé. Schauen Sie im Tram an der Bahnhofstrasse oder in der Goldküsten-S-Bahn, wie viele aus der Kader-Zielgruppe "20 Minuten" oder den "Blick am Abend" lesen. Wir finden, in dieser Zeit können wir ihnen einen guten Mehrwert bieten mit Niuws. Wobei ab Erlenbach nur noch EDGE ist, das nervt – aber bis dahin hat man seine fünf Boxen bei uns durchgeschaut.

Sie hätten doch einfach einen Twitter-Account erstellen können und dort täglich fünf lesenswerte Storys verlinken.
Also, erstens ist bei Weitem nicht jeder auf Twitter oder Facebook. Viele Leute empfinden Twitter immer noch als recht kompliziert und geeky. Ausserdem kenne ich kaum jemanden, der konsequent nur so wenigen Leuten folgt, dass er wirklich alles mitlesen kann; das wäre Voraussetzung, wenn man sich einen Überblick über die Nachrichtenlage in seinem Gebiet verschaffen wollte. Aber natürlich ist Twitter auch in vielem unser Vorbild: Niuws soll ein bisschen sein, wie Twitter ohne das nervige Drumherum.

Was ist mit Facebook?
Bei Facebook ist die Lage durch den obskuren Filterbubble-Algorithmus noch komplizierter. Natürlich könnten wir eine Niuws-Seite machen, die die Leute dann liken, und dort sehen sie die verlinkten Artikel. Aber niemand weiss sicher, ob er sie auch wirklich angezeigt bekommt.

Doch es gibt schon Kurationsplattformen, z.B. Storyfilter.
Klar, es gibt immer alles mögliche schon, aber nichts, das mich wirklich überzeugt. Storyfilter ist sicher spannend, weil man sieht, wieviel ein einzelner Mann mit geschickter Kuratierung ausrichten kann. Aber sein Anspruch ist mit Listicles wie "11 Eltern, die WhatsApp nicht kapieren" ganz offenbar ein anderer, - die Zielgruppe solcher Artikel sind eindeutig keine Geschäftsleute.

Was macht Niuws besser?
Es gibt inzwischen an diversen Orten kuratierte Inhalte. Aber das ganze ist noch recht zersiedelt und sicher kein Massenphänomen, weder auf der Anbieter- noch auf Nachfragerseite. Und dann die Technologie. Es gibt praktisch keine Technologie, die den Namen verdient. Am meisten kuratiert wird per E-Mail-Newsletter, die Technologie ist also von 1971. Die Kuratoren versenden statische Inhalte, die sie eine Sekunde nach dem Abschicken nicht mehr aktualisieren können. Das kann wohl kaum so bleiben.

Martin Steiger, Barbara Josef, Nick Lüthi, Martin Weigert, Andreas von Gunten: Bei allen den bekannten Namen unter den Kuratoren: Reichen 15 Leute?
Zum Launch werden es voraussichtlich 15 Kuratorinnen und Kuratoren sein. Wir wollen rasch auf rund 30 wachsen und dann weitersehen. Nach dem Launch heute Montag wird das erheblich einfacher werden, denn nun können wir das Produkt und die Traktion zeigen.

Zahlen Sie den Kuratoren einen Lohn?
Zunächst mal: Newscron beschäftigt derzeit acht Mitarbeiter, also rund sechs Vollzeitäquivalente, und zahlt natürlich allen einen marktüblichen Lohn. Und nein, davon sind keine Praktikanten; den suchen wir noch.

Kuratierung dagegen sehe ich weniger als Job, sondern als öffentliches Mitlesen-Lassen privater Bookmarks. Stellen Sie sich anhand der aktuellen Euro-Franken-Debatte vor, Sie wüssten, welche Artikel zum Thema zum Beispiel Nick Hayek gut fand. Er hat öffentlich von einem "Tsunami für die Exportwirtschaft gesprochen", aber das war natürlich PR. Welcher Kommentar in der NZZ oder in der FT hat ihm aus der Seele gesprochen? Jean-Claude Biver hat sich differenziert im "Echo der Zeit" geäussert. Welche Artikel hat er gelesen? Das würde ich gern wissen. Und wieso soll Biver als Innovator die nicht sharen? Weil er bisher kein Tool dafür hatte.

Nick Hayeck und Jean-Claude Biver sollen bei Niuws als Kuratoren einsteigen?
Natürlich konnten wir die beiden bisher noch nicht ins Boot holen, weil Kuratierung als Prinzip noch nicht etabliert genug ist. Und weil man schlecht als Start-up zu einem CEO gehen kann und sagen: "Du weisst zwar noch nicht, was wir machen, aber gib uns mal Deinen Namen für unsere PR".

Daher starten wir mit Online-afffinen Experten aus verschiedenen Branchen, die Kuratierung schon kannten. Aber Hayek und Biver schreibe ich mal eine Mail, das war jetzt eine lustige Idee. Wichtig wäre allerdings dann, dass sie es nicht delegieren. Ich will nicht wissen, was die Kommunikationsabteilung von LVMH meint, dass ihr Uhrenchef befürworten sollte, sondern was er wirklich liest. Anders als noch vor einigen Jahren, als Konzernchefs sich noch Mails ausdrucken liessen, hat heute ja jeder sein Smartphone.

Kuratieren ist also kein Ferienjob für Gymnasiasten.
Nein. Wir wollen keine Studenten, die Kuratierung als Job ansehen, morgens ein paar Links raushauen, und danach wieder ins Bett gehen. Wir suchen Experten, die einem Thema sowieso rund um die Uhr folgen und daher bereits Links für sich selbst oder ihr Team "bookmarken". Das eigentliche Publizieren der Links dauert dann noch zehn Minuten am Tag.

Aber nochmals: Sie suchen zwar Top-Kuratoren, zahlen aber keinen Lohn.
Sorry, ich gerate immer ins Schwärmen, weil mich die Vision der menschlichen Kuratierung begeistert. Um endlich auf Ihre Frage zu antworten: Wir zahlen den Kuratoren derzeit nichts. Das geht natürlich nur, weil alle einen Hauptjob haben. Sie arbeiten als Selbstständige, Berater, Anwälte, Kommunikationsfachleute – und genau das macht sie aufgrund ihres Know-hows für uns attraktiv. Wenn wir mal für bestimmte Themen "Profi-Kuratoren" einstellen, würde ich die auch moderat dafür bezahlen.

Inwiefern werden die Produzenten der von Ihnen verlinkten Storys finanziell entschädigt?
Sie werden belohnt mit Traffic. Wir verlinken sie.

Als Sie noch NZZ-Digitalchef waren, hätten Sie das noch anders gesehen.
Ich habe Newscron ja kennengelernt, als ich noch auf der anderen Seite sass. Der Gründer Elia Palme kam zu mir und zeigte mir die Statistiken der "alten" Newscron-App, dass sie uns jeden Monat 50’000 User schickten. Die wollte ich gern behalten.

Verlagsleute stellen meist zwei Fragen, wenn es um Kuratierung geht. Erstens: Schickt Ihr die Leser auch auf meine Website? – Ja, machen wir, wenn möglich auf die mobile Version. Zweitens: Zeigt Ihr auf meiner Seite eure Werbung an? – Nein, machen wir nicht; derzeit haben wir gar keine Werbung. Danach sind eigentlich alle entspannt.

Die Verlage stehen Niuws positiv gegenüber?
Ich hatte Kontakt mit diversen Verlagen in der Schweiz und in Deutschland, habe freundlich gefragt, ob es in Ordnung geht, wenn wir in einer Kuratierungs-App auf ihre Inhalte verlinken. Bisher haben alle zugesagt. Ich gebe zu, das war keine Vollerhebung, es könnte jemand kommen und sagen, wir möchten das nicht. Dann würden wir unseren Kuratoren sagen: "Bitte verlinkt die Seiten vom Verlag X nicht mehr". Ich bin nicht mal sicher, ob man uns das wirklich verbieten könnte, aber ich suche mit niemandem Streit. Ich würde dann lieber in ein paar Monaten wieder dort anklopfen mit ein paar Statistiken, wie Elia Palme es bei mir gemacht hat.

Sie erwähnten auch deutsche Verlage. Wie steht es denn dort mit dem Leistungsschutzrecht?
Beim deutschen Leistungsschutzrecht geht es um "systematische Zugriffe". Im Gesetzestext sind die Adressaten explizit aufgezählt: "Suchmaschinen und Anbieter von solchen Diensten im Netz, die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten". Das machen wir eindeutig nicht, erstens wird bei uns von Hand verlinkt, zweitens haben wir nicht mal eine Suchfunktion.

Und in der Schweiz?
Die Debatte entspannt sich: Verbandspräsident Lebrument hat ja kürzlich mit Google öffentlich die Friedenspfeife gereicht. Aus sehr nachvollziehbaren Gründen, wie ich finde. Auch sind bei den meisten Verlagen inzwischen Leute am Ruder, die Online besser verstehen. Ich würde behaupten, dass es ein sinnloses Hickhack wie 2006 bei "FAZ gegen Perlentaucher", bei dem ein Gericht verbieten sollte, Feuilleton-Inhalte zu verlinken, heute nicht mehr geben würde. Gerade die FAZ hat mit Mathias Müller von Blumencron inzwischen auch einen echter Digitalen als Chef. Der weiss um die positive Kraft des Links.

Werden auch Artikel verlinkt, die kostenpflichtig sind?
Das entscheiden die Kuratoren selbst. Die meisten Paywalls sind ja durchlässig, man kann also einige Artikel lesen. Aber natürlich würde bei unserem Inline-Browser auch die Paywall greifen. Eines unserer Vorbilder für gutes Kuratieren, "Quartz" in New York, verlinkt regelmässig Artikel aus dem "Wall Street Journal", dann halt mit einem Hinweis "Paywall". Die vom WSJ ist bekanntlich hart. Man muss sich also einloggen, um den Artikel zu lesen. Wer kein Abo hat, klickt dann halt nicht drauf.

Herr Hogenkamp, Sie sind Präsident und CEO von Newscron. Wie leben Sie jetzt im Vergleich zu Ihrem früheren Job bei der NZZ?
Ich lebe sehr gut. Ich möchte die Zeit bei der NZZ nicht missen, aber ich möchte auch nicht zurück.

Das Unternehmen ist ein Start-up.
Natürlich mache ich jetzt wieder typische Start-up-Dinge, zumal wir noch keine interne Administration oder Assistenz haben. Unsere acht Mitarbeiter teilen sich auf fünf Nationen auf, also ist unsere interne Sprache Englisch, wobei wir in Lugano auch Kontakt zu Stellen haben, die nur Italienisch akzeptieren, was ich nicht beherrsche. Letzte Woche habe ich einen halben Tag lang Formulare zu Lohnabrechnung und Sozialversicherungen vom Deutschen ins Englische und dann mit Online-Tools ins Italienische übersetzt. Sowas musste ich natürlich bei der NZZ nicht machen. Ich hatte immer das Gefühl, es liegen ein paar Schichten zwischen einem selbst und der eigentlichen Arbeit. Das klingt zuerst attraktiv, aber dann fragt man sich gelegentlich: Was mache ich hier eigentlich, ausser in Meetings zu sitzen? Dieses Problem habe ich heute definitiv nicht mehr. Wir arbeiten derzeit vor dem Launch fast rund um die Uhr, und so stressig es ist: Ich geniesse jeden Tag. Es gibt nicht Schöneres, als etwas von Null zu konzipieren und dann zu sehen, wie es um sich greift.

Wie finanzierten Sie diese Phase?
Wir haben 2014 eine Finanzierungsrunde gemacht, bei der ich auch investiert habe, so bin ich zu Newscron gestossen. Wir haben genug auf dem Konto für einige Monate und schlafen entspannt. Doch natürlich ist bei einem Start-up das Geld immer knapp, man muss viel improvisieren, was es wieder aufwändiger macht. Aber das ist auch ein faszinierender Unterschied zu einem grossen, etablierten Unternehmen: Dort hat man viel mehr Budget, trotzdem geht alles viel langsamer, weil ständig so viel Energie in interne Überzeugungsarbeit fliesst. Man sitzt ja nicht nur in den Sitzungen, sondern man muss vor wichtigen Sitzungen auch die anderen bilateral "abholen", damit es gut rauskommt. Das vermisse ich definitiv nicht.

Mir ist der Sprachmix aufgefallen. Die App-Elemente sind auf Englisch, die Kuratoren deutschsprachig, die Inhalte gemischt. Wie kommt das?
Ja, das finden wir auch nicht optimal und werden es mittelfristig anpassen. Aber es ist nicht dramatisch. Im Sinne der Effizienz war es nicht anders machbar. Natürlich ist es technisch keine grosse Sache, eine App mehrsprachig zu machen. Wir hatten das zuerst, aber dann haben wir den Mehraufwand gesehen und auf Englisch reduziert.

LinkedIn-Gründer Reid Hoffman sagt ja: "If you are not embarrassed by the first version of your product, you've launched too late." Insofern launchen wir wahrscheinlich tatsächlich zu spät, im Oktober wäre es noch richtig peinlich gewesen. Jetzt finde ich eigentlich das Produkt schon ganz okay, auch wenn es natürlich noch an allen Ecken Verbesserungspotenzial gibt.

Was die verlinkten Inhalte angeht: Wenn es zu einem Thema gleichwertige Artikel gibt, wollen wir möglichst einen deutschsprachigen verlinken sollen. Oft ist das natürlich nicht der Fall, dann halt den englischen. Ich gehe davon aus, dass das bei der Zielgruppe kein Problem sein sollte. Und irgendwann kann man dann konfigurieren, welche Sprachen man versteht, dann zeigt einem die App nur noch diese Artikel an.

Wann wird Ihre Firma mit diesem Angebot Geld verdienen?
Wir haben schon bei der Konzeption eine recht lange Liste gemacht mit verschiedenen Businessmodell-Varianten. Ich glaube nicht daran, ein solches Produkt für die Nutzer kostenpflichtig zu machen, nicht mal für unsere eigentlich zahlungskräftige Zielgruppe. Die meisten Anbieter von Premium-Content überschätzen ihre "Unverzichtbarkeit". Auch TKP- oder performance-basierte Werbung dürfte eher schwierig werden in unserer exklusiven, aber zahlenmässig nicht riesigen Zielgruppe. Native Advertising, also gesponserte Inhalte, wäre denkbar, aber man kennt die möglichen Probleme.

Daher setzen wir auf ein B2B-Modell: Wir bieten "private Boxen" für Firmen an, die sich mit ihrer Firmen-Adresse registrieren können und dann handkuratierte Inhalte sehen, die von der internen Kommunikation oder dem Knowledge-Management-Team oder wem auch immer zusammengestellt sind. Viele Firmen haben ja das Problem, das ihre Intranets zu wenig genutzt werden. Niuws bringt eine Art Intranet-3.0-Feed auf die Smartphones der Mitarbeiter. Ich habe dazu einige Sondierungsgespräche mit Firmenchefs geführt. Alle waren positiv bis begeistert. Ich möchte noch im Q1 das erste Pilotprojekt anschieben. 


Peter Hogenkamp ist seit fast 20 Jahren Internet-Unternehmer und hat u.a. die Zeix AG und die Blogwerk AG gegründet. Von 2010 bis 2013 war er Leiter Digitale Medien bei der NZZ. Vor einem Jahr hat er in die Newscron SA investiert, inzwischen ist er VR-Präsident und CEO.

Newscron entstand als Aggregator-App, zunächst unter dem Namen "Nüwsli", im Rahmen der ETH-Dissertation des Gründers Elia Palme. Die App hat rund 400’000 Downloads und 65’000 monatlich aktive User. Die gleichnamige Firma wurde 2012 gegründet. Sie hat ihren Hauptsitz in Lugano und neuerdings ein Büro in Zürich.

Niuws (Website: niu.ws) ist die neue App von Newscron mit Handkuratierung und der Zielgruppe Geschäftsleute. Derzeit verlinken 15 Expertinnen und Experten jeden Tag Artikel aus ihrem Fachgebiet. Die App ist kostenlos. (eh)

Bericht: Edith Hollenstein, Bilder: zVg

 



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