07.11.2015

Schweizer Journalist

"Unsere Branche ist hochgradig tratsch-orientiert"

Kurt W. Zimmermann wird interimistischer Chefredaktor des "Schweizer Journalisten". Was hat er mit dem Branchenmagazin vor? persoenlich.com hat mit Zimmermann über die Zukunft seiner Medienkolumne in der "Weltwoche" gesprochen und ihn gefragt, welcher Chefredaktor wohl als nächstes in die Politik einsteigen wird.
Schweizer Journalist: "Unsere Branche ist hochgradig tratsch-orientiert"

Herr Zimmermann, wo werden Sie beim "Schweizer Journalist" eigene Akzente setzen?
Das Blatt ist gut aufgestellt und braucht keine grossen Konzeptänderungen. Vielleicht wird das eine oder andere Gefäss neu dazukommen. Ich trete aber nicht als der grosse Zeitschriftenrevolutionär an.

Welche neuen Gefässe stellen Sie sich da vor?
Vielleicht etwas mehr People-Elemente. Unsere Branche ist ja hochgradig tratsch-orientiert.

Also wird es bei Ihnen mehr Gerüchte geben?
Reine Gerüchteküchen sehe ich weniger, die haben eine zu geringe Halbwertszeit. Aber Ondits, für die es konkrete Hinweise gibt, sind natürlich willkommen.

Wie sind Sie überhaupt zu diesem Engagement gekommen?
Ich habe mich mit Verleger Hans Oberauer vor zwei Wochen hier im Südtirol geeinigt. Wir sassen mitten in wunderschönen Weinbergen, bei einer Speckplatte und Weisswein, und da sagte er: "Mach doch das."

Sie werden den Posten für maximal ein Jahr übernehmen?
Hans Oberauer brauchte recht kurzfristig eine Lösung, weil Markus Wiegand zum "Kress Report" wechselt. Ich mach das jetzt mal für ein Jahr. Danach schauen wir weiter.

Zuletzt waren Sie häufiger im Südtirol. Werden Sie nun wieder definitiv in die Schweiz ziehen?
Ich werde künftig noch mehr pendeln zwischen Schweiz, Südtirol und Salzburg, wo der Verlag seinen Sitz hat. Aber das sind ja keine Distanzen.

Wie viele Texte werden Sie für das Magazin schreiben?
Ich werde wohl etwa gleich viel schreiben wie Markus Wiegand, wenn ich das schaffe. Natürlich brauche ich Mitarbeiter. Jede Zeitschrift wird mit einem Team produziert.

Auf welchen Interviewpartner freuen Sie sich besonders?
Bemerkenswerte Köpfe gibt es in der Branche viele. Im Moment wäre es beispielsweise attraktiv, mit Michael Ringier, Arthur Rutishauser, Ralph Büchi oder Iris Mayer zu reden. Auch wenn die Branche in der Schweiz klein ist, an hochinteressanten Personen fehlt es nicht.

Sie sagten einst, Print sei nicht zu retten. Gilt das auch für den "Schweizer Journalist"?
Ich muss da differenzieren. Eine reine Print-Tageszeitung hat vermutlich keine Zukunft oder nur eine mittelfristige Zukunft. Das Zeitschriftengeschäft hingegen ist deutlich stabiler. Zielgruppenzeitschriften wie der "Schweizer Journalist" können nicht einfach online ersetzt werden.

Werden Sie Ihre Medienkolumne in der "Weltwoche" weiterführen?
Ja, die werde ich weiterhin machen.

Wo bringen Sie künftig einen Primeur: in der "Weltwoche" oder im "Schweizer Journalist"?
Es wäre zu schön, wenn ich so viele Primeurs hätte, dass ich sie mit der Zuckerdose auf zwei Blätter verteilen könnte. Die Realität wird profaner sein. Die "Weltwoche"-Kolumne lebt weiterhin aus der Aktualität. Das kann der "Schweizer Journalist" weniger leisten; dort werden wir stärker hintergründige Themen aufgreifen.

Was ist aus Ihrer Sicht die grösste Herausforderung der Schweizer Medienszene? Das angekündigte Joint-Venture von Swisscom, SRG und Ringier?
Nein, sicher nicht. Werbevermarktung ist eine finanziell gesteuerte Organisationsfrage, wird aber nicht Kernthema der Schweizerischen Verlagshäuser sein. Die drängendere Frage ist: Über welche Kanäle kann man welche Inhalte am effizientesten und mit der bestmöglichen Wertschöpfung transportieren?

Sind Facebook oder Google solche möglichen Kanäle?
Ich sehe die digitalen Marktleader nicht als Ersatz-, aber als Parallelwelten. Google oder Facebook werden nie die inhaltliche Kompetenz der Medienunternehmen erreichen. Natürlich werden sie zunehmend zu Content-Produzenten und Content-Vermittlern. Wir werden jedoch eher ergänzende Strukturen erleben und weniger Konkurrenzstrukturen.

"Weltwoche"-Chef Roger Köppel ist nun definitiv in die Politik eingestiegen. Finden Sie das eine gute Entwicklung?
Bei uns im Kanton Solothurn, wo ich aufgewachsen bin, war es üblich, dass der Chef eines grösseren Blatts auch im Kantonsrat oder im nationalen Parlament sass, dies in allen Parteien. Die führenden Journalisten waren stets auch politisch aktiv. Ich finde das grundsätzlich gut.

Jedoch hat sich dieses Verständnis seither stark verändert.
Ja, als die sogenannten Forumszeitungen aufkamen, hat sich das verändert. Nun wurden Journalisten parteipolitische Eunuchen. Doch davon ist man wieder abgerückt. Mit dem medialen Wandel zurück zu mehr Meinung und mehr Haltung ist auch das politische Engagement von Medienleuten wieder enttabuisiert worden. Dieser Tendenz ist folgerichtig und gefällt mir durchaus.

Die Enttabuisierung ist aber noch nicht weit fortgeschritten.
Nur Opportunisten haben damit ein fundamentales Problem. Dabei ist es eine uralte Tradition in der Schweiz. Niemand hatte ein Problem damit, dass AZ-Chefredaktor Helmut Hubacher Politiker und später SP-Parteipräsident war, dass Kurt Müller NZZ-Inlandchef und Nationalrat oder dass Edgar Oehler CVP-Parlamentarier und Chefredaktor der "Ostschweiz" war. Diese Tradition kommt nun wieder zurück, bis hin zur Nationalrats-Kandidatur von Woz-Journalist Andreas Fagetti. Der Trend wird sich eher noch verstärken.

Welcher Journalist folgt denn Ihrer Meinung nach als nächstes in ein politisches Amt?
Da können wir nur spekulieren. Allzu sehr würde es mich nicht überraschen, wenn Markus Somm irgendwann für ein politisches Mandat kandidieren wird. Auch bei Typen wie Patrik Müller, Edgar Schuler oder Werner de Schepper könnte ich mir das durchaus vorstellen. Und wer weiss, was Roger de Weck als nächstes plant?

Interview: Boas Ruh, Bild: Walter Bieri, Keystone



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