05.11.2014

Watson

"Einem Watson-Journalisten steckte anfangs niemand eine Story"

Eine schauderhafte Webseite, keine Exklusiv-Geschichten und nur ein paar wenige Leser: "Schmerzhaft" sei beim Start im Januar der Blick auf das eigene Newsportal gewesen, sagt Hansi Voigt im Nachhinein. Die Baustellen-Phase sei nun aber vorbei. Dass ein neues Kapitel beginnt, soll die am Montag lancierte Werbekampagne "NewsUnfucked" signalisieren. Im Gespräch spricht der Watson-Chefredaktor über die Arbeit im "schalltoten Raum", Verkrampfungen, die "vereinigten Waldorf & Statlers von der Twitterfront", sein Verhältnis zu Ringier und über gekaufte Posts. Damit habe er keine gute Erfahrungen gemacht.
Watson: "Einem Watson-Journalisten steckte anfangs niemand eine Story"

Herr Voigt, als Sie 2012 „20 Minuten“ verliessen, prophezeiten Sie, dass man mit Mobile einst viel Geld verdienen wird. Ist es schon soweit?
Das grosse Geld verdienen wir jetzt sicher noch nicht mit Mobile, aber die Nachfrage steigt mit der Verlagerung der Aufmerksamkeit der Leser auf die mobilen Geräte. Das zeigt sich in der steigenden Nachfrage nach Native Advertising. Wir machen aber auch sehr gute Umsätze mit klassischer Werbung auf dem Desktop. Was mich natürlich sehr freut.

Peter Wälty bezeichnete Watson kürzlich als Himbeer-Brause. Schmerzt das?
Nein gar nicht. Ich mag Peter Wälty sehr. Der sagt wenigstens, was er denkt. Sich über den Kleinen lustig zu machen, ist das Privileg des Grossen. Ihn zu unterschätzen allerdings auch.

Und bezüglich Positionierung und Traffic wird Watson.ch mit Blickamabend.ch verglichen, z. B. vom "Tages-Anzeiger".
Dass Tagi-Online-Chef Michael Marti vorrechnet, dass der "Blick am Abend" quasi ohne Journalisten mehr Traffic macht als Watson, ist schon schmerzhafter als Wältys Aussage. Blickamabend.ch ist ein Kanal auf Blick.ch und bezieht die Mehrheit des Traffics von der Hauptseite. Das ist vergleichbar mit einer neuen Rubrik auf einer grossen Seite oder etwa mit Tillate.ch auf 20minuten.ch. Schmerzhaft ist es deshalb, weil ich dem Tagi, und den vielen Kollegen dort, nach wie vor sehr wohlgesonnen bin. Wenn aber der Online-Verantwortliche unter dem Stichwort "Analyse" sein komplettes Unverständnis der digitalen Medienwelt offenbart, stimmt das wenig zuversichtlich. Falls er auf diese Art seinen eigenen Journalisten mitteilen wollte, dass es sie nicht mehr braucht, hilft auch der beste Führungskurs nichts mehr. In solchen Momenten tun mir die Mitarbeiter leid und man fragt sich als Tagi-Leser und Betrachter eigentlich immer nur noch: "Wo ist Strehle?".

Mit rund 10 Millionen Page Impressions monatlich haben Sie im Vergleich zu früher bei "20 Minuten" mit ca. 650 Mio. PIs noch viel Luft nach oben.
Das waren die Zahlen im September. Einen Monat später, also im Oktober werden wir diesen Wert knapp verdoppeln. Aber klar, der Weg ist weit! Im Moment bin ich schon froh, dass NZZ.ch und tagesanziger.ch beim Mobile-Traffic in Sichtweite kommen.

Aber der Abstand zu "20 Minuten", wo Sie ja hinwollen, ist riesig.
Sie müssen sich vorstellen: Wir starteten im Februar ohne Marke, ohne einen einzigen User, mit ein paar Artikeln. Sie rufen in einen schalltoten Raum. Niemand war da. Wir mussten uns deshalb sehr stark mit der Frage befassen, wie wir unsere News aktiv zu den Lesern bringen, die jedoch noch gar nicht wissen, dass sie unsere Leser sind (lacht). Inzwischen haben wir jeden Tag 100'000 bis 120'000 Unique Clients, oft deutlich mehr. Das ist doch was.

Um die Reichweite zu gewinnen, kaufen Sie Traffic ein. Sie setzten auf Social Seeding von Mediabox, resp. Like Mag. Lohnt sich das?
Uns blieb anfangs nicht viel anderes übrig, wir mussten irgendwie Bekanntheit gewinnen. Doch Traffic einzukaufen, ist sehr heikel. Das ist wie ein Feuer aus Papier machen. Es brennt schnell, aber es wärmt nicht. Wir haben am Anfang Verschiedenes ausprobiert. Wir haben mit Like Mag nach dem ersten Monat aufgehört, denn Aufwand und Ertrag standen in keinem Verhältnis. Jetzt bewerben wir auf Facebook und Google teilweise unsere Artikel, dies aber in einem sehr überschaubaren Rahmen. Es ist letztlich der Inhalt selbst, der sich verbreiten muss. Unsere beste Marketing-Massnahme sind deshalb die Mitarbeiter, die gute, interessante Inhalte erstellen, die man gerne teilt.

Wenn Watson Postings in Facebook-Gruppen wie "Zürich ist die schönste Stadt der Schweiz", "I love Switzerland" kauft, erhalten Sie zwar viele Unique Clients aus der ganzen Welt, aber nur wenige wiederkehrende deutschsprachige Leser.
Ja, deshalb haben wir, wie gesagt, nach einem Monat mit Like Mag aufgehört. Ob Klickzahlen, Unique Clients pro Monat, Visits – grundsätzlich können Sie jeden einzelnen Wert in die Höhe jagen.

Viele Ihrer Redaktoren stammen von "20 Minuten", einige vom "Tages Anzeiger". Da treffen unterschiedliche journalistische Ansprüche aufeinander. Müssen Sie oft in Konflikten vermitteln?
Nein. Im Gegenteil. Manchmal finde ich die Harmonie beängstigend.

Doch auch für langjährige Tagi-Leute ist es bei Watson schwierig, an Primeurs zu kommen. Frustriert das?
Philipp Löpfe muss ja zum Glück nicht mehr von Informanten gefüttert werden. Der weiss ja eh schon alles! Aber es stimmt: Einem Watson-Journalisten steckte anfangs niemand eine Story. Doch auch das beginnt sich zu ändern.

Zum Start im Januar hätten viele mindestens eine grosse Exklusiv-Knaller-Geschichte erwartet. Die anderen Medien hätten Sie zitiert und Ihren Primeur tagelang weitergedreht...
...die anderen Medien werden einen Teufel tun, uns bestimmt nicht zitieren und unseren Primeur schon gar nicht tagelang weiter drehen. Aber das ist part of the game und völlig in Ordnung.

War es ein Fehler, ohne Primeur live zu gehen?
Wir sind live gegangen, nachdem die Journalisten hier zwei Wochen lang erst Pulte zusammengeschraubt, dann ihre Computer in Betrieb genommen haben, und kurz im CMS geübt haben. Wir sind "irgendwie" live gegangen. Hauptsache, so schnell wie möglich – und mit der klaren Botschaft "Vorsicht Baustelle!".

So sah Watson am Anfang aber auch aus. Der erste Eindruck war ernüchternd.
Der Erwartungsdruck war sehr hoch. Aber wir mussten mit einem unfertigen Produkt rausgehen. Uns war klar, dass wir grosse Gefahr liefen, uns ab und an lächerlich zu machen. Aber stimmt: Der Anfang war fürchterlich und oft schmerzhaft, wenn ich auf die eigene Seite ging. Und manchmal ist das heute noch so. Aber wir mussten - und müssen das immer noch - unsere DNA entwickeln. Und das vor aller Augen. Sie müssen sich unseren Start einmal vorstellen! Alle Medienkritiker schauen Ihnen auf die Finger, aber kein normaler Mensch kennt Ihr Produkt. Das führte anfangs oft zur Verkrampfung.

Verkrampfung?
Beim Start waren wir zu fest damit beschäftigt, News abzudecken. Wir produzierten viel zu viel Durchschnittliches. Hauptsache nichts verpassen! Dabei müssen wir mehr Schwerpunkte setzen. Aber das ist nicht ganz einfach und noch deutlich verbesserungsfähig. Das wird wohl unser ewiger Balanceakt bleiben.

Ist die Redaktion nun komplett mit 45 Redaktoren oder stellen Sie weitere Top-Leute ein; ein, zwei Edelfedern, eine Rechercheurin oder einen bissigen Kommentator?
Wir werden uns punktuell verstärken, etwa im Bereich Video. Aber generell ist die Redaktion momentan komplett. Wenn wir die Einnahmen schneller steigern, bauen wir schneller aus.

Wann wird Watson Break Even erreichen?
Das ist für 2017 vorgesehen. Ab dann spätestens wollen wir Gewinn erwirtschaften.

Momentan aber machen Sie noch monatlich 800'000 Verlust, wie der Tagesanzeiger.ch schrieb.
Das war im ersten Monat so. Jetzt sind unsere Verluste nicht mehr so hoch. Dass man beim Start auf der grünen Wiese und mit 65 Leuten auf der Payroll anfangs Verluste schreibt, ist doch völlig logisch. Was die einen "Investition in Inhalt und Zukunft" nennen, nennt der andere "monatlichen Verlust". Das sagt eigentlich schon alles.

Doch 600‘000 oder 700'000 Franken "Investment" monatlich, das ist viel.
Ja klar. Aber die Schere zwischen Aufwand und Ertrag wird monatlich kleiner. Das stimmt mich sehr zuversichtlich. Denn das Potential ist gross.

Die NZZ habe Ihr Content Management Systems (CMS) gekauft.
Die NZZ hat einen kleinen Teil unseres CMS abgekauft.  Es geht um das Editing System, das wir zusammen mit der Firma Upfront entwickelt haben.

An Ihrem CMS könnten nicht nur Verlagshäuser Interesse haben, sondern auch Unternehmen, die ja zunehmend zu Onlineportalen werden.
Dieses Interesse gibt es. Nicht nur für Medienprodukte, sondern auch für externe und vor allem für die interne Kommunikation eignet sich unser System. Wir prüfen aber den Schritt in Software-Vermarktung sehr sorgfältig. Dies war von Anfang an als zweites Standbein eingeplant.

Sie gründeten Watson unter anderem, weil Sie Journalist bleiben wollen. Doch Sie schrieben bisher nicht gerade fleissig. Erst ein einziger Text, eine Kritik an "Blick", stammt von Ihnen.
Das stimmt, publizistisch bin ich bisher nicht so sichtbar. Als Geschäftsführer habe ich noch andere Verpflichtungen. Aber ich leite die täglichen Sitzungen und nehme so starken Einfluss auf unsere Inhalte.

Wie nehmen Sie Einfluss? Gehen alle Watson-Texte über Ihren Tisch, resp. über Ihr Mobile?
Nein, das geschieht dezentral. Früher, als Chefredaktor im Print, schaute ich jeden hinterletzten Text an. Man kontrolliert und merkt hier und dort ein bisschen etwas an, damit die anderen merken: "Aha, der Chef ist hier". Bei Watson führe ich die Leute anders. Ich gebe sehr viel Input. Aber vor allem gebe ich ein kleines bisschen Vertrauen und die Mitarbeiter übernehmen unheimlich viel Verantwortung.

Dennoch muss doch ein Chefredaktor ab und zu selber schreiben, damit er ernst genommen wird.
Ja, das stimmt. Meine Leute fordern das auch: "Schwatz nicht nur, sondern schreib doch selber mal!". Ich nehme es mir auch immer wieder vor. Leider bleibt es meist dabei.

Was ist mit den Native Ads? Helfen Sie hier?
Jedes einzelne Native Ad wird von der Chefredaktion überprüft, bevor es publiziert wird. Ich bin hier sehr aktiv als Inputter bei der Themenentwicklung dabei.

Dass die Native Ads von Ihren Journalisten produziert werden, widerspricht jeglicher Branchenkonvention.
Es widerspricht auch jeder Branchenkonvention, dass nicht mehr Geld in Hülle und Fülle da ist (lacht). Klar, der Grat ist sehr schmal. Aber nennen Sie Native Advertising einfach mal "Themenbeilage", dann ist alles nur halb so schlimm. Ein Native-Ad-Text befasst sich mit einem von einem Unternehmen gewünschten Themenbereich, aber nicht mit der Firma oder gar einem Produkt. Das hat viel mit Redbull-Marketing-Verständnis zu tun und nichts mit Publireportagen.

Wenn aber, extrem formuliert, all Ihre Redaktoren mit dem Schreiben von Native Ads beschäftigt sind, also Fassadenpflege für die Inserenten betreiben, bleibt ja keine Zeit für Recherchen, für Journalismus, der zur Transparenz und Meinungsbildung beiträgt.
Wenn ich ganze Heerscharen mit Native Ads beschäftigen muss, werden wir genug Geld haben für Journalismus, der selbst den Qualitätsansprüchen von Kurt Imhof und den vereinigten Waldorf & Statlers von der Twitterfront genügt.

Im Verkauf arbeitet seit August Florian Wanner. Wie interpretieren Sie die Tatsache, dass der Sohn Ihres Verlegers Peter Wanner in Ihrem Startup arbeitet?
Ich gehe davon aus, dass Florian Wanner von seinem Vater mit einem Spionageauftrag ausgestattet zu Watson geschickt wurde (lacht). Ohne Quatsch: Florian ist ein Riesen-Watson-Fan und vor allem ein guter Verkäufer. Er hat allerdings ein Privileg: Jedes Mal wenn er fünfzigtausend Franken Umsatz nach Hause bringt, darf er eine Runde Fifa 15 spielen. Das dürfen andere nicht (lacht).

Wie stehen Sie eigentlich zu Ringier? Sie haben Ihr Projekt ursprünglich Marc Walder präsentiert, wie die "Sonntagszeitung" schrieb.
Das ist jetzt aber Schnee von gestern. Aber nochmals: Nein, das habe ich nicht. Es gab ein einstündiges Gespräch auf Einladung von Marc Walder. Ich hab ihm keinerlei Details zum Projekt oder dem Businessplan präsentiert, weil ich immer davon ausging, dass Blick.ch unser Konkurrent sein würde. Walder hatte gemäss eigener Aussage den Auftrag von Michael Ringier persönlich gefasst, das Watson-Projekt sorgfältig zu prüfen. Das muss er offenbar in meiner Abwesenheit getan haben. Über die "Sonntagszeitung" liess er Monate später verkünden, dass er sich bei Watson nicht beteiligt. Die Botschaft hatte wohl zwei Ziele. Erstens allfällige Watson-Investoren abschrecken und zweitens Michael Ringier sagen, er hätte Watson sorgfältig geprüft.

Das sind ja harte Bandagen.
Genau, das ist aber kein Problem. Ich kann in diesem Zusammenhang den Ringier-CEO gut nachvollziehen. Schlimm finde ich eigentlich nur den Journalisten der "Sonntagszeitung", der sich trotz meinem klaren Dementi und im vollen Wissen um die Falschheit seiner Meldung, zum Handlanger macht und instrumentalisieren lässt. Einfach um seine zwei Spalten zu füllen. Aber das ist wirklich lange her.

Ist es leichter, auf der grünen Wiese zu starten oder ein traditionelles Medienhaus umzubauen?
Es ist ein enormes Dilemma, an der Spitze dieser Traditionshäuser das alte Modell zu schützen und gleichzeitig das Neue nicht zu verpassen. Einerseits totale Kostenkontrolle, andererseits ein gewisses Mass an Kontrollverlust, ohne das Innovation nicht möglich ist. Ich denke manchmal, dass dies schlicht nicht machbar ist. Das liegt aber nicht an den CEOs sondern am allgemeinen Unwillen zur Veränderung. Dabei sind Renditeerwartungen das eine, festgefahrene Journalisten und auch Leser, die jede Veränderung lauthals beweinen, das andere. Aber immerhin, es lernen ja alle laufend dazu.

Was meinen Sie?
Nehmen Sie nochmal den Ringier-CEO Marc Walder. Der kam vor kurzem von einer zweiwöchigen Bildungsreise aus den USA zurück. Zum Glück ohne Hoodie und ohne Bart, aber dafür mit der festen Überzeugung, dass der konvergente Blick-Newsroom überholt, beziehungsweise Quatsch ist. Ausserdem hatte er einen 5-Punkte-Plan für Medienprodukte der Zukunft im Handgepäck. Der liest sich fast wie eine Watson-Blaupause und ich kann dem nur zustimmen. Bei Ringier tut sich also was und wir machen auch nicht alles falsch.

Interview: Edith Hollenstein, Bild: Keystone, Gaetan Bally

 

 



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