08.11.2012

Thomas Meyer

"Je frommer, desto schlechter kommt mein Buch an"

Am 11. November findet die Verleihung des Schweizer Buchpreises statt. Unter den Nominierten ist auch der Freelance-Texter Thomas Meyer. Sein Debütroman "Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse" ist 2012 die Sensation in der Schweizer Literatur. Mit persoenlich.com spricht Meyer über die religiöse Kritik an seinem Buch, die Balance zwischen formaler Richtigkeit und literarischer Freiheit, jüdische Frauen und werbetexterische Wortschöpfungen wie "Jew Tonic". Das Interview:
Thomas Meyer: "Je frommer, desto schlechter kommt mein Buch an"

Herr Meyer, 2006 veröffentlichte Charles Lewinsky seinen Roman 'Melnitz', 2012 erscheint Ihr Roman 'Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse'. Beide thematisieren unter anderem das jüdische Leben in Zürich. Hat das Judentum in der Schweizer Literatur zuvor überhaupt schon stattgefunden?

Das kann ich nicht beurteilen, weil ich die Schweizer Literatur nicht abschliessend durchforstet habe. Aber soviel ich weiss, gibt es tatsächlich sehr wenig Literatur, die sich mit dem Zürcher Judentum auseinandersetzt. Jemand sagte mir gar, mein Buch sei das einzige.

Dabei hat das jüdische Leben in Zürich eine lange Geschichte. Wieso kommt die literarische Auseinandersetzung erst jetzt?

Es gibt schon Bücher über die Juden in Zürich, aber das sind alles Sachbücher. Warum nicht schon früher jemand die Romanform gewählt hat, weiss ich auch nicht. Das Thema bietet sich ja an.

Ihr Roman und derjenige von Lewinsky kamen sehr gut an. Das Publikum scheint sich also für das jüdische Leben in Zürich zu interessieren.

Der Erfolg eines Buches ist auch davon abhängig, wie es erzählt wird. Ich gehe davon aus, dass der Roman von Herrn Lewinsky und meiner in erster Linie über die Erzählweise funktionieren und erst in zweiter Linie über das Thema. Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass beim Schweizer Publikum ein latentes Interesse gegenüber den Juden bestanden hat, das nun endlich befriedigt worden ist. (Meyer deutet unvermittelt auf das Fenster nach draussen) Sehen Sie da, ein Toyota Previa, mit einer Jüdin drin!

Das ist jetzt also das Modell, das Sie in Ihrem Roman als das typische Automobil orthodoxer Juden in Zürich bezeichnen.

Das ist genau das Modell, ja, und auch drin sitzt genau das Modell einer jüdischen Frau, wie ich es in meinem Buch beschreibe.

Übrigens hat mich Ihre Beschreibung jüdischer Frauen während der Lektüre Ihres Romans auch beschäftigt. Sie beschreiben sie meist als dick und unattraktiv.

Das ist natürlich eine Überzeichnung, so schwarz-weiss ist es nicht. Es gibt sehr viele schöne Jüdinnen, aber halt auch diejenigen, die dem Stereotyp der dicken Mame entsprechen. Wenn nun junge schöne orthodoxe Frauen finden, sie seien im Roman nicht gebührend dargestellt worden, so sage ich, das stimmt, es tut mir leid, und ich weiss, dass es euch gibt.

In einem Interview haben Sie das Buch als ein gojisches Buch (ein Buch für Nicht-Juden) bezeichnet.

Das war nicht ich.

Sie haben diesem Urteil jedenfalls beigepflichtet.

Eine jüdische Journalistin sagt in einer deutschen jüdischen Zeitung, mein Buch sei für Gojim geschrieben. Und ich glaube, sie hat recht mit ihrem Urteil. Vor allem fromme Juden halten sich eher damit auf, zu beurteilen, ob das Buch ihre Gesetzmässigkeiten richtig abbildet. Sie können die Geschichte nicht annehmen und schon gar nicht in einer humorvollen Art und Weise. Die Gojim hingegen können sich auf eine Auseinandersetzung mit der Geschichte einlassen, weil sie gar nicht das Hintergrundwissen über jüdische Gepflogenheiten haben.

Sie selbst bezeichnen sich auch als Jude. Wie kommt das Buch denn bei Menschen an, die eine vergleichbare jüdische Identität wie Sie haben?

Bei denen kommt das Buch sehr gut an. Ich stelle im Allgemeinen fest: Je frommer, desto weniger gut kommt mein Buch an. Ein sehr frommer Mann sagte mir etwa, bereits der Titel meines Buches verletze ihn.

Was verletzt ihn explizit am Titel?

Dass ein frommer Jude in den Armen einer Schickse landet. Und es verletzt ihn auch, dass ich mich als Jude und Erzähler daran ergötze und es lustig finde. Ich kann diese Verletzung nur intellektuell nachvollziehen, weil ich völlig anders lebe. Mir ist es möglich, mich dem Judentum humorvoll zu nähern.

Belastet Sie der Umstand, dass sich die Menschen, die Sie in Ihrem Roman literarisieren, von Ihrem Buch verletzt fühlen?

Nein, denn damit muss ich rechnen, wenn ich so ein Buch schreibe. Betrüblich finde ich, dass gewisse Juden, die nicht sehr fromm sind, mein Buch zwar nicht verletzend, aber einfach schlecht finden.

Diese Leute kritisieren das Buch wegen angeblicher inhaltlicher Mängel.

Genau, diese Leute regen sich darüber auf, dass gewisse Dinge im Buch unglaubwürdig und unrealistisch seien. Soweit das möglich war, bin ich auf entsprechende Hinweise eingegangen. In der vierten Auflage des Buches sollte jetzt das meiste stimmig sein.

Um diese 'Ungereimtheiten' zu beheben, arbeiten Sie mit einer orthodoxen Frau zusammen. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

Ich bekam ein Mail von einer religiösen Frau, die schrieb, dass sie mein Buch gut und die Geschichte lustig findet, sie sich gleichzeitig aber ob Ungereimtheiten gestört fühle. Sie riet mir, diese in einer künftigen Auflage auszumerzen. Ich fand dieses Feedback gut. Die Frau hat mir dann jemanden aus dem liberal-orthodoxen Milieu empfohlen, die mir bei der Redaktion helfen könnte. Die entsprechende Dame hat sich dann zweimal die Mühe gemacht, mein Buch sehr detailliert nach kleinen Fehlern zu lesen. So sagte sie mir etwa, ich müsse dem Protagonisten die Schläfenlocken wieder wegnehmen, denn wenn er solche trüge, wäre er dadurch derart fromm, dass einige andere Dinge, die im Roman beschrieben sind, nicht möglich wären. Die Frau sagte etwa auch, dass es ausgeschlossen sei, dass ein Jude wie Wolkenbruch am Sabbat ein E-Mail schreiben würde – diese Passage habe ich aber drin gelassen. Es galt, hier die Balance zwischen formaler Richtigkeit und literarischer Freiheit zu halten. Um die inhaltlichen jüdischen Korrekturen bin ich aber dankbar.

Für die Editionsgeschichte ist das eine interessante Entwicklung.

Ja, auf jeden Fall. Ich freue mich, dass das Buch mit jeder Auflage besser wird. Aber natürlich hätte ich es schon von Anfang an gern richtig gehabt.

Eine prominente Erscheinung in Ihrem Roman sind die jiddischen Ausdrücke. Wie kamen Sie auf die Idee, das Jiddische in den Roman einzubinden?

Ich hatte am Anfang nur die Idee dieser Figur und habe gesehen, dass diese Potenzial hat. Allmählich habe ich angefangen, jiddische Begriffe in die Geschichte einzubauen. Erst da fing ich an zu recherchieren und entwickelte eine wahre Freude an dieser Sprache. Sie ist sehr charmant, hat in ihrer Verspieltheit etwas Magisches. Es ist fast eine Comic-Sprache. Dass das Jiddische am Ende soviel Raum einnehmen würde, war anfangs nicht geplant. Natürlich illustrieren die jiddischen Einsprengsel auch verbal das jüdische Milieu.

Sie schreiben einen Roman, gleichzeitig sind Sie Freelance-Texter. Wie sieht Ihr Alltag aus?

Mein Alltag ist stark von administrativen Aufgaben geprägt, und ich arbeite immer noch als Texter, um meinen Lebensaufwand zu bestreiten. Zum Schreiben komme ich im Moment leider selten.

Würden Sie sich gerne von der Werbung losschreiben?

Ich würde es anders formulieren. Meine Idealvorstellung ist es, mein Geld nur mit Bücherschreiben verdienen zu können. Aber um dies zu erreichen, müsste ich doch noch ein paar Exemplare mehr verkaufen.

Können Sie beim Schreiben auch Synergien aus Ihrer werbetexterischen Tätigkeit nutzen? Ich denke dabei etwa an die Wortschöpfung 'Jew Tonic', die Sie dem angetrunkenen Protagonisten im Roman auf die Zunge legen.

Jew-Tonic ist ganz klar ein Texter-Begriff. Aber es funktioniert umgekehrt. Es ist nicht so, dass ich mir in der Werbung einen Stil angeeignet hätte, den ich beim Schreiben nutzen könnte. Es ist vielmehr so, dass ich einen Stil habe, den ich mal in der Werbung und mal für längere Texte einsetze. Ich habe nicht zwei verschiedene Schreib-Identitäten. Das Schreiben von kurzen Texten führt zu Wortspielen und das Schreiben von Schlagzeilen zu extremen Verdichtungen, und dann kommen einem Dinge wie 'Jew Tonic' in den Sinn. Von Synergien möchte ich nicht sprechen, diese Betrachtung wäre mir zu stark auf das Ergebnis fokussiert. Ob ich ein Wortspiel mache, oder ein Gedanke über zwei Absätze formuliere, ist irrelevant, denn immer bin ich es, der schreibt und die Worte bildet.

Sie sind nominiert für den Schweizer Buchpreis. Wie schauen Sie der Entscheidung entgegen?

Es wäre schon schön, wenn ich ihn gewinnen würde.

Sie schauen der Entscheidung also durchaus gespannt entgegen.

Ja, selbstverständlich, das ist natürlich ein Riesending! Auch in Anbetracht dessen, dass mein Debütroman nominiert ist, während die anderen Nominierten bereits neun, zehn Bücher geschrieben haben.

Dringen da Mutmassungen, Gerüchte zum Entscheid der Jury durch?

Nein, es ist unmöglich, dass man etwas erfährt, aber gemutmasst wird natürlich trotzdem munter.

 

Interview: Benedict Neff, Bild: Nicolas Y. Aebi

 



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