15.11.2011

"Solche Vorfälle treffen ein Unternehmen mitten ins Herz."

Coop ist in der Krise. Negativschlagzeilen über abgelaufenes Fleisch an der Frischetheke kratzen am Image des Retailers. Alles, was jetzt noch hilft, ist eine gute Krisenkommunikation. Ist die gut? Und bekommt Coop nach den unappetitlichen Enthüllungen im "Kassensturz" überhaupt noch eine zweite Chance? Franco Gullotti, Berater für Krisenkommunikation, spricht auf persoenlich.com Klartext. Zum Interview:
"Solche Vorfälle treffen ein Unternehmen mitten ins Herz."

Franco Gullotti, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vom "Fleischskandal" bei Coop hörten?

Aus Sicht eines Konsumenten war ich, gelinde gesagt, sehr irritiert. Aus der Optik des Beraters für Krisenkommunikation war ich jedoch auf die Reaktionen von Coop gespannt. Diese waren anfangs zu reaktiv – Coop hat es versäumt den Kommunikationslead rasch zurückzuholen. Über die bereits eingeleiteten Massnahmen hätte Coop früher und aktiver informieren sollen. Deshalb schuf auch die Ankündigung zum "Tag der offenen Tür" kein Vertrauen, sondern führte, zur durchsichtigen PR Aktion degradiert, zu einer weiteren Empörung. Erst als sich der Coop CEO Joos Sutter in einem selbstkritischen Interview zu Wort meldete, holte sich Coop den Kommunikationslead zurück.

Wie stark leidet das Image von Coop?

Solche Vorfälle treffen ein Unternehmen mitten ins Herz. Für das Image kann dies gravierende Folgen haben. Was mit viel Marketingaufwand aufgebaut wurde, kann innert Stunden oder Tagen kaputt gehen. Hier helfen zunächst keine gut gemeinten PR Aktionen, sondern nur eine Krisenkommunikation, die den heutigen Anforderungen des Konsumenten und der Medien Rechnung trägt. Aber richtiges Verhalten in der Krise führt auch immer dazu, dass solche Ereignisse als Chance genutzt werden können. Es ist nämlich davon auszugehen, dass auch andere Handelsketten von diesem Umstand betroffen sind. Und Coop hat jetzt gezeigt, wie man richtig darauf reagiert. Die anderen werden nur noch kopieren können.

Coop vermutete letzte Woche auch noch Metallteile im Brot. Wie viele negative Vorfälle kann ein Unternehmen einstecken?

Die Erfahrung lehrt, eine Krise kommt selten allein. Wenn ich es aber richtig gelesen habe, gab es nicht wirklich Metallspäne in einigen Broten. Sondern man wusste es einfach nicht. Hier hat Coop meines Erachtens vorbildlich reagiert und sofort einen vorsorglichen Rückruf gestartet, um keinerlei Risiko einzugehen. "Im Zweifelsfall kommunizieren" – das habe ich in meinen zehn Jahren bei der Fluggesellschaft Swiss gelernt und ist für mich in solchen Fällen das beste Rezept. Ich denke, das wird Coop auch von den Konsumenten hoch angerechnet.

Aldi und Lidl drängen zur Zeit auf den Schweizer Markt. Was bedeuten die Negativ-Schlagzeilen von Coop in diesem Kontext?

Kurzfristig werden diese Handelsketten vielleicht profitieren. Aber mittelfristig wird Coop mit den eingeleiteten Massnahmen gestärkt hervorgehen. Aber nur, wenn Coop die sich bietende Chance nun auch richtig nutzt.

Bei Coop wurde reagiert. Es gibt neu eine Ombudsstelle für verunsicherte Metzger, ein Tag der offenen Tür wurde den Kunden angeboten, es darf kein abgepacktes Fleisch mehr in den Offenverkauf und eine externe Stelle soll künftig die Frische des Fleisches zusätzlich kontrollieren. Reicht das?

Richtig, Coop hat reagiert - zwar spät, aber nicht zu spät. Das Interview mit dem Coop CEO Joos Sutter im "Sonntagsblick" ist ein Beispiel von guter Krisenkommunikation. Der CEO entschuldigt sich, schafft Transparenz und kündigt umfassende Massnahmen an. Das ist ihm hoch anzurechnen – zumal er sich sicher andere Themen zu seinem ersten Interview als CEO gewünscht hätte. Aber Krisenkommunikation ist immer Chefsache und Krisen haben gemein, dass sie immer zu einem ungünstigen Zeitpunkt kommen.

Ist es legitim, dass er nur einem Medium Red und Antwort steht? Wäre eine offene Medienkonferenz nicht viel professioneller?

Im Prinzip funktionieren beide Varianten. Ich hätte aber Joos Sutter auch geraten ein Interview zu machen. Die Chancen mit den zentralen Botschaften durchzudringen sind in diesem Fall einfach grösser.

Wäre nicht auch die Stellungnahme von Hansueli Loosli wichtig. Er war selbst lange CEO von Coop und waltet heute als Verwaltungsratspräsident. Wie begegnet er der Krise?

Diese Frage ist berechtigt. Aus Sicht der Krisenkommunikation macht es Sinn, dass mit Joos Sutter nun der CEO hinsteht. Er trägt die operative Verantwortung für das Geschäft. Sollte es dem CEO nicht gelingen, alle sich stellenden Fragen zu beantworten, kann Coop dann zu einem späteren Zeitpunkt immer noch den Verwaltungsratspräsidenten als Rückfallebene einsetzen.

Was ist Ihrer Meinung nach sonst noch nötig?

Coop hat umfassende Massnahmen angekündigt. Nun muss sie diese glaubwürdig umsetzen und transparent darüber berichten. Ganz nach dem Grundsatz: es reicht nicht das Erzählte, sondern es zählt nur das Erreichte. Aber man darf sicher zuversichtlich sein.

Laut Coop-Mediensprecher Urs Meier ändert der Retailer in der Fleischwerbung momentan nichts. Es bestehe kein Handlungsbedarf, schreibt er auf Anfrage von persoenlich.com. So würden im Moment auch keine aussergewöhnlichen Aktionsflyer mit Fleischprodukten in die Haushalte verschickt. Finden Sie diese defensive Haltung gut?

Ich würde definitiv davon abraten. Coop hat jetzt dermassen viel Aufmerksamkeit im redaktionellen Teil der Medien. Da ist es viel geschickter, diese kostenlose Plattform glaubwürdig zu nutzen. Inserate und Flyer würde ich erst dann wieder einsetzen, wenn Coop mit seinen Botschaften zum Fleisch nicht erhört würde.

Wie lange wird es dauern, bis die ganze Affäre vergessen ist bzw. geben die Kunden Coop überhaupt eine zweite Chance?

Wenn Coop den eingeschlagenen Weg konsequent weitergeht, bin ich von der zweiten Chance überzeugt. Wie lange es dauern wird, hängt im Wesentlichen davon ab, wie glaubwürdig Coop nun kommuniziert.

Interview: Christine Schnyder


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