03.02.2012

Was sagt das Gesicht über den Charakter?

Physiognomikerin Tatjana Strobel im Interview.
Was sagt das Gesicht über den Charakter?

Was sagt das Gesicht über den Charakter? Physiognomieexpertin Tatjana Strobel schrieb Bücher und bekommt nächstens eine eigene TV-Sendung zum Thema Gesichter lesen. Dabei ist diese Disziplin nicht unumstritten. Ein Artikel bei dem sie die Gesichter von Roger Köppel oder Christoph Blocher interpretierte, wurde heftig kritisiert. Im Interview mit persoenlich.com rechtfertigt Strobel ihre Disziplin und spricht über ihre Erfahrungen mit Journalisten. Das Interview:

Sie haben in einem Interview gesagt, Christoph Blochers überhängende Unterlippe bedeute „eine Tendenz zum Überhang“. Doch viele Menschen haben eine überhängende Unterlippe.

Ja, zum Beispiel auch Sie. In Ihrem Fall ist das eher als ein Zeichen für Genuss zu deuten, denn eine hängende Unterlippe zeigt nicht nur die Tendenz zum Überhang; sie ist auch ein Indiz für Hang zu gutem Essen und Trinken. Dies gilt genauso bei körperlicher Fülle, hängenden Ohrläppchen und einer grossen Ohrbucht. Ich bitte, diese Merkmale allerdings tatsächlich als Anzeichen auf Basis von Durchschnittserfahrungen und nicht als singuläres Ereignis zu werten.

Und wenn ich jetzt meine Lippen mit Botox behandelt hätte?

Das vereinfacht eine Analyse sicher nicht. Dennoch ist es möglich, generelle Eigenschaften abzuleiten, weil die körperlichen Reaktionen des Menschen schwer zu manipulieren sind.

Können Sie auch aus künstlich veränderten Gesichtern lesen?

Wenn man die Nase, Mund oder Brüste verändert, dann verändert sich auch innerlich etwas. Wenn ich mir die Lippen voller mache, dann habe ich mit Sicherheit gewisse emotionale Tendenzen. Ein sehr rationaler Mensch würde das Risiko nicht eingehen, sicher kein Geld dafür zahlen und auch nicht wollen, dass man ihm die Botox-Behandlung ansieht. Ich bin sehr dafür, dass qualifizierte Ärzte entscheiden können, ob ein Eingriff erforderlich ist, oder nicht.

Doch nach kosmetischer oder klinischer Chirurgie ist ein Gesicht nicht mehr ursprünglich.

Aber wie bereits angemerkt, man kann trotzdem daraus Tendenzen lesen. Es stehen allein im Gesicht rund 330 Merkmale zur Verfügung, mit deren Hilfe ich bestimmte Eigenschaften deuten kann. Man braucht dazu jedoch eine gute Ausbildung und eine Menge Erfahrung.

Unser Charakter ist demnach durch die Ausprägung unseres Gesichts vorbestimmt.

Nein, auf keinen Fall. Sehen Sie sich die Gesichter von Angela Merkel oder Nicolas Sarkozy über die letzten 30 Jahre an; vergleichen Sie früher und heute. Oder auch das Gesicht von Robbie Williams: Es war früher einmal weich, hatte harmonische, weiche Züge, ein ovales Gesicht, vollere Lippen und grosse Augen. Jetzt ist sein Gesicht extrem kantig, weil das Gesicht durch Erfahrungen im Leben stark geprägt wird.

Klar, Falten entstehen unterschiedlich, je nachdem ob jemand viel lacht, nachdenkt oder sich Sorgen machen muss. Doch Wangen, Ohrknochen oder die Nase verändern sich doch nicht.

In der Regel nicht, daher sind diese auch gute Indikatoren beim Zusammenspiel mehrerer Merkmale.

Nach dem Interview mit dem "Bund"/tagesanzeiger.ch hagelte Kritik, Ihre Disziplin sei pseudowissenschaftlich, ähnlich zufällig wie Kaffee lesen.

Das Thema Menschenkenntnis polarisiert. Es gibt sehr viele begeisterte Menschen und einige Kritiker. Ich behaupte nicht, dass Physiognomie das alleinige Instrument für Menschenkenntnis ist. Ich sehe einzelne Merkmale wie beschrieben nicht isoliert, sondern ich verbinde ganz viele Parameter zu einem Bild: Körpersprache, Auftreten, Mimik, Kleidung und Verhalten im Gespräch. Diese Elemente führe ich zusammen und treffe eine qualifizierte Aussage über den daher offensichtlichen Charakter. Das ist mit der Arbeit von Profilern durchaus vergleichbar, hat mit Kaffeesatzlesen aber nichts zu tun.

Ein langes Ohr alleine sagt also noch nichts über den Charakter.

Ganz genau. Ein langes Ohrläppchen kann vieles bedeuten. Man muss sich diese unterschiedlichen Varianten in Kombination mit unterschiedlichen Faktoren anschauen. Ein Mensch und seine Wirkung bestehen natürlich aus mehr als nur seinem Gesicht.

Ihre Arbeit ist ethisch problematisch, wenn man bedenkt, wie etwa die Nationalsozialisten argumentierten.

Das ist eine naive Betrachtung des Themas Menschenkenntnis und gleichzeitig eine gefährliche Vereinfachung im Sinne der Nazis, finden Sie nicht? Es ist seit Menschen existieren spannend und sogar existentiell wichtig, das Gegenüber richtig einschätzen zu können. Bei Verhandlungen, in Sachen Liebe und im Alltag. Wer sich nicht nur oberflächlich mit meiner Arbeit befasst und auch mein Buch gelesen hat, weiss, dass es ausschliesslich darum geht, Hilfestellungen zu geben und in der Regel positive Eigenschaften zu erkennen. Mit rassistischen Deutungen und Abwertungen hat das überhaupt nichts zu tun.

Doch Ihre Technik kann simplifiziert und missbraucht werden.

Das weiss ich. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder hätte ich auf das Buch verzichten können oder – wie geschehen – ich weise immer wieder darauf hin, dass mehrere Faktoren betrachtet werden müssen und man nicht einfach wegen langer Nase auf xyz schliessen kann. Vieles ist angreifbar, wenn man Aussagen aus dem Zusammenhang reisst. Da haben einige Medien ihre Freude dran. Aber ich freue mich, dass die meisten meiner Leser und Zuhörer erkennen, dass sie mit vielen guten Hinweisen ihre Umwelt interessanter finden.

Sie kritisieren die Journalisten?

Teilweise vereinfachen Journalisten schon sehr stark. Das ist ihr Job, wobei ich in den meisten Fällen nach einer gesunden Skepsis ein gutes Feedback bekomme.

Könnte Ihre Technik in der Forensik eingesetzt werden? Könnten Sie aus zwanzig Verdächtigen einen Kriminellen erkennen?

Nein, ich würde mich nicht darauf einlassen, Aussagen zu forensischen Sachverhalten zu treffen. Ich helfe Menschen, ihre Menschenkenntnis im Alltag zu verbessern und animiere nicht dazu, dies auf andere Gebiete auszuweiten.

Sie bekommen bald eine eigene TV-Sendung. Können Sie mehr dazu sagen?

Meine Agentur und ich verhandeln mit Sendern und Produktionsfirmen in Deutschland. Dabei handelt es sich tendenziell um Coaching-Sendungen, bei denen es darum geht, die eigenen Stärken und Schwächen zu finden. Unterschrieben ist noch nichts. Die Vorfreude ist aber schon gross.

Man wirft Ihnen vor, Sie seien vor allem gut in Eigenvermarktung.

Definieren Sie bitte "man". "Man" kann mir auch vorwerfen, ich sei gierig. Wenn das bedeutet, dass ich mit meinen Seminaren, Büchern und Vorträgen erfolgreich sein möchte, stimme ich zu. Sie möchten doch auch, dass Ihr Magazin gelesen wird und machen Werbung bzw. locken Leser mit knalligen Headlines. Ich bin ein Workaholic mit Leidenschaft und möchte natürlich mit meiner Arbeit möglichst viel erreichen. Das geht auch bei Autoren meist nur mit der Begleitung von guten PR-Profis. Das ist legitim und doch wirklich nichts Besonderes.

Welches ist Ihre PR-Agentur?

In der Schweiz ist es BrandAffairs und in Deutschland arbeite ich mit extra pr + marketing. Diese Agenturen helfen mir, die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch das geht nur, weil meine Bücher spannend und flüssig zu lesen sind. Ich arbeite auch hart für meinen Erfolg, lese immer die neuesten Studien und arbeite mit Neurobiologen zusammen.

Welche Neurobiologen?

Herrn Gerald Hüther von der Universität Giessen und Herrn Hans-Georg Häusel finde ich ganz toll. Er hat übrigens auch eine eigene PR-Agentur.

Sie arbeiten also eher mit anderen Beratern zusammen, als mit Forschern an Universitäten.

Ja, meistens. Derzeit plane ich eine Studie in Zusammenarbeit mit einer deutschen Universität.

Nachdem ein Unbekannter in ihrem Gesicht gelesen und sie dabei stark beeindruckt hatte, gab Tatjana Strobel ihre Führungsposition in der Kosmetikbranche auf und reiste nach Indien, "um diese uralte Kunst zu erlernen". Vorher arbeitete die 40-Jährige bei Wella, Aveda, Body Shop und Marionnaud Parfümeries - meist im Salesbereich. Ihr neues Buch "Ich weiss, wer du bist" wurde bislang rund 100'000 Mal verkauft. (eh)


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