TV-Kritik

«Unser Dölf» – ein grosser Schweizer mit Ecken und Kanten

Vor fünf Jahren haben meine ehemaligen «Blick»-Kollegen Georges Wüthrich und André Häfliger in ihrem Buch «So wa(h)r es» das Lebenswerk von Dölf Ogi (Bundesrat von 1988 bis 2000) beleuchtet. Ein Bestseller!

Das hat die erfolgreichen Verleger Lukas Heim (Weltbild Verlag) und Annette Weber (Werd & Weber Verlag) beflügelt, einen weiteren Ogi-Band herauszugeben. Zumal der populäre Altbundesrat am 18. Juli seinen 75. Geburtstag feiern kann. Am Dienstagabend wurde das Buch «Unser Dölf»* im Rahmen einer gediegenen Party der «Schweizer Illustrierten» im neuen Medienpark von Ringier Axel Springer AG in Zürich präsentiert. Dölf Ogi war in Bestform und genoss den Anlass sichtlich. Eine weitere Vernissage findet am Mittwochabend in Ogis Heimatort Kandersteg statt.

Dies zuvor: «Unser Dölf» ist, wen wundert’s, ein Schmusebuch. Doch ein lesenswerter Schmöcker. Unterhaltsam. Intelligent. Und, wie von den beiden Verlagen gewohnt, schön produziert. Ogi wird von 75 Wegbegleitern und Zeitzeugen gewürdigt. Die Autorenliste, ein Who is Who, ist beeindruckend. Swiss first: Doris Leuthard, Vreni Spoerry, Moritz Leuenberger, Helmut Hubacher, Franz Steinegger, Jürg Stahl, Albert Rösti, Bernhard Russi, Pirmin Zurbriggen, Claude Nicollier, Matthias Ackeret, Toni Vescoli oder Ted Scapa.

Die grossen Namen unter den ausländischen Autoren: Kofi A. Annan, Tony Blair, Wolfgang Schüssel, Fürst Albert von Monaco – und ein altes Statement von Bill Clinton.

Beeindruckt bin ich vom Vorwort von Christoph Blocher. Dieser erinnert sich darin, wie einst auf dem Balkon eines Kandersteger Kurhotels das Berner SVP-Kader eine Parteiabspaltung anstrebte. Blocher: «Nach dem ergebnislosen Treffen nahmen Adolf Ogi und ich den Marsch von Kandersteg an den Blausee unter die Füsse. Als alleinige Gäste im Gartenrestaurant bei einer Forelle blau wurde alles besiegelt. Es blieb, wie es war.»

Blocher schreibt auch über Ogis grössten Schicksalsschlag: «Unsere Söhne Mathias und Markus haben als junge Offiziere gemeinsam militärische Beförderungsdienste geleistet. So sind wir uns nicht nur als Politiker, sondern auch als Väter nahegekommen. Aber selbst wenn man selbst Vater ist, kann man kaum ermessen, was es bedeuten muss, einen Sohn in blühendstem Alter an den Folgen einer tückischen Krankheit zu verlieren.»

Nach dem Vorwort (ich komme später darauf zurück) führt der Publizist und Buchautor Peter Rothenbühler mit einem mehrseitigen Ogi-Interview in das Buch ein. Rothenbühler stellt immer prägnante Fragen.

Dies hier ist eine TV-Kolumne, und darum will ich auf Tops und Flops von Adolf Ogi als Medienminister eingehen. Der Berner Oberländer («Ich bin heute populärer als zu meiner Amtszeit als Bundesrat») führte das EVED während sieben Jahren (1988 bis 1995). Ogi ist der Vater des Bundesamtes für Kommunikation (Bakom). Im Frühjahr 1992 gab er den Startschuss für das neue Amt mit der Aufgabe, den Kommunikationsmarkt zu öffnen und zu beflügeln. Erster Bakom-Chef war Marc Furrer. Was TV betrifft: Mir und vielen mehr gefiel, dass Adolf Ogi die SRG mit der nötigen Distanz «beaufsichtigte» und diese auch nicht mit Kritik verschonte.

Direktor des Schweizer Fernsehens war der Sozialdemokrat Peter Schellenberg. (Jahre später trat dieser aus der Partei aus, weil er sich von den Genossen torpediert fühlte). Schälli wollte «ein Programm auf zwei Kanälen», analog dem damit effektiven ORF. Dem SVPler Ogi aber war das (erfolgreiche) «Schellenberg-Fernsehen» ein Dörnchen im Auge, er hielt den «Geist von Leutschenbach» für links.

Mit einer überschwänglichen Party in Gstaad startete im Herbst 1993 die vierte TV-Kette unter der Bezeichnung S Plus –  als autonomer Kanal. Ogi hatte Roy Oppenheim zum Chef «gemacht», zuvor war dieser Direktor von Schweizer Radio International. Die Kollegen des neuen SRG-Senders sangen hohe Töne. Bei einem gemeinsamen Kaffee am Leutschenbach hatte sich damals ein S-Plus-Kadermann verstiegen: «Die Bundesräte werden künftig in unserem Programm auftreten, in der Arena nur noch Nationalräte.»

Denkste. S Plus war ein Serbelsender und scheiterte nach kurzer Zeit. «Ogis Leute siegen heute» gabs im Skisport. Nicht im Fernsehen. Schellenberg bekam später sein angestrebtes SF 2 (heute SRF zwei), ebenso die anderen Landesteile. Ab 1994 starteten private Regionalsender. Allen voran «Tele Züri» mit dem bis heute erfolgreichsten Programm.

So manche Journalisten haben unvergessene Erlebnisse mit Adolf Ogi. Auch ich. Zu einem Bergkristall geschafft habe ich es im Gegensatz zu meinem Kollegen Matthias Ackeret allerdings nicht.

Erstmals begegnete ich dem charismatischen Berner im Spätherbst 1977 bei einem Spaghetti-Znacht zu dritt im Zürcher Niederdorf. Abgehalten hatte dieses der damalige «Blick»-Verlagsdirektor Willy Koch. Wir beide organisierten zu der Zeit gemeinsam den 1. Zürcher Silvesterlauf. Koch war einst Sportjournalist und daher mit Ogi aus dem Skisport gut bekannt. An diesem gemütlichen Abend verriet uns der Kandersteger mit bescheidenen aber schon damals sehr engagierten Worten, dass er 1979 für den Nationalrat kandidieren werde.

Jahre später, Dölf Ogi war jetzt Bundesrat, sassen wir beide gemeinsam an einem Tischchen in einer TV-Benefiz-Sendung für die Schweizer Berghilfe, moderiert von Sepp Trütsch. Ogi erzählte mir begeistert von der geplanten Olympia-Kandidatur Sion 2006. Er schaute kaum auf die Musikbühne, machte stattdessen mit Verve Skizzen auf meinen Notizblock und forderte ziemlich laut: «Journalisten müssen mithelfen, dass diese Kandidatur gelingt. Ihr vom Blickbesonders!». Der TV-Aufnahmeleiter forderte uns während der Livesendung schliesslich freundlich auf, leiser zu sein.

Der 4. Februar 1994 bleibt nicht nur Adolf Ogi unvergessen. Er hatte schon Monate die Alpeninitiative heftigst bekämpft. In der «Arena» bei Filippo Leutenegger stand er in vorderster Front dem Urner Landammann Hansruedi Stadler gegenüber. Dieser argumentierte überlegen. Gleich nach der Sendung beschwerte sich Ogi. Und am frühen Samstagmorgen rief er Filippo an, der damals im Tessin wohnte. Die Sendung sei unfair gewesen, vor allem weil er als Bundesrat nicht das Schlusswort erhalten habe.

Ogi hatte ein rast- und ruheloses Wochenende. Am Montag machte der Bundesrat Homeoffice in Kandersteg. Er rief den damaligen «Blick»-Chefredaktor Fridolin Luchsinger an und verlangte redaktionellen Raum für einen Gastkommentar zur «Arena». Der «Ringier-Bundesrat» bekam diesen. «Frido» Luchsinger beauftragte mich, den Kommentar mit Ogi zu handeln. Die dritte Begegnung mit dem Politiker – und dies am Telefon – wurde zur intensivsten. Dölf Ogi hat ein «Elefanten-Gedächtnis». Er erinnerte sich noch ganze genau an unsere gemeinsame «Übung», als wir am Dienstagabend darüber redeten.

Die erste Version seines Kommentars war mehrere tausende Zeichen zu lang. Ebenso die zweite. Auch die dritte. Und die vierte. Versuchen Sie mal, einen Nachmittag lang einem so temperamentvollen und nach verlorener Schlacht im Fernsehen echauffierten Bundesrat immer wieder seine schriftliche Darlegung zu kürzen... Ich musste es schaffen. Und habe es geschafft.

Am 20. Februar 1994 stimmte das Volk der Alpeninitiative zu. Damals konnte die «Arena» noch Abstimmungen beeinflussen.

Längst Kult ist die TV-Neujahrsansprache 2000 des damaligen Bundespräsidenten Adolf Ogi. Mit einem zarten Weihnachtsbäumchen in der Hand («Wir sind die Äste dieses Baums») stand er vor dem Nordportal des Lötschbergtunnels in seinem Heimatort Kandersteg. Von Kurt Felix beraten war Ogi um eine einprägsame Inszenierung bemüht – und übermotiviert im Ton. Übermütig war auch die Natur.

Die Ansprache des «Wolkenvertreibers der Nation» («Der Bund») wurde von Schnee und vom Winde verweht, und Ogi konnte seinen Redetext auf dem Teleprompter schlecht lesen. Dem Schweizer Volk gefiel es dennoch, der Bundesrat bekam korbweise positive Reaktionen. Allerdings hatte Adolf Ogi das Journalistenzimmer im Bundeshaus nach den Weihnachtsferien ein paar Wochen lang gemieden, um sich keine Sprüche anhören zu müssen. Das verriet später Ogis damaliger Pressechef Oswald Sigg.

«Unser Dölf», ein Nachwort zum Vorwort. Dieses hätte ursprünglich Frank A. Meyer (FAM) verfassen sollen. Der Starkolumnist und journalistische Chefdenker des Hauses Ringier war viele Jahre mit Adolf Ogi befreundet und hielt in den Redaktionen immer und immer wieder seine schützende Hand über den Magistraten. Warum auch immer: FAM hatte «kä Luscht». Auch bei einem Dinner in der noblen Zürcher «Kronenhalle» liess er sich von Ogi nicht für das Buch gewinnen. Nicht einmal für einen Textbeitrag. «Holt mir mal ne Flasche Bier, sonst streik ich hier und schreib nicht weiter» (Gerhard Schröder an einer SPD-Veranstaltung im Jahr 2000).

*«Unser Dölf», Weltbild Verlag Olten, Werd & Weber Verlag Thun/Gwatt, 36.90 Franken.

 


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

Kommentar wird gesendet...

Kommentare

  • Betschart Kathrin, 01.07.2017 17:27 Uhr
    Ogi war doch der Bundesrat mit der lustigen Neujahrsansprache vor einem Tunnel! Den kenn ich, ich glaube, das war ein ganz gmögiger Bundesrat mit dem Herz am rechen Fleck. Authentisch, und KEIN STAR! Vielleicht war Herr Ogi Herrn Frank A. Meyer zu "wenig".......war Meyer nicht derjenige, der sich mit allerlei "Promis" und "Stars" (herrje, bei diesen zwei Wörtern stehen mir die Nackenhaare auf) herum kokettierte und bei Ringier überall drein redete? Er kannte doch alle Promis, die ganze Welt, und nannte sich selber ein Intellektueller und Schöngeist. Da ist Herr Schröder...so im Rückblick ein gspässiger Politiker, ebenso ein Gockel, seine Bewegungen und Stimme wirkten immer wie alles furchtbar einstudiert, nicht authentisch, wie ein Schauspieler. Haare wie eine Perücke. Schröder hat keinen bleibenden Eindruck hinterlassen (wie z.B. Helmut Kohl, oder auch Angela Merkel). Es ist Zeit, dass die alte Garde abtritt, mit Ihnen auch die alten Kolumnisten und TV-Kritiker, die die Welt zu erklären versuchen. Es ist eine neue Zeit da: Herr Justin Trudeau, Emmanuel Macron, vielleicht bald Sebastian Kurz....sie machen es vor, wie man besser ist als Putin, Trump und co. Es besteht also Hoffnung zum Besseren, trotz allem. Es ist Zeit für eine neue Generation. Hoffentlich folgen noch mehr solche Jungen und lösen die alten Machos, die noch die Politik, die Medien, Kolumnen und TV-Kritiken besetzen, endlich ab. Es ist Zeit für frischen Wind. Digital, vernetzt, transparent. Weniger FAM's und pensionierte Chefredaktoren von TV-Zeitschriften, weniger Stars. Dafür mehr echte, authentische Menschen, mehr Macher und Start-Uppers, dazu unser geliebtes Radio Virus lassen, zudem mehr Internet-Radio aus aller Welt. Keine Promis mehr, dafür mehr schöne, anständige Menschen mit Stil und Sozialkompetenz, die sich nicht ins Rampenlicht stellen wollen. Mehr Echtheit. Mehr Fokus auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Weniger Selbstbeweihräucherung. Es ist Zeit für frisches Gemüse.
  • Patrick Schilter, 01.07.2017 12:27 Uhr
    Frank A. Meyer ist ein «Starkolumnist»? Aha, nun sind also Kolumnisten bereits «Stars»? Fragen Sie mal eine heute 25-jährige nach dem Namen «Frank A. Meyer» – diese würde den «Starkolumnist» wahrscheinlich nicht kennen. Das «FAM» kä Luscht hatte, zeigt doch eher, dass es sich hier eher um eine Diva handelt, denn um einen Star. Ich glaube, der oben schreibende, selbsternannte TV-Kritiker hat zulange für eine Zeitschrift «Star» gearbeitet, mit einer gewissen Portion déformation professionell. Irgendwie dünkt er mich nicht mehr so zeitgemäss, irgendwie schreibt er noch über eine Welt, die längst nicht mehr existiert. Wenigstens wird mit Beiträgen auf Online-Portalen kein Papier vergeudet.
Kommentarfunktion wurde geschlossen
Zum Seitenanfang20240426