Fleur Jaeggys Werke handeln von «Einsamkeit, Freundschaft bis zur Obsession, Entfremdung, emotionaler Distanz sowie gestörter, empathieloser Familienverhältnisse und dem Tod», schreibt das BAK in seiner Mitteilung. Die Vereinsamung stehe dabei im Zentrum von Jaeggys Erzählens.
Die zwischenmenschlichen Verhältnisse würden «in einer Mehrdeutigkeit beschrieben, die es schwierig macht, die Grenzen zwischen Freundschaft, Liebe, Besessenheit und Abweisung zu erkennen». Weiter schreibt das BAK in seiner Laudatio: «Sogar die Familienbeziehungen sind dysfunktional und es fehlt an Mitgefühl und Wärme.»
Fleur Jaeggy schreibt Romane, Erzählungen und Geschichten auf Italienisch. Ihre Werke wurden in mehr als zehn Sprachen übersetzt. Ihr bekanntester Roman ist «I beati anni del castigo», zu Deutsch «Die seligen Jahre der Züchtigung», von 1989.
Die Schriftstellerin mit Jahrgang 1940 verbrachte ihre Kindheit in diversen Schweizer Internaten, bevor sie nach Rom umsiedelte. Dort pflegte sie mit einer der bedeutendsten deutschsprachigen Literatinnen, der österreichischen Schriftstellerin und Lyrikerin Ingeborg Bachmann, eine Freundschaft. 1968 zog Jaeggy nach Mailand, wo sie heute weitgehend zurückgezogen lebt.
Sofalesungen erhalten Spezialpreis
Alle zwei Jahre verleiht das BAK ausserdem im Wechsel den Spezialpreis Vermittlung und den Spezialpreis Übersetzung. Dieses Jahr geht der Spezialpreis Vermittlung an die Sofalesungen. Diese veranstalten seit zehn Jahren öffentliche Lesungen in privaten Wohnzimmern in der ganzen Schweiz.
«Der innovative Ansatz, der durch Vielfalt der Genres - Prosa, Lyrik, Spoken Word - und Niederschwelligkeit auszeichnet, ermöglicht ausserhalb der gängigen Räume literarische Entdeckungen für alle, sei es erfahrenes oder neues Publikum», heisst es in der Mitteilung des BAK. Wie beim Grand Prix Literatur gibt es auch für den Spezialpreis Vermittlung 40'000 Franken.
Preise für junge Literaturschaffende
Das BAK gab am Donnerstag zudem bekannt, wer mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet wird. Unter den sieben Prämierten befinden sich auch Literaturschaffende der jüngeren Generation.
Unter anderem gewinnt Eva Maria Leuenberger, 1991 in Bern geboren, den mit 25'000 Franken dotierten Preis. Die Auszeichnung gibt es für den Gedichtband «die spinne». Wie in Jeremias Gotthelfs Novelle «Die schwarze Spinne» geht es auch in Leuenbergers Texten um menschliche Schuld. Leuenberger thematisiert in den Texten etwa die Zerstörung der Umwelt.
Auch der Luzerner Autor und Theatermann Béla Rothenbühler wird für seinen Dialektroman «Polifon Pervers» mit dem Preis geehrt. Dieser erzählt von zwei Freundinnen, die ein Theaterprojekt auf die Beine stellen wollen. Mit Witz stichelt Rothenbühler mit seiner Geschichte gegen den Kulturbetrieb.
Weiter gewinnt Laura Leupi für das «Alphabet der sexualisierten Gewalt» den Schweizer Literaturpreis. Leupi hat Jahrgang 1996 und lebt in Zürich. Das «Alphabet der sexualisierten Gewalt» sei Suche und Dokumentation, Anklage und Aufruf, Momentaufnahme und Lexikon in einem, heisst es in der Mitteilung des BAK. Der autofiktionale Text berichtet von einer Vergewaltigung und will eine Sprache für das Unaussprechliche finden.
Historische Familiengeschichten
Zu den deutschsprachigen Literaturschaffenden, die mit dem Schweizer Literaturpreis 2025 geehrt werden, gehört ausserdem Nadine Olonetzky. Ihr Roman «Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist» ist eine Familiengeschichte, die von der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg handelt. In der biografischen Recherche verfolgt die Zürcher Autorin mit Jahrgang 1962, wie ihrer Familie während der Nazizeit jegliche Menschlichkeit aberkannt wurde. Ihr Buch erzählt unter anderem von der Flucht ihres Vaters aus Deutschland, die in einem der 600 Auffang- und Arbeitslager in der Schweiz endete.
Aus der Romandie gewinnen Catherine Lovey mit «histoire de l’homme qui ne voulait pas mourir» sowie Romain Buffat für «Grande-Fin» den Schweizer Literaturpreis. Buffats Roman und Railtrip durch die USA erscheint im April auch auf Deutsch.
Nicht zuletzt geht eine Auszeichnung auch ins Tessin: Fabio Andina wird für seinen Roman «Sedici mesi» ausgezeichnet. Das Buch handelt von den Grosseltern des Autoren, die während des Zweiten Weltkrieges unfreiwillig getrennt wurden. Das Buch erscheint im April unter dem Titel «Sechzehn Monate» ebenfalls auf Deutsch. (sda/nil)