«Bei 20min.ch wird der Traffic-Verlust grösser sein»

Tamedia - Tamedia geht gegen Adblocker vor: Wer Werbung blockiert, kann auf tagesanzeiger.ch und 20 Minuten online keine Inhalte mehr lesen. CEO Christoph Tonini sagt im Gespräch, warum die Argumente störende Werbung und zu lange Ladezeiten nicht mehr zählen. Zudem spricht er über das neue 20min.ch-Abo und personalisierte Werbung.

von Michèle Widmer

Herr Tonini, wer Tagi online oder 20minuten.ch liest, muss jetzt bezahlen – entweder mit Geld oder mit Aufmerksamkeit. Was ist das konkrete Ziel dieses Entscheids?
Wir wollen unseren Lesern vermitteln, dass Inhalte auch im Internet nicht gratis sind. Im Vordergrund steht klar die Kommerzialisierung.Wir müssen Werbung ausliefern können, denn ohne Werbung können wir kostenlose Inhalte nicht finanzieren.

In Deutschland haben die Verlage bereits vor zwei Jahren reagiert. Warum kommt Tamedia erst jetzt damit?
In Deutschland sind Adblocker schon länger und stärker verbreitet als in der Schweiz. Hierzulande haben rund 20 Prozent der Internetnutzer einen Werbeblocker installiert. Bei den unter 35-Jährigen sind es auf Desktop gegen 30 Prozent – gerade diese Nutzer surfen aber vor allem über mobile Geräte. Mir scheint es wichtig, jetzt zu handeln, wo die Situation an Brisanz gewinnt, aber noch kein gravierendes Problem darstellt. Dieses hätten wir dann, wenn wir unsere Kampagnen nicht mehr ausliefern können, weil wir den Werbeauftraggebern aufgrund von Adblockern schlicht nicht mehr die verlangten Leistungswerte bieten können.

Das Fazit der deutschen Verlage lautet: Kommunikation und Aufklärung der Nutzer ist das A und O. Wie sensibilisieren Sie die Nutzer?
Seit Anfang Oktober läuft eine Sensibilisierungskampagne bei Adblocker-Nutzern auf tagesanzeiger.ch und 20minuten.ch. Seither haben rund zehn Prozent der Nutzer mit Adblocker diese entweder deinstalliert oder für unsere Plattform ausgeschaltet. Dieser Wert ist im Vergleich mit anderen ausländischen Verlagen gut. Die internationale Erfahrung zeigt auch, dass dieser Wert mit einer länger andauernden Sensibilisierung nicht mehr wesentlich steigen würde. 80 bis 90 Prozent der Nutzer mit Adblocker nehmen den Hinweis darauf, dass wir ohne Werbung keine Inhalte finanzieren können also zur Kenntnis, blockieren Werbung aber weiterhin. Deshalb gehen wir nun noch einen Schritt weiter.



Vor welche Wahl stellen Sie Adblocker-Nutzer?
Wer auf tagesanzeiger.ch weiterhin werbefrei Inhalte konsumieren will, muss sich für eines der bestehenden Digitalabos entscheiden. Neu bieten wir auch ein Mobile-Abo für neun Franken pro Monat. Falls ein Nutzer bereits ein Tagi-Abo hat, muss er sich lediglich einloggen. Eingeloggte Abonnenten haben auch mit aktivem Werbeblocker Zugang zu allen Inhalten. Für Adblocker-Nutzer von 20minuten.ch lancieren wir neu ein Wochenabo für zwei Franken.

Zwei Franken pro Woche: Ist das die Schmerzgrenze für Onlineleser von «20 Minuten»?
Wir haben uns am Werbeumsatz pro Nutzer orientiert. Der Desktop-Traffic auf «20 Minuten» ist bei unseren Werbekkunden enorm gefragt. Damit wir die Redaktion weiterhin finanzieren können, muss der Abo-Beitrag also etwa gleich hoch sein wie die entgangenen Werbeeinnahmen. So haben wir diese zwei Franken abgeleitet. Das zeigt, dass die Leserinnen und Leser bei 20minuten.ch sehr wertvoll sind.

Mit wie vielen zusätzlichen Digitalabos von Tagi und «20 Minuten» rechnen Sie?
Wenn jemand auf 20min.ch werbefrei surfen will, dann kann er diese zwei Franken bezahlen. Das Ziel bei «20 Minuten» ist aber ganz klar nicht, Digitalabos zu generieren. Wir möchten allen Nutzern Werbung ausliefern können. Die Zahl der Adblocker-Nutzer ist ja vor allem bei den Jungen gross. Also genau bei jener Zielgruppe, die wir mit unseren Angeboten im Netz erreichen. Wir werden deshalb in den kommenden Monaten Verschiedenes ausprobieren.

Was genau?
Bei 20min.ch testen wir neben dem Abo und dem Ausschalten des Adblockers noch eine dritte Variante. Wenn ein Nutzer zuerst ein Werbevideo anschaut, erhält er anschliessend 60 Minuten Zugang zu allen Inhalten. Ich bin gespannt, wie gut diese Möglichkeit ankommt. Wir werden weiter experimentieren und so herausfinden, was funktioniert und was nicht.  

Tagi online erreicht laut Net-Metrix täglich 248’000 Personen, 20minuten.ch in der Deutschschweiz deren 943’000. Welchen Traffic-Verlust budgetieren Sie?
Wir sehen im internationalen Vergleich, dass wir durchaus mit einem Rückgang von 20 Prozent des Desktop-Traffics rechnen müssen. Das hängt aber auch davon ab, was unsere Mitbewerber machen. Wichtiger aber ist: selbst wenn wir diesen Traffic verlieren, verlieren wir kommerziell nichts. Denn der unbezahlte Adblock-Traffic trägt nichts dazu bei, unsere Redaktionen zu finanzieren.

Bei welchem der zwei Portale werden Sie mehr Leser verlieren?
Bei 20min.ch wird der Traffic-Verlust wohl grösser sein. Hier ist die Intensität der Nutzung höher als bei Tages-Anzeiger online. Wenn wir Desktop-Nutzer auf 20min.ch verlieren, brechen also mehr Visits weg. Allerdings stammen bereits gegen 90 Prozent des Traffics von 20min.ch von mobilen Geräten. 

Werden alle Inhalte, also auch SDA-Meldungen, hinter der Adblocker-Barriere stehen.
Ja, lediglich die Startseiten können auch mit Adblocker aufgerufen werden. Der Zugang zu den einzelnen Artikel wird danach gesperrt.

Adblocker-Nutzer ärgern sich vor allem über Werbung, die den Lesefluss stört und gleichzeitig die Ladezeiten verlängert. Welche Bestrebungen laufen in diese Richtung?
Ab 2018 orientieren wir uns durchgehend an den Empfehlungen der Coalition for better Ads, die internationale Standards für Werbung im Netz setzt. Wirklich aufdringliche Werbeformen gibt es bei uns aber schon länger nicht mehr. Das Argument, dass wir störende Werbung ausspielen, gilt also definitiv nicht. Ausserdem konnten wir dank besserer Technologie und weniger 3rd-Party-Tracking die Ladezeiten unserer Newssites deutlich verbessern.

Auf welche Werbeformen verzichten Sie auf den beiden Portalen konkret?
Aus Rücksicht auf die Leserinnen und Leser wird es auf den Newsplattformen von «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» künftig zum Beispiel keine Interstitials wie Overlay-Ads oder Pop-Up-Banner mehr geben.  

Einigen Werbeauftraggebern wird das schwer zu vermitteln sein.
Dafür waren und sind Gespräche mit Werbekunden und Agenturen nötig, in denen wir ihnen erklären, dass solche Formate letztlich auch für sie kontraproduktiv sein können. Wenn die Leser die Werbung nicht mehr akzeptieren, nützt das niemandem.

Ein Grund, Werbung zu blockieren, ist auch das Tracking durch Banner. Der Leser zahlt so nicht nur mit Aufmerksamkeit, sondern auch mit seinen Daten. Viele sind da vorsichtiger geworden.
Gut, dieses Argument akzeptiere ich bis zu einem gewissen Punkt. Wir zwingen niemanden, sich Werbung anzeigen zu lassen. Aber wer keine Werbung will, muss auf einem anderen Weg einen Beitrag leisten und ein Digitalabo lösen.

Mittels der Nutzerdaten können Sie zielgruppengenau Werbung ausspielen. Wie weit ist Tamedia hierbei?
Wir haben 2016 als eines der erste Schweizer Medienhäuser Targeting-Werbung mit harten Daten lanciert, die Nachfrage danach ist enorm. Das Ziel ist dank Targeting Werbung auszuliefern, die für den Nutzer wertvoll ist. Den Standart dafür geben die mulitnationalen Plattformen vor. Die Nachfrage nach immer genauerem Targeting steigt kontinuierlich weiter. Ein Auftraggeber möchte zum Beispiel nur Frauen in der Stadt Zürich zwischen 35 und 45 Jahren erreichen. Das können wir heute anbieten und bauen unser Angebot und Inventar laufend aus.

Sie starten mit Tagi online und 20minuten.ch. Werden weitere Tamedia-Portale Adblocker-Nutzer blockieren?
Ja, das ist das Ziel. Wir starten mit tagesanzeiger.ch, weil es die wichtigste Seite innerhalb unseres Bezahlmedien-Verbunds ist. Im Verlauf des ersten Halbjahrs 2018 möchten wir die Adblocker-Massnahmen aber auf allen Newssites ausrollen.