11.09.2024

US-Wahlen

Das TV-Duell in den Schweizer Medien

Für die meisten Schweizer Kommentatoren ist klar: Kamala Harris ist als Siegerin aus der Fernsehdebatte hervorgegangen. In der Nacht auf Mittwoch kam es zum ersten Aufeinandertreffen von Harris und Donald Trump. Auf der Fernsehbühne schenken sich die beiden nichts.
US-Wahlen: Das TV-Duell in den Schweizer Medien
Im ersten TV-Duell zwischen Donald Trump und Kamala Harris hat vor allem der frühere US-Präsident viele falsche Behauptungen aufgestellt. (Bild: Keystone)

«Harris lässt Trump alt aussehen – aber das ändert wenig»

CH Media, Patrik Müller: «Das Urteil der Experten war nach der 90-minütigen Debatte schnell gefällt: Kamala Harris hat gewonnen. Sie dominierte über weite Strecken und setzte Nadelstiche, die Donald Trump sichtlich weh taten. (…) Trump tat Harris den Gefallen. Er liess sich provozieren. Zwar konnte er ihr nicht ins Wort fallen, denn das Mikrofon war gemäss den Spielregeln stumm gestellt, wenn sie sprach – etwas, was Harris gern anders gehabt hätte, um Trump als Rüpel zu überführen. Aber es brauchte für diesen Effekt gar keine Akustik. Die Optik des Splitscreens reichte. Der Sender ABC zeigte fast immer beide Kandidaten gleichzeitig im geteilten Bildschirm, und so sahen Millionen von Amerikanern, wie sehr Harris’ persönliche Angriffe, oft mit sanftem Lächeln vorgetragen, bei Trump unter die Haut gingen. (…) Doch der Republikaner hat in zweierlei Hinsicht gepunktet. Die Wähler mögen es nicht, wenn man bei Kandidaten nicht weiss, wofür sie wirklich stehen. Trump wies immer wieder darauf hin, dass Harris ihre Positionen geändert habe, seit sie Präsidentschaftskandidatin ist, so bei der Steuerpolitik und bei der Ölfördermethode Fracking. Trump prophezeite, dass Harris, einmal an der Macht, ihre Meinung erneut ändern würde. Das erscheint als nicht abwegig. (…)  Den Zuschauern bleibt in Erinnerung: Trump nimmt die Migration ernst und tut etwas dagegen, während Harris dazu nur lächelt. (…)»

«Ein Punktesieg für Harris. Trump muss sich warm anziehen.»

NZZ, Isabelle Jacobi: «Vom ersten Moment an machte Kamala Harris klar, dass sie in die Offensive geht. Sie betrat die Bühne, schritt zu Donald Trump hinüber, streckte ihre Hand aus und stellte sich vor: Kamala Harris. Trump konnte nicht anders als ihre Hand zu schütteln, wortlos und überrascht. Das war der Auftakt zu einem Schauspiel, das für Trump-Anhänger wohl schwer zu ertragen war. Kamala Harris verfolgte klar das Ziel, Donald Trump aus dem Gleichgewicht zu bringen, und nach 26 Minuten gelang es ihr. (…) Harris lehnt sich zurück und lächelt. Nicht nur hat sie von einer ihrer grössten politischen Schwächen abgelenkt, sie hat Trump dazu gebracht, sich von der schlimmsten Seite zu zeigen, seinen Narzissmus und seinen Hang zu fremdenfeindlichen Verschwörungstheorien. Genau davor haben ihn seine Berater gewarnt: Bleib bei der Politik, bei der Migration, der Inflation, all den Schwächen der Biden-Regierung, hämmerten sie ihm ein. Doch Trumps Reflexe sind stärker als taktische Vernunft. (…) Eine amerikanische Fernsehdebatte ist kein politisches Seminar, sondern eine ruppige Kampfsportart. Es gewinnt, wer den Gegner in die Defensive drängt, ob mit Argumenten, physischen Machtdemonstrationen oder Schlagfertigkeit. In dieser Runde – das räumen sogar republikanische Kommentatoren ein – hat Kamala Harris klar nach Punkten gesiegt. (…)»

«Sie hat es im Griff»

Republik, Priscilla Imboden: «(…) Auf der republikanischen Seite stand ein düsterer, irrlichternder Mann, der immer wieder ein Schreckensszenario von Millionen von kriminellen illegalen Einwanderinnen heraufbeschwor, der die Demokraten beschuldigte, das Land zu zerstören und in einen dritten Weltkrieg zu führen. Seine Miene war versteinert, er schaute stur geradeaus, nur ab und zu zuckte er, schloss die Augen oder verzog den Mund. Auf der demokratischen Seite: eine extrovertierte, aber ruhige Frau, die ihren Kontrahenten anschaute, nickte, den Kopf schüttelte, lächelte. Sie argumentierte luzid, angriffig und bildhaft und legte immer wieder die Schwächen ihres Gegenkandidaten offen. Und sie platzierte eine positive Botschaft, verbreitete Hoffnung, sprach davon, Menschen mitzunehmen, statt gegeneinander auszuspielen, vorwärts- statt rückwärtszugehen, zu verbinden, statt zu spalten. (…)»

«In Harris hat Trump seine Meisterin gefunden»

Tages-Anzeiger, Fabian Fellmann: «Besser hätte Kamala Harris nicht vorführen können, dass sie ein jüngeres Amerika vertritt als Donald Trump. Der 78-Jährige ist dank des Fernsehens zum Star geworden, ein vertrauter Unterhalter aus einem Reality-TV-Format. Als Fernsehprofi ist Trump am Dienstag in die Präsidentschaftsdebatte gegen Harris gezogen, den Blick stets gerade in die Kamera gerichtet, als rede er direkt zum Publikum. Nur traf der Republikaner diesmal auf eine 59-Jährige, die verstanden hat, dass der Wahlkampf 2024 nicht mehr an den Fernsehern zu Hause entschieden wird. TV ist zunehmend ein Medium der Vergangenheit, entscheidend sind in diesem Jahr vielmehr Videoclips, millionenfach geteilt auf Mobiltelefonen. Auf die neue Medienwelt hatte sich die Demokratin offensichtlich geschickter vorbereitet als ihr Kontrahent. (…) Nach dieser Debatte ist Kamala Harris eindeutig im Vorteil. Allerdings schien Hillary Clinton vor acht Jahren noch viel deutlicher gegen Donald Trump zu siegen. Obwohl Harris am Dienstagabend vieles richtig gemacht hat. Das Rennen bleibt knapp, und um im amerikanischen Wahlsystem zu gewinnen, braucht Harris nicht die Mehrheit der Stimmberechtigten, sondern die Mehrheit der Elektorenstimmen. Den Sieg am 5. November hat sie noch keineswegs auf sicher.»

«Eine Debatte, wenig Antworten»

Tribune de Genève | 24 Heures, Virginie Lenk: «In der Debatte am Dienstag waren zwei Gesichter Amerikas zu sehen: das rückwärtsgewandte Gesicht eines mürrischen Donald Trump und das lächelnde Gesicht einer offensiven Kamala Harris. (…) Wir sollten ihr ihre Gelassenheit und Zurückhaltung anerkennen, mit der sie ihren defensiven, auf die Einwanderung fokussierten Rivalen, der sich in einer düsteren und manchmal unzusammenhängenden Rhetorik suhlte, aus dem Konzept gebracht hat. (…) Aber hat sie damit auch den unentschlossenen oder gemässigten Amerikanern geantwortet? (…) Indem sie der Frage auswich, ob es den Amerikanern heute besser geht als vor vier Jahren, konnte sie all jene nicht beruhigen, die das Gefühl haben, an Kaufkraft verloren zu haben, und die immer noch auf die Auswirkungen der wirtschaftlichen Erholung hoffen. (…) Dieses Rennen auf ein Duell zwischen Taylor-Swift-Fans und Nostalgikern einer Welt nach Trump zu reduzieren, hiesse vor allem, das Risiko einzugehen, zwei sich hassende Amerikas noch weiter zu spalten, wenn das überhaupt noch möglich ist.»

«Kamala Harris schlug zu. Hart»

Watson, Philipp Löpfe: «An Ratschlägen hat es Kamala Harris im Vorfeld der historischen Debatte weiss Gott nicht gefehlt. Sie waren wohl gut gemeint, aber auch sehr widersprüchlich. (…) Harris hielt sich an ihr bewährtes Motto: ‹Bereite dich sorgfältig vor. Dann schlag zu. Hart.› Genau das tat sie auch. Nach einem Eingangsgeplänkel um Wirtschaftspolitik, in dem beide ihre sattsam bekannten Positionen vertraten, griff Harris tief in die Trickkiste. Sie machte sich über die Trump-Rallys lustig – und traf damit ins Schwarze. Der Ex-Präsident tappte in die Falle und machte in der Folge genau das, wovor ihn alle Experten gewarnt hatten: Er begann, wild um sich zu schlagen und verhaspelte sich dabei aufs Übelste. (…) Harris konnte sich entspannt zurücklehnen und lächelnd zuschauen, wie sich der Ex-Präsident immer tiefer in das Loch grub, das er selbst ausgehoben hatte. (…) Die Vize-Präsidentin blieb stets cool, aber nie überheblich und lächelte oft, aber nicht aufreizend. Trump hingegen guckte meist hässig in die Kameras und wirkte dabei so, wie er ja auch ist: sehr alt. (…)» (cbe/spo)


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