Frau Meier, seit April gibt es beim "Tages-Anzeiger" eine Frauendelegation, Sie sind deren Kopf. Haben Sie sich schon immer mit Themen der Gleichberechtigung befasst?
Ich habe mit 26 Jahren bei der "Wochenzeitung" angefangen. Dort war das Verhältnis zwischen Männern und Frauen immer 50 zu 50, es gehört bis heute zum Konzept. Ich fand das sehr angenehm. Das war kein grosser Unterschied zu meiner Zeit an der Uni, wo ich fast ausschliesslich mit Frauen zusammengearbeitet hatte, eine Weile lang auch als studentische Frauenbeauftragte der Uni Basel.
Sie sind seit 15 Jahren bei Tamedia. Ärgern Sie sich also schon so lange über die Untervertretung der Frauen in der "Tagi"-Redaktion?
Nein. Als ich damals zum "Tagi“ kam, war gerade Esther Girsberger Chefredaktorin, und ich dachte: Das geht jetzt immer so weiter. Auch unter Peter Hartmeier gab es mehr Frauen, mehr Ressortleiterinnen. Ihm war bewusst, dass Frauen in Führungspositionen auch imagepolititsch wichtig sind. Ohne dass ich der aktuellen Chefredaktion bösen Willen unterstellen möchte, hat es sich danach halt so eingeschlichen, dass fast alle Neueinstellungen Männer waren. Plötzlich war das Desaster da, und alle fragten sich: Warum eigentlich?
Was gab schliesslich den Anstoss, eine Frauendelegation zu gründen?
Es spielten verschiedene Faktoren eine Rolle. Im letzten November machte der "Schweizer Journalist“ ein Ranking. Hier schafften wir es gerade mal auf den 22. von 24 Plätzen. Hinter uns findet sich nur noch Blochers "Baz“ und die "Weltwoche“, dieses furchtbar frauenfeindliche Blatt.
Ranking über den Frauenanteil in Redaktionen. (Quelle: Schweizer Journalist)
Ich persönlich war schon zuvor etwas irritiert, als sich uns die neue konvergente Chefredaktion vorstellte: Da sassen fünf Herren, die ich im einzelnen sehr schätze, aber so einem reinen Männergremium war ich in meinem Berufsleben bis dahin noch nie begegnet. Übriggeblieben von den fünfen sind jetzt ja noch drei: Res Strehle, Arthur Rutishauser und Michael Marti. Etwas später besuchte uns ein Chefredaktionsmitglied der "Süddeutschen Zeitung“. Wie er uns erzählte, stellen Sie dort seit eineinhalb Jahren fast nur noch Frauen ein. Sie haben zwar keine Quotenvorgabe, aber sie tun es einfach. Aktuell hat man zum Beispiel als Mann so gut wie keine Chance, eine Korrespondentenstelle bei der "Süddeutschen“ zu bekommen.
Wer sind die Frauen der Frauendelegation?
Simone Rau vom Recherche-Team, Susanne Anderegg vom "Blauen Bund“, Barbara Reye vom "Wissen“ und Claudia Blumer vom "Inland“. In absehbarer Zeit wird sich auch Michèle Binswanger einschalten. Geplant ist, dass Michèle und ich uns abwechseln in den Rollen der Frauenbeauftragten und deren Stellvertretung.
Was ist seit der Gründung der Delegation geschehen?
Wir suchten zuerst das Gespräch mit der Chefredaktion. Und stiessen dort auf total offene Türen. Die Herren hatten sich parallel bereits Gedanken gemacht und es gab eigentlich gar keine Diskussion, ob es eine Frauenbeauftragte braucht oder nicht. Innerhalb kürzester Zeit hat die Chefredaktion von sich aus eine Deklaration ausgearbeitet: Die "Stauffacher-Deklaration“.
"Stauffacher-Deklaration“? Was steht da drin?
Es ist ein Dreijahresplan. Bis Mitte 2016 strebt die Chefredaktion einen Frauenanteil von 30 Prozent an, möglichst ausgeglichen auf allen Ebenen.
Bis hinauf zu den Führungspositionen also?
Die höchste erfasste Stufe ist die Tagesleitung.
Ist es nicht unbefriedigend, wenn Sie auf die wirklich entscheidenden Funktionen keinen Einfluss haben?
Die Tagesleiter stehen bei uns im direkten Tagesgeschäft über den Ressortleitern. Deshalb ist es ganz und gar nicht unbefriedigend. Auf die Chefredaktion können wir von innerhalb der TA-Redaktion keinen Einfluss nehmen, das ist ein Entscheid, der von sehr viel weiter oben gefällt wird.
Wie soll das Ziel gemäss Deklaration erreicht werden?
Insgesamt sind acht Punkte aufgeführt. Unter anderem werden bei gleichwertigen Kandidaturen Frauen bevorzugt. Entscheidet sich die Chefredaktion für einen Mann, so kann die Frauendelegierte – also ich derzeit – verlangen, dass die Chefredaktion ihre Gründe darlegt und eine Gegenkandidatin vorschlagen. Weiter sollen zum Beispiel auch mit potentiellen Kandidatinnen für einen Führungsposten die Eckpunkte einer mittelfristigen Karriereplanung entworfen werden.
Was ist, wenn der beste Bewerber immer männlich ist?
Wenn sich jetzt der weltbeste Journalist – eine Mischung etwa aus Julian Assange, dem "Guardian“- und dem "New York Times“-Chefredaktor – bei uns bewirbt, bin ich die letzte, die ihn nicht einstellen würde. Aber natürlich hoffe ich auf eine Julia Assange… Und ein bevorzugter männlicher Bewerber muss für mich schon sehr viel können, ich würde von ihm nichts weniger erwarten als ein kleines Weltwunder.
Von Quoten-Gegnern hört man oft das Argument, dass eine Frauenquote diskriminierend gegenüber Männern ist.
Ja, aber das ist mir egal. Die Männer sind in den letzten Jahren beim "Tagi“ massiv bevorteilt worden. Es gibt reine Testosteron-Territorien, unsere Chefredaktion, die Tagesleitung, weite Teile der Online-Redaktion.
In Ihrer Funktion exponieren Sie sich.
Ja, einige werden mich hassen lernen. Es ist meine Aufgabe, mich einzumischen. Vor zehn Jahren hätte mir das vielleicht etwas ausgemacht, inzwischen bin ich hart im Nehmen.
Weshalb braucht eine Redaktion eigentlich mehr Frauen bzw. warum ist eine Redaktion besser, wenn mindestens gleich viele Männer wie Frauen da arbeiten?
Nur schon das Arbeitsklima ist anders. In einer männerlastigen Umgebung ist alles automatisch sportlicher, militärischer, aggressiver. Ich wundere mich immer über den Reibungsverlust, der da dauernd entsteht: Da wird riesig viel Druck aufgebaut und Dampf abgelassen, alle messen sich dauernd an irgendwas – was für ein Stress und was für eine Energieverschwendung!
Ist also die Verbesserung des Arbeitsklimas Ihre Hauptmotivation, mehr Frauen an Bord zu holen?
Nein. Es geht vor allem ums Prinzip, um einen demokratischen Prozess, um Chancengleichheit. Frauen müssen sich im "Tagi“ repräsentiert fühlen. Frauen sollen aber auch im "Tagi" die Welt erklären. Und zwar hardcore. Ganz toll fände ich es zum Beispiel, wenn es uns gelingen würde, so eine richtig wichtige Polit-Kommentatorin zu haben, quasi einen weiblichen Daniel Binswanger. Sowas wie Arianna Huffington halt, auf die immer alle hören würden. Frauen dürfen bei uns nicht einfach als hübsches Gesicht stattfinden, das man auf der Frontseite dekorativ als Bild in eine Skybox packen kann, was leider ziemlich oft der Fall ist. Ich habe mal einen sehr bekannten Kollegen gefragt, wie oft er in den siebzehn Jahren, in denen wir uns kennen, über eine Frau geschrieben habe. Seine Antwort: "Scheisse, nie.“ Das ist typisch.
Ändert sich denn eine Zeitung tatsächlich, wenn mehr Frauen in den Redaktionen sitzen?
Der Herr von der "Süddeutschen“ hat dies zumindest bestätigt. Themensetzung und Diskussionskultur hätten sich im letzten Jahr stark verändert. Ich bin sehr gespannt, wie sich das bei uns einmal auswirken wird.
Im aktuellen "persönlich“ sagt Peter Wälty im Interview, dass die Frauenquote bei den Bewerbungen in den letzten fünf Jahren höchstens bei 25 Prozent lag. Sind die Frauen also selber Schuld?
In gewisser Weise ja. Wir sind vielleicht manchmal zu bequem. Weiterkommen zu wollen bedeutet viel Aufwand, viel Zeit. Und wir sind zu skeptisch. Fragen uns, ob wir einer Aufgabe tatsächlich gewachsen sind oder die Voraussetzungen wirklich erfüllen. Für eine Frau ist Rückzug auch eine Art Kampf. Ein Mann will gewinnen.
Was unternehmen Sie dagegen?
Wenn wir von der Frauengruppe das Gefühl haben, dass eine Journalistin genau auf ein Stellenprofil passt, machen wir sie auf die Stelle aufmerksam und fordern sie auf, ihre Bewerbung einzureichen. Und wenn wir ein Stelleninserat auf Twitter oder Facebook weitervertreiben, schreiben wir gross "Ladies first“ oder so dazu.
Das Tamedia-Magazin "Annabelle“ hat im vergangenen Herbst eine Kampagne für die Frauenquote lanciert, die Pietro Supino nicht sehr schätzte. Kurz darauf hat Chefredaktorin Lisa Feldmann ihren Abgang vermeldet. Ihre Gruppe kümmert sich um den "Tagi“. Was passiert mit dem Rest der Tamedia?
Diese Geschichte hat sich sehr schnell rumgesprochen, und es hagelte von Basel bis Hamburg Kritik auf die Tamedia. Seit Lisa Feldmann gegangen ist, geistert das Thema Frauenförderung im Haus herum. Es wird jetzt zwar kein offizielles Frauenförderprogramm ins Leben gerufen - das würde ja Geld kosten. Aber es soll künftig vom ganzen Betrieb das Ziel verfolgt werden, dass Frauen innerhalb der Tamedia mehr Profil und Präsenz erhalten.
Interview: Corinne Bauer