25.01.2013

MAZ

"Die Verlage sollen für Recherche Gelder locker machen"

Interview mit Dominique Strebel zum neuen Journalistenratgeber.
MAZ: "Die Verlage sollen für Recherche Gelder locker machen"

Eine seriöse Recherche ist die Basis jeder guten Geschichte, doch oft sind die Zeit und die personellen Ressourcen knapp. Vor diesem Hintergrund haben MAZ-Studienleiter Dominique Strebel und "SonntagsZeitung"-Journalistin Catherine Boss den saldo-Ratgeber "Recherche in der Praxis" herausgebracht (persoenlich.com berichtete), in welchem 19 bekannte Journalistinnen und Journalisten Einblick in ihre Arbeitsmethoden geben. Dem Thema Recherche gibt Strebel auch an seinem Institut, der Schweizer Journalistenschule (MAZ), eine Bühne. Am 28. Januar 2013 findet der "Erste Schweizer Recherchetag am MAZ" statt, an dem sich nach dem Prinzip des Buches Journalisten untereinander austauschen und ihre Kniffs und Tricks verraten. Da der Tag innert Kürze ausgebucht war, können Interessierte unter www.recherche.mazblog.ch oder via Twitter unter dem Hashtag #rt_maz den Workshop live mitverfolgen. persoenlich.com hat sich mit Dominique Strebel über sein Buch und die Kultur der Recherche unterhalten.

Mit "wenig recherchieren, Ornamente und Schwurbel", erläuterte Constantin Seibt sein journalistisches Prinzip bei der Wahl der Schweizer Journalisten. Herr Strebel, ist dies das gängige Arbeitsprinzip der hiesigen Journalisten?
Nein, das ist das Privileg des Ausnahmetalents Constantin Seibt. Aber es stimmt: Viele Journalisten bleiben bei der Überprüfungsrecherche stehen und graben nicht tiefer. Dazu fehlt im gehetzten Alltag leider oft die Zeit.

Sie haben vor kurzem den Rategeber "Recherche in der Praxis" herausgebracht. Wie kamen Sie darauf, dieses Buch zu schreiben?
In der Schweiz fehlt eine Kultur der Recherche. Die will ich fördern - nicht nur mit diesem Buch, sondern auch mit dem Recherche-Netzwerk investigativ.ch und mit dem Recherchetag an der Schweizer Journalistenschule MAZ.

Hat die Schweiz zu wenig gute Rechercheure?
Je mehr gute Stories es gibt und je mehr hartnäckige Rechercheure desto besser. In der Schweiz fehlen aber vor allem die Ressourcen, die vertiefte Recherchen möglich machen. Die Verlage sollten nicht nur von Recherche reden, sondern auch ganz konkret Gelder locker machen und Jobs schaffen. Zudem sind Rechercheure ungemütliche Zeitgenossen. Sie ecken an und stören. Das kann in der kleinräumigen Schweiz die Karriere schädigen. Deshalb brauchen sie Unterstützung von den Chefinnen, den Kollegen und Recherchetrainern.   

Journalisten lassen sich bekanntlich ungern über die Schulter blicken, wenn es um ihre Arbeitsmethoden geht. Wie haben Sie es geschafft, dass die Profis für Ihr Buch aus dem Nähkästchen plaudern?
Weil sie alle gute Stories lesen wollen. Das hat genau mit dieser Recherchekultur zu tun. Bei investigativ.ch haben Journalistinnen und Journalisten zusammengefunden, die sich über ihre Tipps und Tricks austauschen wollen. Das tun sie aus der Erkenntnis heraus, dass dieser Austausch Plausch macht und dass man zusammen weiterkommt. Am Schluss ist jeder Rechercheur mit seiner konkreten Story alleine, aber andere helfen mit Tipps zu Techniken, Vorgehensweisen, Methoden, dass die Story zustande kommt. Und über eine gute Story – auch von andern Kollegen – freut sich doch jeder gute Journalist.

Ist das Buch letztendlich für Rechercheure nicht eher schädlich, weil sie ja ihre Tricks verraten?
Das kann eine negative Auswirkung sein, doch die positiven Effekte überwiegen: Junge Journalistinnen und weniger erfahrene Jounralisten lernen das Handwerk, werden ermutigt, lassen eine Recherchekultur entstehen, die viel weiter trägt als nur Tipps und Tricks. Zudem nützen viele Hinweise der "Gegenseite" rein gar nichts - was soll ein Mediensprecher für einen Vorteil haben, wenn er weiss, wie Journalisten an Strafbefehle oder amtliche Dokumente rankommen?

Nach welchen Kriterien haben Sie die 19 Autoren für dieses Buch ausgewählt?
Wir haben insgesamt 20 Journalistinnen und Journalisten angefragt. Wir haben Leute ausgewählt, die im jeweiligen Spezialgebiet viel Erfahrung haben, diese reflektieren und verständlich darstellen können. Alle machten sofort mit – bis auf einen. Er wollte sein Wissen nicht aufschreiben, weil es sonst die Gegenseite, sprich die PR- und Medienbeauftragten, munitionieren würde. 

Wird die Recherche angehenden Journalisten im Studium oder in Volontariaten zu wenig gut vermittelt?
Jürg Frischknecht hat da eine enorme Arbeit gemacht und ein gutes halbes Dutzend Kollegen arbeiten heute als Recherchetrainer. Daran fehlt es nicht. Recherche wird in den Redaktionsstuben zu wenig unterstützt. Es gibt immer weniger erfahrene alte Hasen, die on the job ihr Wissen an die jüngeren weitergeben. Auch deshalb braucht es das Buch.

Wenn Sie einem Jungjournalisten in einem Satz einen wichtigen Recherche-Tipp geben müssten, wie lautete er?
Rede mit den Leuten, hör gut zu und frag hartnäckig nach… (denkt nach) … und vergiss mal das Internet.

Und ein gutes Netzwerk aufbauen?
Auf die Dauer ist das Netzwerk der entscheidende Vorteil. Damit eine gute Rechercheurin es aufbauen kann, muss sie über Jahre zeigen, dass sie gute Arbeit leistet, draus kommt und Themen wirkungsvoll in die Öffentlichkeit bringt. Nur so gewinnt ein Journalist das Vertrauen der (zukünftigen) Informanten.

Nennen Sie ein paar Informanten, die ein Rechercheur unbedingt haben sollte.
Das hängt vom Thema ab. Aber die wichtigsten Informanten sind die Leute in der zweiten oder dritten Reihe: Sie wissen alles, müssen oder dürfen nicht entscheiden und können oder wollen deshalb reden.

An welche Art von Informationen kommt ein Journalist am wenigsten gut ran?
An wichtige Infos aus der Wirtschaftswelt. Die sind extrem abgeschottet. Deshalb haben wir nichts über den Libor-Skandal gelesen, bis die UBS sich selbst anzeigte. Deshalb sind wir sehenden Auges in die Subprimekrise gerasselt und deshalb haben wir die Unternehmenssteuerreform II angenommen. Da hat nämlich niemand nachgerechnet, zu welchen Steuerausfällen das führen wird – und die Wirtschafts- und Steueranwälte haben sich ins Fäustchen gelacht.

Das Buch ist seit kurzem erhältlich. Welche Rückmeldungen erhalten Sie?
Es wird als Standardwerk gelobt, sei in der Praxis sehr brauchbar. Es habe nur einen Mangel: Es fehle die italienische und französische Schweiz. Diesen Mangel werden wir in einer 2. Auflage beheben

Wie sieht Ihr persönlicher journalistischer Hintergrund aus?
Ich habe mit 20 als Radiojournalist begonnen, daneben Recht studiert und dann immer die Juristerei mit dem Journalismus verbunden. Das ist eine äusserst wirkungsvolle Mischung – vor allem und auch für die Recherche. Ich war Bundesgerichtskorrespondent von SRF, Redaktor bei plädoyer und beim Beobachter, habe Bücher publiziert, betreibe einen Justizblog und bin heute Studienleiter an der Schweizer Journalistenschule MAZ.

Und welche wichtigen Rercherche-Erkenntnisse haben Sie aus dem neuen Buch gewonnen? 
Ich habe bei der Vorbereitung des Buches viel über den Umgang mit Informanten, übers Schreiben von langen Recherchen, über Recherche im Lokaljournalismus und über die Dokumentation von komplexen Recherchen gelernt. Auch die Tipps zur Internetrecherche von meinen Kollegen waren sehr lehrreich.

Welches Recherche-Erlebnis hat Sie am meisten geprägt?
Die Recherchen zu den administrativ Versorgten, also jene Menschen, die bis 1981 von den Behörden ohne Gerichtsurteil in Gefängnisse oder geschlossene Anstalten gesperrt wurden, nur weil sie als "arbeitsscheu" oder "liederlich" galten. Eine gerichtliche Überprüfung gab es nicht. Das Leid zu hören, über das lange geschwiegen wurde, und die Wirkung zu sehen, die Recherchen haben können: Sie haben eine Bundesrätin zur Entschuldigung bewegt, ein Rehabilitierungsgesetz initiiert und vereinzelt sogar finanzielle Wiedergutmachungen ausgelöst.

Interview: Claudia Thöny

Bilder: Keystone/MAZ



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