04.05.2012

Erfolgreiche Frauen

Sie wollte gerade deshalb Wirtschaftsjournalistin werden, weil Frauen in dieser Domäne eine Rarität sind. Hat Rita Flubacher (60), seit vier Jahren Wirtschaftschefin beim "Tagesanzeiger", vom Frauenbonus profitiert? Über ihre Strategien bei der Primeur-Jagd und die Unterschiede zwischen Tagi- und NZZ-Journalismus spricht sie im vierten Teil der persoenlich.com-Serie "Erfolgreiche Frauen":
Erfolgreiche Frauen

Frau Flubacher, was beschäftigt Sie momentan?

Die Antwort auf diese Frage ist eigentlich ganz banal: Jeden Tag eine möglichst gute Zeitung machen. Printmedien haben es im heutigen medialen Umfeld immer schwerer, sich zu behaupten. Sie müssen sich neu erfinden. Dennoch ist dieses Medium sehr wichtig für mich, denn ich habe mein Leben lang bei Zeitungen gearbeitet. Es mir ein grosses Anliegen, dass Zeitungen gut überleben können. Und dazu gehört selbstverständlich ein guter Wirtschaftsteil.

Wie hat sich der "Tagesanzeiger"-Wirtschaftsteil entwickelt?

Früher hatte der Tagi sechs Bünde, einer davon gehörte der Wirtschaft. Als die Blattarchitektur aufgrund der Verkleinerung der Seitenzahl geändert wurde, stand die Frage im Raum, welchen Platz der Wirtschaftsberichterstattung zukommen soll. Schliesslich kam es dann so, dass die Wirtschaft auf drei Seiten reduziert und im gleichen Bund wie Sport angesiedelt wurde. Dabei gelang es uns aber, die Aufschlagsseite zu bekommen.

Dieser Sieg der Wirtschaft über den Sport ist Ihre Errungenschaft?

Ja also… (lacht). Nein, natürlich ist es nicht nur mein Erfolg. Wir diskutierten in der Gesamtredaktion, dabei kamen wir zum Schluss, dass in der Wirtschaftsmetropole Zürich die Wirtschaft nicht ganz hinten angesiedelt sein sollte. Damit hätten wir ein ungutes Zeichen gesetzt.

Neu umfasst der "Tagesanzeiger" wieder vier Seiten Wirtschaft.

Ja. Den Börsenteil, der heute meist sowieso im Internet konsultiert wird, reduzierten wir von drei auf eine Seite, so dass uns nun wieder vier Seiten für redaktionelle Wirtschaftsinhalte zur Verfügung stehen.

Sie führen ein elfköpfiges Team. Wie ist das Verhältnis Frauen vs. Männer?

Dieses könnte zweifellos besser sein. Momentan sind wir drei Frauen – meine Stellvertreterin und die Redaktorin von "Sozial und Sicher" – und neun Männer.

Warum sagen Sie "zweifellos besser"?

Klar, der Idealzustand wäre, wenn wir ein ausgeglichenes Verhältnis hätten. Doch dies ist kein Ziel, das man sofort und auf Biegen und Brechen erfüllen muss, denn bei der Kandidatensuche zählt letztlich die Kompetenz.

Frauen sind noch immer stark untervertreten im Wirtschaftsjournalismus.

Ja. Doch ich stelle auch fest, dass sich immer mehr Frauen für Wirtschaftsjournalismus interessieren. Gerade kürzlich hatten wir sechs Studierende der Universität St. Gallen auf unserer Redaktion für ein Kurz-Praktikum. In diesem Jahr waren erstaunlicherweise nur Frauen und ein einziger Mann dabei. Frauen im Journalismus wollen meist gar nichts mit Wirtschaft zu tun haben. Doch dies ist völlig falsch! Ich ermuntere Frauen, denn gute Wirtschaftsjournalistinnen sind gesucht. Die Nachfrage ist gross, das Angebot klein. Frauen sollten sich für diejenigen Jobs interessieren, in denen Männer dominieren. Frauen sollten nie Angst haben, denn sie können es mindestens gleich gut. Oft sogar besser.

Wie meinen Sie das?

Frauen sind nicht per se die besseren Journalisten, sie führen auch nicht per se besser. Aber sie führen anders, meistens uneitler als Männer, was ja schon mal ein Vorteil sein kann. Auch gehen Frauen oft anders an Geschichten heran. Sie haben erstens ein geschärftes Auge für die Rolle der Frau in der Wirtschaft und können Sachverhalte so darstellen, dass sich auch Frauen angesprochen fühlen. Das ist wichtig, weil der Wirtschaftsteil noch immer mehrheitlich von Männern gelesen wird. Da gibt es also noch ein interessantes Leserinnenpotential auszuschöpfen.

Nach welchem Prinzip führen Sie?

(längere Pause). Es ist schon mal nicht gut, dass eine Frau lange nachdenken muss, wenn sie nach ihrem Führungsprinzip gefragt wird (lacht).

Warum nicht?

Ich habe mir noch nie so konkrete Gedanken über meinen Führungsstil gemacht. Natürlich setze ich die Leitplanken und sorge dafür, dass sie eingehalten werden, auch wenn es dabei gelegentlich zu Konflikten kommt. Für mich ist wichtig, dass die journalistischen Qualitätskriterien eingehalten werden und die Geschichten so erzählt werden, wie man sich dies beim "Tagesanzeiger" vorstellt.

Welches sind die "Tagesanzeiger"-Vorgaben fürs Geschichten erzählen?

Es gibt einen Common-Sense, wie wir Geschichten erzählen. Für das Publikum soll ein Wirtschaftsbeitrag relevant, spannend und unterhaltend sein. Natürlich nimmt auch die Chefredaktion – aktuell mit Res Strehle und Markus Eisenhut – Einfluss, wie eine gute Tagi-Geschichte aussehen sollte.

Können Sie ein Beispiel machen?

Wir grenzen uns klar zur NZZ ab, welche einen sehr traditionellen Wirtschaftsteil macht. Die NZZ erzählt keine Geschichten, sondern vermittelt vor allem Fakten und deckt die Wirtschaftsagenda ab. Dieser Stil mutet teilweise trocken und altmodisch an. Das wollen wir nicht. Tagi-Journalisten sollen wann immer möglich eigene Themen setzen oder aus der Agenda die wirklich relevanten Themen auswählen, sie in eine gute Geschichte verwandeln. Und sie sollen dabei immer den Leser vor Augen halten. Wir verwenden auch möglichst keine Fremdwörter, denn die Leser müssen verstehen, was wir schreiben. Auf der anderen Seite grenzen wir uns aber auch gegenüber dem Boulevardstil ab: Seichte Information wollen wir nicht.

Sie studierten Ökonomie, stiegen nach dem Abschluss jedoch in den Journalismus ein. Dies ist ungewöhnlich für einen auf Aufwand-Ertrag trainierten Geist.

(lacht). Ja also, da hat sich der Homo Oeconomicus in mir gemeldet. Als ich als Journalistin startete, war die Situation eigentlich sehr komfortabel: In den traditionell männerdominierten Wirtschaftsressorts gab es plötzlich eine wachsende Nachfrage nach Frauen. Daher war dies ein sehr ökonomischer Entscheid, den ich nie bereute. Weil es bei meinem Berufseinstieg so wenige Frauen gab, konnte man auch eher Karriere machen.

Mussten Sie sich, um vorwärts zu kommen, traditionell männlichen Ritualen anpassen? Also z.B. für Primeurs abends durch Bars ziehen?

Nein, dieses Klischee vom Bier trinkenden Journalisten ist definitiv passé. Abgesehen davon, dass ich keine solchen Bar-Touren mache, trinke ich lieber ein Glas Wein (lacht). Aber klar, ein Journalist muss gut vernetzt sein. Das ist sehr wichtig, denn so kommt man an gute Geschichten heran.

Wie pflegen Sie denn Ihre Kontakte?

Ich gehe regelmässig an Anlässe innerhalb und vor allem auch ausserhalb der Wirtschaft, an denen ich interessante Leute treffe.

Sind Sie gleich entschädigt wie die männlichen Ressortleiter?

Ja klar. Diese Lücke besteht beim Tagesanzeiger nicht, anders als bei früheren Stationen in meinem Berufsleben. Bei der "Weltwoche" beispielsweise gab es sicher Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern. Doch ich pochte bei allen Einstellungsgesprächen drauf, dass ich gleich viel verdienen will, wie meine männlichen Kollegen.

Hat es sich bereits in Ihrer Kindheit oder Jugend abgezeichnet, dass Sie Karriere machen wollen?

Ja, eigentlich schon. Ich wollte immer etwas zu sagen haben. Der letzte Kick fehlte mir jedoch, ich wollte nie Chefredaktorin werden. Ich wollte auch nie aus dem Journalismus austreten und anderweitig Karriere machen.

Warum nicht?

Chefredaktorin zu sein, das heisst, in einer Sandwichposition zwischen Redaktion und Verlag, zwischen Journalisten und Inserenten zu stecken und leider heutzutage immer mal wieder ein schmerzhaftes Sparprogramm durchzuziehen. Das muss man wollen und Spass daran haben, sonst ist man fehl am Platz. Ich wollte nie die Branche verlassen, weil Schreiben meine Leidenschaft ist. Ich glaube an die Aufgabe des Journalisten und bin überzeugt, dass wir noch immer viel bewirken können. Meinen Beruf finde ich jeden Tag aufs neue spannend.

Wie sind Sie aufgewachsen?

Ich bin in einem zweisprachigen, bürgerlichen Elternhaus aufgewachsen. Ich diskutierte als Kind schon gern, wir stritten oft und gerne über Politik und Sport. Auch über die Religion. Ich wurde von einem Elternteil religiös erzogen, während der andere Elternteil Atheist war. Das führte im Nachhinein zu einer Ablehnung der Religion.

Wie leben Sie privat: Haben Sie Kinder?

Nein, Kinder habe ich keine. Ich verspürte nie einen grossen Kinderwunsch. Die Karriere war immer wichtiger. Auch in der Beziehung mit meinem Partner waren eigene Kinder nie ein Thema. Bei beiden stand der Beruf im Vordergrund.

Sie wirken in diesem Gespräch sehr bestimmt. Sie antworten kurz und beinahe in druckreifen Sätzen. Ist diese wenig emotionale Art eine Rolle, die Sie im Beruf einnehmen, oder sind Sie auch privat so?

Diese bestimmte Art ist durchaus Teil meines Charakters. Dieser kommt jedoch stärker zum Ausdruck, wenn ich arbeite als unter Freunden.

Wo wird man Ihren Namen in Zukunft lesen?

(lacht). Noch etwas länger beim "Tagesanzeiger", hoffe ich!

Interview: Edith Hollenstein



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