19.03.2013

Blick

Erfolgreiche Frauen: Andrea Bleicher

"Wir sind hier nicht in der Steinerschule - unsere Zeitung wird nicht ertanzt", sagt Andrea Bleicher zu ihrem Führungsstil und erteilt der redaktionellen Demokratie eine klare Absage. Seit Februar hat die 39-Jährige als erste Frau überhaupt die Führung der Boulevardzeitung übernommen. Noch interimistisch, doch gehört diese Vorstufe zu einem der spannendsten und unbequemsten Jobs in den Schweizer Medien zum üblichen Anstellungsritual im Hause Ringier. Im 24. Teil unserer Serie spricht Bleicher über ihr Denken, Leben und ihre Ziele und sie bezieht Stellung zu einem "unjournalistischen" Text, in dem sie als frauenfeindlich und rechtspopulistisch inszeniert wird.
Blick: Erfolgreiche Frauen: Andrea Bleicher

Frau Bleicher, mit 23 Jahren wussten Sie schon, dass Sie Chefredaktorin vom "Blick" werden möchten. Wieso gerade vom "Blick"?
Ich fand den "Blick" schon immer das interessanteste Produkt.

Interessant von der Produzentenseite her, oder spricht Sie der "Blick" auch als Konsumentin am meisten an?
(überlegt) Der "Blick" spricht mich an, ich lese ihn gerne, aber als Leser sprechen mich auch andere Zeitungen an. Zum Machen finde ich den "Blick" aber klar am spannendsten. Beim "Blick" gibt es wenig Zwänge, man kann die Zeitung so bunt und frei gestalten, wie man will. Der "Blick" bewegt, man hat ihn gern oder regt sich über ihn auf. Das mag ich.

Gelernt haben Sie Buchhändlerin. Dann sind Sie von Ihrer Profession aber sehr schnell abgerückt. 
Schon als Zwölfjährige war für mich klar, dass ich Journalistin werden möchte. Kürzlich fand ich zuhause einen Aufsatz von damals, der meine Vorstellung vom Journalismus beschreibt. Ich stellte mir das sehr glamourös vor, wie man es im Fernsehen sieht, Kir-Royal-mässig. Ich wusste schon während des Gymnasiums, dass ich nicht studieren wollte, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, mich so lange mit einem Thema zu befassen. Ich ging damals zur Berufsberatung und wollte wissen: Wie kann ich Journalistin werden? Dort riet man mir zu einer Lehre als Buchhändlerin. Und das habe ich dann in Luzern auch gemacht. Ich dachte mir: Lesen schadet nicht (lacht). Später habe ich dann die Ringier Journalistenschule absolviert.

Jetzt sind Sie Chefredaktorin ad interim geworden und sind dabei noch nicht einmal vierzig Jahre alt. Die Laufzeit einer solchen Chefredaktion ist kurz, durchschnittlich etwa drei Jahre. Macht es Ihnen nicht Angst, Ihr Ziel schon so früh erreicht zu haben?
Ja, danach muss ich wohl nach Goa gehen, um Sandalen zu verkaufen (lacht).

Wer weiss. Es handelt sich bei der Stelle jedenfalls um einen enormen Verschleissjob. Vorgänger von Ihnen haben danach schon ziemlich alt und abgewrackt gewirkt.
Natürlich ist es anstrengend, aber es ist auch sehr spannend. Wissen Sie, man kann nicht soviel planen. Ich weiss noch nicht, wie der Rest meines Lebens aussehen wird. Im Journalismus bewegt sich momentan so viel, ich mache mir keine Sorgen um mich selber. Ich denke nicht: "Oh Gott, mit 45 ist es fertig, du bist Chefredaktorin gewesen und hast nichts mehr". Es geht immer weiter.

Sie haben sich schon dahingehend geäussert, dass Sie es sehr schätzen, viel Zeit auf der Redaktion zu verbringen. Als "Blick"-Chefredaktorin müssen Sie aber auch repräsentativ wirken und das Blatt in die Öffentlichkeit tragen. Machen Sie das gerne? Auf einem Bild beim Autosalon in Genf wirkten Sie nicht sehr glücklich.
Oh, tatsächlich? Ich bin vermutlich einfach nicht fotogen. Man muss und darf an solche Anlässe. Sie sind wichtig. Am Automobil-Salon in Genf war ich zum ersten Mal. Ich dachte eigentlich, die Buchmesse liegt mir mehr – aber dann war ich überrascht, wie gut ich mich am Autosalon unterhalten habe.

Sind Sie eine gute Netzwerkerin?
Innerhalb des Journalismus schon, ja. Wenn man schon auf vielen Redaktionen gearbeitet hat, kennt man dementsprechend viele - und viele gute - Journalisten. Das hilft nur schon, wenn man neue Leute anstellen will. Vermutlich sind etwa 70 Prozent meiner Freunde Journalisten. Vielleicht ist es sogar eine Berufskrankheit, dass man zu Menschen ausserhalb des Journalismus nicht mehr so viel Kontakt hat. Andererseits lerne ich gerne Menschen kennen, gehe aber nicht gezielt auf sie zu, nur weil ich denken würde, sie könnten mir im Beruf einmal etwas bringen. Ich gehe auf Leute zu, weil sie mich interessieren.

Über Sie gibt es in den Medien nur wenige Informationen, Artikel über Sie zehren immer noch von einem kurzen Interview im "Schweizer Journalist“ und reproduzieren immer die gleichen Sätze von Ihnen.
Es gibt jetzt tatsächlich viele Leute, die sehr viel von mir wissen möchten. Gleichzeitig will man auch immer dasselbe von mir wissen.

Was will man von Ihnen wissen?
Ob ich jetzt das "Blick"-Girl abschaffen werde und wie, um Himmels Willen, es eine Mutter verantworten kann, ihre zwei Kinder nicht den ganzen Tag zu betreuen.

Nehmen wir einmal an, Sie wären die vormalige "Blick"-Journalistin und sind jetzt mit Ihnen als Chefredaktorin konfrontiert. Stellen Sie diese Fragen auch?
Ich sage immer: "Never explain, never complain". Man darf sich nicht beschweren. Es sind vielleicht die beiden offensichtlichsten Fragen, die jedem einfallen (überlegt). Vielleicht würde ich mich das auch fragen, ja. Es ist zwar nicht sonderlich originell, aber was fragen Sie den Trainer einer Fussballmannschaft: "Wollen Sie gewinnen?", "Sind Sie zufrieden mit dem Spiel?" Die Leute sollen diese Fragen stellen dürfen - mich hat es einfach überrascht, dass Journalisten dachten, das "Blick"-Girl sei mein wichtigstes Thema.

Die Frage nach dem "Blick"-Girl ist ja schnell abgehakt, aber wie sieht es aus, wenn es um Ihre Kinderbetreuung geht. Stört Sie diese Frage?
Nein. Aber eigentlich finde ich: Meine Familie geht die Öffentlichkeit nichts an. Meine Kinder haben auch einen Vater, die sind nicht alleine zuhause und weinen.

Der "Blick" befasst sich doch auch mit sehr vielen Dingen, die die Öffentlichkeit nichts angehen.
Stimmt, ich weiss. Darum beschwere ich mich auch nicht und darum sage ich auch etwas zu diesen Fragen. Die Öffentlichkeit kann ihre Meinungen darüber haben, wie ich mein Leben führe - aber die Meinung kümmert mich nicht.

Wo fangen bei Ihnen denn die Fragen an, die Sie nicht einmal mehr bereit sind zu kommentieren?
Mein Beziehungsleben geht nur mich und die Betroffenen etwas an. Fragen darf man, aber man hat auch immer das Recht, Fragen nicht zu beantworten. Die Aufgabe des Journalisten ist es, neugierig zu sein. Es gibt keine Fragen, die unverschämt oder total daneben sind.

Geniessen Sie es, öffentlich thematisiert zu werden?
Es stört mich nicht.

Die Zeitschrift "work" hat einen Text über Sie veröffentlicht.
Ja, darin heisst es, ich sei eine Frauenfeindin und rechtsextrem. Ich finde, mit Journalismus hat der Text im "work" nichts zu tun. Mein Vater ist Gewerkschafter und Christlichsozialer, ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, der weder links, noch rechts ist. Und so sehe ich mich auch. Zum Vorwurf der Frauenfeindin: Zählen Sie mal, wieviele Frauen in meinem ehemaligen Ressort arbeiten. Karin Baltisberger war meine Stellvertreterin im Newsressort und ist jetzt meine Nachfolgerin. Sie wird es noch weit bringen. Schauen Sie sich dann mal andere Redaktionen an - dann können wir wieder darüber reden, wo es Frauenfeindlichkeit gibt.

Vorher sagten Sie, die Leute dürften schreiben, was Sie möchten, diese Darstellung scheint Sie aber doch sehr zu ärgern.
Mich ärgert der unjournalistische Ansatz. Man kann mich eine blöde Kuh finden, kann aufgrund einer SMD-Recherche und ohne mit mir zu sprechen ein Porträt über mich schreiben und irgend eine abenteuerliche These aufstellen – mit Journalismus hat das dann aber wenig zu tun.

Sie identifizieren sich mit der politischen Einstellung Ihrer Eltern. Inwiefern spielt da auch der christliche Glaube eine Rolle?
In meinem Fall gar keine. Ich bin zwar katholisch, gehe aber nur sehr selten in die Kirche. Am Christlichsozialen interessiert mich vor allem das Soziale. Meine Eltern haben mir und meinen drei älteren Schwestern ein starkes Gerechtigkeitsgefühl vermittelt.

Wie waren Sie als Kind?
Wahrscheinlich nervig. Meine Schwestern sind erheblich älter als ich, die älteste ist vierzehn Jahre älter, die jüngste elf Jahre. Ich war ein Nachzügler und es war für mich so, als hätte ich noch drei weitere Mütter. Meine Schwestern haben mich denn auch nicht als Geschwister behandelt, sondern so, als wäre ich ihr eigenes Kind. Als ich noch klein war und bei meiner ältesten Schwester übernachtete, die schon früh ausgezogen ist, wollte sie immer, dass ich so tue, als wäre sie meine Mutter (lacht).

Das haben Sie dann auch gemacht?
Ja, als kleines Mädchen war es für mich ein Abenteuer, bei meiner älteren Schwester zu übernachten. Ich kann mich noch gut erinnern, dass der erste richtige Freund meiner Schwester ein Auto mit gelben Felgen hatte. Das weiss ich noch, das hat mir total Eindruck gemacht. Wir selbst hatten kein Auto zuhause, geschweige denn eines mit gelben Felgen. An den Wochenenden bin ich immer früh aufgestanden und wollte spielen. Ich konnte nicht verstehen, wieso meine Schwestern da nicht mitmachen wollten. In meinem Quartier hatte es viele Kinder, da schickte mich meine Mutter raus und am Abend hat sie wieder gerufen und ich ging wieder nach Hause. Draussen habe ich viel gespielt, drinnen viel gelesen - ich konnte mich immer schon auch gut mit mir selbst beschäftigen. Mit Sport hatte ich es nie so: Ich spielte Klavier und am Samstag ging ich in den Blauring. Ah, und Ballett habe ich auch noch gemacht. Ich war schon früh gross gewachsen, deshalb war ich auch im Rennen und Weitsprung gut, nicht etwa weil ich besonders talentiert gewesen wäre. Im Dorf hätte man zwar noch in den Turnverein gehen können, aber das wollte ich nicht.

Vier Mütter – waren Sie da nicht total überbemuttert?
Wenn man immer um Erwachsene ist, was bei mir zuhause der Fall war, muss man sich behaupten, wenn man mitreden will. Meine Eltern haben mir nie das Gefühl gegeben, dass etwas nicht geht. Das Feld war weit offen und ich wurde immer sehr unterstützt. Nichts war ihnen zu absurd, ich hätte auch Profi-Fussballerin werden können. Dieses Gefühl, tun zu können, was man will und Leute zu haben, die an einen glauben, ist wichtig.

Sie wirken in diesem Gespräch sehr angenehm und umgänglich. Können Sie auch andere Saiten aufziehen? Wie erleben Ihre Mitarbeiter Sie?
Ich habe gerne mit Menschen zu tun. Aber, schauen Sie, die Zeitung muss gemacht werden, beim "Blick" herrscht keine Demokratie. Wir stimmen nicht darüber ab, welche Themen wir bringen. Das bestimme ich. Ich höre aber durchaus auch auf andere Menschen, diskutiere mit ihnen und lasse mich auf ihre Meinungen ein. Wenn ich jedoch von etwas überzeugt bin, wird es so gemacht und fertig. Die Zeitung muss auch mal fertig sein, wir "sändelen" hier nicht den ganzen Tag. Wir haben einen straffen Tag, die Leute arbeiten professionell, sie wissen, wann Zeit zum Diskutieren ist, und wann es auch mal reicht. Wir sind hier nicht in der Steinerschule - unsere Zeitung wird nicht ertanzt. Ich sage den Leuten klar, was ich will. Gleichzeitig darf es aber auch lustig sein und ich wünsche mir, dass die Leute gerne zur Arbeit kommen.

Wie sieht es da bei Ihnen aus?
An 99 Prozent der Tage komme ich gerne zur Arbeit, sehr oft auch gut gelaunt. Als ich beim "Blick" Nachrichtenchefin wurde, habe ich mich dazu entschlossen, mich nur wenig aufzuregen, um einen Herzinfarkt möglichst zu vermeiden. Wenn man sich dauernd nervt und jeden einen Idioten findet, wird es bei dieser Arbeit sehr schwierig. Ich arbeite gerne mit meinen Leuten zusammen und ich hoffe, dass diese das auch wissen.

Was hat sich unter Ihrer Regie beim "Blick" inhaltlich geändert?
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich alles auf den Kopf stellen muss. Für mich ist es wichtig, dass wir das Themenspektrum öffnen. Ich möchte nicht nur Einzelgeschichten machen. Eben haben wir etwa eine Geschichte zu "Kinderkrippen" lanciert. Ein solches Thema soll den "Blick" interessieren, auch wenn in der Krippe niemand gestorben und keine Krippe abgebrannt ist. Ich will Themen von gesellschaftspolitischer Relevanz lancieren. Die Leser sollen darüber diskutieren, sich eine Meinung bilden. Sich freuen oder ärgern. Neben dem Interesse an Einzelschicksalen sollen Geschichten weitergesponnen werden, und das Exemplarische und Politische aufgezeigt werden.

Interview: Benedict Neff, Bild: Shane Wilkinson/Ringier

In der April-Ausgabe der Zeitschrift "persönlich" wird ein Porträt über Andrea Bleicher unter der Rubrik "Chefredaktoren und ihre Morgenrituale" erscheinen.



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