Zum zweiten Mal in Folge haben Sie ein gestiegenes Interesse an Nachrichten gemessen bei der Schweizer Bevölkerung. Bei der jüngsten Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen ist der Sprung besonders gross nach einem Taucher in den letzten Jahren. Was ist da geschehen?
Die wichtigere Entwicklung ist die längerfristige: Dort zeigt sich in der Schweiz ein sinkendes Nachrichteninteresse, auch wenn das Interesse nicht so stark sinkt wie in anderen Ländern. Seit zwei Jahren nimmt das Interesse wieder leicht zu. Das ist für den Journalismus und auch für die Gesellschaft natürlich ein gutes Zeichen. Doch mit Blick auf die Resultate müssen wir uns fragen: Ist dieser jüngste leichte Anstieg wirklich der Anfang vom Ende der Talsohle oder müssen wir nicht eher damit rechnen, dass in Zukunft das Interesse insgesamt abnehmen wird? Aus der internationalen Forschung gibt es Anzeichen, dass das Interesse tiefer ist in Ländern, wo die Tech-Plattformen stärker dominieren. Eine weiter zunehmende Bedeutung der Plattformen könnte, auch in der Schweiz, langfristig eher wieder zu einem abnehmenden Interesse führen.
Auch das Medienvertrauen hat im letzten Jahr wieder etwas zugenommen. 46 Prozent der Befragten und damit 5 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr sind mit der Aussage einverstanden, man könne «dem Grossteil der Medien meistens vertrauen». Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?
In den letzten fünf bis zehn Jahren schwankt nach den Messungen des Digital News Report das Medienvertrauen, es gibt also zumindest für die Schweiz keinen klaren Trend. International zeigt sich, dass das Medienvertrauen in vielen Ländern in den letzten paar Jahren relativ stabil ist, nachdem es zuvor gesunken war. Das könnte darauf hinweisen, dass sich die Situation bezüglich Medienvertrauen etwas erholt hat.
Ist der Anstieg von Interesse und Vertrauen auch der Grund, warum die Zahlungsbereitschaft für Onlinenachrichten um fünf Prozentpunkte auf 22 Prozent zugenommen hat?
Wir sehen regelmässig, dass vor allem das Interesse an Nachrichten – und an Politik – positiv mit der Zahlungsbereitschaft zusammenhängt. Von daher: Ja, ein steigendes Interesse hilft sicherlich der Zahlungsbereitschaft.
Gibt es einen solchen positiven Zusammenhang auch beim Medienvertrauen?
Nein, hier sehen wir diesen Zusammenhang in dieser Stärke nicht. Für die Medienbranche gibt es zwei hoffnungsvolle Zeichen: Erstens ist die Zahlungsbereitschaft bei jüngeren Altersgruppen höher als bei älteren, auch wegen ihrer stärkeren Onlineaffinität. Zweitens: Wir konnten in den Resultaten sehen, dass jüngere Leute, die sagen, sie hätten schon einmal eine Ausbildung oder Schulung im Umgang mit Nachrichten gehabt, mit höherer Wahrscheinlichkeit für Onlinenachrichten bezahlen. Die Förderung der Medienkompetenz, wie sie viele Medienhäuser mit Projekten unterstützen, scheint deshalb eine lohnenswerte Strategie.
«Mittlerweile stagniert international gesehen die Zahlungsbereitschaft wieder»
Die grosse Mehrheit, 64 Prozent der Befragten, will weiterhin kein Geld ausgeben für Online-News. Wird sich das jemals ändern? Kennt man aus anderen Ländern Kippmomente, nach welchen die Zahlungsbereitschaft zugenommen hat?
Die Zahlungsbereitschaft für Onlinenachrichten ist in den allermeisten Ländern tief, diesbezüglich ist die Gratismentalität stark verankert. Nur in Schweden mit 31 Prozent und Norwegen mit über 40 Prozent ist die Zahlungsbereitschaft etwas höher. Was die Entwicklung betrifft, hat sich die Zahlungsbereitschaft in vielen Ländern in den letzten zehn Jahren verdoppelt. In dieser Zeit wurden auch immer mehr Paywalls eingeführt. Aber mittlerweile stagniert international gesehen die Zahlungsbereitschaft wieder. Als positives Zeichen sehe ich in der Schweiz, dass jüngere Altersgruppen für Online-News relativ gesehen öfter bezahlen als Ältere. Das war vor zehn Jahren noch nicht so. Es gibt also in der nachwachsenden Generation zahlungswillige Menschen, aber sie achten auch auf den Preis. Medienhäuser müssen die richtige Balance finden zwischen vergünstigten Abonnements, die junge Leute ansprechen, und trotzdem ausreichend hohen Preisen, damit sie mit Onlinejournalismus überhaupt Geld verdienen können.
Bei den meistgenutzten Onlinemedien liegt 20 Minuten in der Deutsch- und Westschweiz unangefochten an der Spitze vor den Angeboten der SRG. Liefert die Beliebtheit dieser kostenfreien Angebote eine mögliche Erklärung für die geringe Zahlungsbereitschaft in der Schweiz?
Nicht unbedingt. Wir haben letztes Jahr in einer Studie den Istzustand zur Zahlungsbereitschaft untersucht. Das Resultat war: Weder die Onlinenutzung von Gratis- und Boulevardmedien wie 20 Minuten noch die Onlinenutzung von SRF oder RTS hängen aktuell mit der Zahlungsbereitschaft zusammen. Vor allem SRF und RTS online werden als Ergänzung zu Abonnementmedien genutzt. Der wichtigste Faktor für die Zahlungsbereitschaft ist das Interesse an Nachrichten und an Politik. Wenn es darum geht, die Zahlungsbereitschaft zu steigern, müsste man hier ansetzen.
Sie haben für die Länderstudie Schweiz des Reuters Reports erstmals auch Podcasts und KI-Chatbots berücksichtigt. Beide Newsquellen weisen eine signifikante Nutzung auf mit 10, beziehungsweise 8 Prozent der Befragten, die angeben, sich damit «letzte Woche» informiert zu haben. Geht diese Nutzung zulasten anderer Kanäle oder woher kommt sie?
Podcasts und KI-Chatbots sind in den Medienmenüs der Schweizerinnen und Schweizer momentan eher eine Ergänzung zu den bisherigen Quellen. Denn fragt man die Menschen, welches ihre Hauptinformationsquelle ist, dann sagen nur 2 Prozent, dass es Podcasts sind. Und nur für 1 Prozent aller Befragten sind KI-Chatbots die Hauptquelle. Klar ist aber auch, dass die Nutzung von Podcasts und vor allem von KI-Chatbots bei den jungen Altersgruppen stärker verbreitet ist als in der Gesamtbevölkerung. Sie sind dort auch eher die Hauptinformationsquelle als bei älteren Leuten. Es ist deshalb anzunehmen, dass solche Quellen in Zukunft eine grössere Rolle spielen werden.
«Viele Menschen scheinen Radionachrichten nur am Rande oder gar nicht wahrzunehmen»
Erneut fällt die starke Diskrepanz auf zwischen der weiterhin hohen Radionutzung in der Schweiz und der seit Jahren sinkenden Nutzung als Informationsquelle. Vermeiden immer mehr Leute aktiv die Radionachrichten?
Vermutlich ist es keine aktive, bewusste Vermeidung von Radionachrichten, sondern das Radio wird in erster Linie als Begleitmedium im Alltag eingesetzt. Nachrichten kommen dort auch vor, aber viele Menschen scheinen sie nur am Rande oder gar nicht wahrzunehmen. Sie wären in dem Fall aus der Sicht solcher Befragten keine Newsquelle, mit der man sich regelmässig informiert.
Bei den Social-Media-Plattformen mag es überraschen, dass WhatsApp den höchsten Wert verzeichnet bei der Nutzung zu Newszwecken. Steht hier das Teilen von News im Vordergrund und weniger der Konsum, wie etwa auf der Plattform YouTube, die an zweiter Stelle folgt?
Das ist eine Vermutung. Genau können wir es nicht sagen, denn in der Untersuchung haben wir nicht speziell gefragt, ob man eine bestimmte Plattform eher zum Teilen oder zum Konsumieren von News einsetzt.
Erstmals haben Sie Lokal- und Regionalnachrichten in der Studie berücksichtigt. An den Ergebnissen dazu fällt auf, dass sich Interesse und Nutzung stark nach Geschlecht unterscheiden und Männer eine stärkere Affinität zeigen. Liegt das an der Machart des Lokaljournalismus?
Männer interessieren sich vor allem für lokale Politikthemen viel stärker, als es Frauen tun. Das ist aber auch bei Politikthemen generell der Fall, also auch ausserhalb des Lokaljournalismus. Ob die Machart des Politjournalismus ein Grund für dieses geringere Interesse der Frauen ist, muss offenbleiben. Denn laut den Umfragedaten stösst Politik auch unabhängig von Nachrichten bei Frauen auf weniger Interesse als bei den Männern.
«Es wäre im Eigeninteresse der Medien, dem Publikum die verschiedenen Einsatzgebiete von KI besser zu erklären»
Apropos Journalismus: Gegenüber dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) hegt das Publikum weiterhin Vorbehalte und vertraut «dem professionellen, menschengemachten Journalismus» grundsätzlich mehr. Könnte diese anhaltende Skepsis auch von einem mangelhaften Verständnis herrühren, wie Redaktionen KI tatsächlich einsetzen?
Das ist gut möglich. KI ist eine relativ neue Technologie und viele Leute wissen noch gar nicht, ob und wie genau KI in den Redaktionen eingesetzt wird. Es wäre im Eigeninteresse der Medien, dem Publikum die verschiedenen Einsatzgebiete von KI besser zu erklären. Denn wir wissen auch, dass die Befragten davon ausgehen, dass Nachrichten dank KI nun billiger zu produzieren sind. Da liegt der Schluss nahe, dass die Menschen nicht bereit sein werden, für solche Nachrichten zu bezahlen, wenn sie den Mehrwert oder den tatsächlichen Aufwand nicht erkennen, den es trotzdem braucht.
Zum zehnten Mal veröffentlicht der Digital News Report auch Zahlen zur Schweiz, zum vierten Mal gibt es einen eigenen Länderbericht. Wenn Sie die Ergebnisse in die Zukunft verlängern, wohin bewegt sich die Mediennutzung in der Schweiz? Was gibt Anlass zur Hoffnung? Wo bleiben Sie skeptisch?
Skeptisch bin ich, was die «Nachfrage» nach dem Journalismus in der Bevölkerung betrifft. Es wird natürlich immer eine Gruppe von Menschen geben, die sich informieren möchte und dafür bezahlen will. Für unsere Gesellschaft wäre es aber nicht gut, wenn sich die Kluft zwischen Viel- und Wenignutzern auftut. Skeptisch bin ich auch, was die Finanzierung des Journalismus betrifft. Einnahmen aus dem Werbemarkt werden nicht mehr reichen und der Lesermarkt allein wird es vermutlich nicht richten. Positiv stimmt mich aber, dass viele Menschen immer noch Vertrauen in die professionellen Medien haben, gerade in Abgrenzung gegenüber den Plattformen und KI-Anbietern und gerade wenn es darum geht, sich im Strudel von Falschinformationen auf seriöse Quellen verlassen zu können. Ich bin deshalb vorsichtig optimistisch, dass die Schweizer Bevölkerung vernünftige medienpolitische Weichenstellungen in den nächsten Jahren mittragen wird.