Herr Beusch, zum vierten Mal findet die Eventreihe Gamehotel in Zürich statt. Was spricht für die Limmatstadt?
Interaktive Unterhaltung ist eine Wachstumsbranche. Trotz der aktuellen Wirtschaftslage werden über die nächsten Jahre Wachstumsraten bei rund zehn Prozent prognostiziert. In der interaktiven Unterhaltung fliesst Knowhow aus der IT-, Kommunikations- und Werbebranche sowie aus der Kreativwirtschaft zusammen. Das sind Wirtschaftssektoren, die in Zürich stark vertreten sind. Die internationale Eventreihe Gamehotel begleitet seit Jahren die neuesten Entwicklungen und Tendenzen aus der Welt der interaktiven Unterhaltung und hat sich als Trend-Showcase dieser Zukunftsbranche in der Limmatstadt fest etabliert.
Haben Sie am Eventkonzept etwas verändert?
Vor einem Monat haben wir in Köln an der Gamescom eine weitere jährlich stattfindende Ausgabe mit neuem Konzept gestartet und sind nun in Frankreich, Deutschland, Kalifornien und in der Schweiz präsent. Auch in Zürich lancieren wir dieses Jahr ein neues Format. Die beiden Eckpfeiler sind zum einen die Gamehotel Soirée, eine exklusive Abend-Veranstaltung zum Thema "Reinventing Fun - From Games to Entertainment". Und dann haben wir einen neuen Consumerteil, die Gamepromenade.
Ist internationale Branchenprominenz zu Gast an der Gamehotel Soirée?
Ja. Highlight der Gamehotel Soirée ist der unterhaltsame Battle of Ideas, an dem führende internationale Branchengrössen mit Leidenschaft und Scharfsinn beleuchten, wie sich interaktive Unterhaltung gerade völlig neu erfindet und dabei in der Entertainment- und Kommunikationsbranche ein Erdbeben nach dem anderen auslöst. Angeführt wird das diesjährige Lineup vom CEO der legendären Entwicklerfirma Remedy Games aus Finnland. Er wird zeigen, wie sie für ihren psychologischen Action-Thriller Alan Wake Einflüsse aus Film und erfolgreichen TV-Serien wie Lost und Twin Peaks verarbeiten um bei Produktion und Vermarktung neue Wege zu beschreiten.
Interessant. Vor zwei Jahren kaufte ich mir das letzte PC-Game. Was hat sich in der Zwischenzeit verändert?
Eine Menge! Das Angebot in der interaktiven Unterhaltung hat sich stark geöffnet. Die Branche entwickelt innovative Businessmodelle und arbeitet eng mit der Film- und Musikindustrie zusammen. In den letzten Jahren haben vor allem die so genannten Casual Games die Industrie umgekrempelt. Das sind einfache Games mit kurzer Spieldauer. Sie werden zwischendurch wie Snacks konsumiert. Das spricht ein breites, neues Publikum an.
Können Sie uns verraten, warum die grosse Masse heute viel Zeit in virtuellen Spielwelten verbringt?
Games sind nicht nur gute Unterhaltung, sie vermitteln auch ein Gefühl, das man in der Psychologie Selbstwirksamkeitserleben nennt. Die Echtzeit-Rückmeldungen, die das Gamesystem dem Spieler auf seine Handlungen gibt, lassen ihn die unmittelbaren Konsequenzen seiner Entscheide direkt in der Spielwelt erleben. Das vermittelt ein Gefühl der eigenen Wirksamkeit. Diese Erfahrung und die damit verbundenen Emotionen vermissen viele Menschen im modernen Alltag, finden sie aber in virtuellen Spielwelten. In dieser Form leistet das kein anderes Unterhaltungsmedium. Aber auch weil Spiele heute auf zahlreichen Kanälen und Plattformen verfügbar und immer einfacher zu bedienen sind, verbringen immer mehr Menschen Zeit in virtuellen Spielwelten.
Wie viele Stunden in der Woche spielen Sie?
Interaktive Unterhaltung reiht sich nahtlos in meinen Medienkonsum ein, auf der gleichen Ebene wie Film, Internet, TV, Musik oder Bücher. Ihre Frage nach der Anzahl gespielter Stunden spricht einen interessanten Aspekt von Games an. Spielmechanismen als Gestaltungsprinzip durchdringen unsere aktuellen Konsum-, Kommunikations- und Dienstleistungsangebote. Ich denke an Ratingsysteme als spielbare Mehrwerte in heutigen Medienangeboten oder in Online-Auktionsdiensten wie eBay, das sich zunehmend wie ein weltumspannendes Echtzeit-Shopping-Game anfühlt. So besehen verbringen wir alle viel mehr Zeit beim Spielen als uns bewusst ist.
Videospiele haben eine kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung. Beginnen wir mit der Kultur.
Spiele sind seit Jahrtausenden eine universelle, für alle Menschen verständliche Sprache. Digitale Games verbinden dieses Erbe mit den technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts. Wenn wir einem Freund erzählen, dass wir gestern im Kino waren, dann erzählen wir, was wir gesehen haben. Wenn wir ein Game gespielt haben, dann erzählen wir, was wir gemacht haben. Denn in Games erfahren wir uns immer selber als Akteure. Wir leben heute in einer perfekt kartographierten Welt. Google Earth bringt uns sofort in jeden entlegenen Winkel. Dank unseren GPS-Navigationsgeräten verirren wir uns nie mehr. Games hingegen bieten uns offene, unkartographierte Welten. Die wir in einer fast physischen Weise erschliessen und erforschen können. Games geben uns die Freiheit, uns zu verlieren, Entscheide zu treffen, aufzubauen oder zu zerstören, dorthin zu gehen, wo vor uns noch nie jemand war. Jede Epoche schafft ihr eigenes Medium. Im 20. Jahrhundert war das der Film. Games sind das kulturelle Leitmedium unserer Epoche.
Mit Videospielen wird mittlerweile soviel Geld verdient wie mit Kino. Können Sie die wirtschaftliche Bedeutung nachzeichnen?
Interaktive Unterhaltung generiert heute nicht nur höhere Umsätze als das Kino, sie expandiert auch kontinuierlich, während andere Entertainmentsektoren stagnieren. Ein weiteres Indiz für die wirtschaftliche Bedeutung ist der Standort-Kampf, den sich letztes Jahr die grossen Städte in Deutschland geliefert haben, um Leipzig die führende europäische Spielemesse abzuwerben. Die Medienstadt Köln hat sich letztlich durchgesetzt, und dieses Jahr mit der neuen Gamescom auf Anhieb eine Viertelmillion Besucher angezogen.
Und die gesellschaftliche Bedeutung?
Wir leben in einer Welt, die immer stärker von komplexen, dynamischen Systemen geprägt ist. Das globale Klimasystem ist ein solches. Das weltumspannende Finanzsystem ein anderes. Games sind ebenfalls dynamische Systeme. Das macht sie zu einer Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts. Die Generationen, die mit ihnen aufwachsen, entwickeln ein anderes Verständnis im Umgang mit den dynamischen Prozessen und vernetzten Interaktionen in unserer komplexen Welt, als die Generationen vor ihnen, die mit Rechenschieber und Textbuch aufgewachsen sind.
Games machen neue Erlebnis-, Konsum- und Kommunikationswelten möglich. Was für Möglichkeiten hat die Markenkommunikation?
Nehmen wir das Beispiel Shopping-Welten. Dort findet im Moment ein bedeutender Paradigmenwechsel statt. Bis vor kurzem standen bei der Planung einer Einkaufslandschaft Theater und Film als primäre Metapher Modell. Vom Ladenbau bis zur Kundenführung orientierte man sich an ihnen. Morgen wird hier die interaktive Unterhaltung als Referenzmedium dienen. Sie bietet Lösungsansätze zur Gestaltung von Erlebnissen, die nicht bei der Inszenierung von Inhalten und Produkten Halt machen, sondern bei Prozessen, Interaktion und Kommunikation ansetzen.
Erklären Sie das an einem Beispiel.
Ein vielversprechendes Konzept aus der interaktiven Unterhaltung ist zum Beispiel die sogenannte Replay Value, also der Wiederspielbarkeits-Wert. Warum spielen wir ein Game immer und immer wieder? Games haben zahlreiche Designbausteine wie Leaderboards, Highscores, Belohnungssysteme oder Hidden Objects entwickelt, die eine Replay Value garantieren. Ich habe die Möglichkeit, meine Spielfigur und meinen Status zu verbessern, in Spielwelten, die sich dynamisch, meinen Handlungen entsprechend, vor meinen Augen verändern. Die Spieleindustrie hat über Jahrzehnte erprobt, wie aus aktiver Teilnahme und Belohnungssystemen packende Erlebnisse entstehen, die Konsumenten in ihren Bann ziehen. Solche Gestaltungsprinzipien lassen sich mit Erfolg auch in der Markenkommunikation einsetzen.
Die Leistungswerte für In-Game-Werbung sind fantastisch. 80 Prozent der Konsumenten mögen Werbung in den Spielen. Warum ist die Mehrheit der grossen Werbetreibenden noch wie vor zurückhaltend mit Investitionen?
Man muss sich einmal aktuelle Zahlen vor Augen führen: Der durchschnittliche Gamer in den USA ist heute 35 Jahre alt, in Deutschland 33 Jahre. Letztes Jahr spielten 26 Prozent der Amerikaner über 50 Jahre Games; 1999 waren das erst neun Prozent. Vierzig Prozent aller US-Gamer sind Frauen, in Deutschland geht man von 33 Prozent aus. Und im Bereich von Casual Games stellen Frauen mit 52 Prozent sogar die Mehrheit. Es besteht hierzulande in der Tat noch eine gewisse Hemmschwelle bei Werbetreibenden, verglichen etwa mit Grossbritannien oder Deutschland. Aber über kurz oder lang wird hier ein Umdenken stattfinden.
Wie viele Formen von In-Game-Werbung gibt es?
In-Game-Werbung ist nur ein Bereich, den Werbetreibende nutzen können. Der ist mittlerweile mit dynamischer In-Game-Werbung und Advergames gut bekannt und setzt sich durch. Vielversprechend sind auch neue Modelle, die beim Gameplay ansetzen und auf Casual Games und neue Zielgruppen fokussieren. Beim so genannten Free2Play-Modell zum Beispiel, kommt man gratis ins Spiel, zahlt aber mit Mikrotransaktionen für virtuelle Ware wie Einrichtungsgegenstände winzige Geldbeträge.
Das Spiel "Battlefield Heroes" konnte man nicht im Laden erwerben, sondern gratis im Internet. Die Finanzierung erfolgt ausschliesslich über Werbung im Game und eben diesen Mikrotransaktionen. Gratiskultur auch im Gamesektor?
Die Zukunft gehört der digitalen Distribution. Und das Potenzial des Free2Play-Modells ist gross, wie man in Asien gesehen hat. Man weiss, dass neun von zehn Spielern eines Free2Play-Games gratis spielen, jeder zehnte dafür im Durchschnitt 45 Dollar pro Monat ausgibt. Gemäss aktueller Prognosen könnten Mikrotransaktionen dieses Jahr den Entwicklern von Games und Applikationen auf Facebook bereits 500 Millionen Dollar einbringen. Mit der neuen iPhone-Version können nun auch auf dieser Plattform virtuelle Items gekauft werden. Und gerade hat der Kampf um eine virtuelle Einheitswährung begonnen.
Der Trend geht angeblich in Richtung "User generated Gaming". User basteln in Zukunft ihre Spielumgebung selber. Wo beobachtet man diesen Trend deutlich?
Interessant ist, was in diesem Bereich zur Zeit mit Games in sozialen Netzwerken passiert. Da erhält der Begriff "nutzergeneriert" eine ganz neue Bedeutung. Wir alle hinterlassen auf Facebook oder Twitter eine Menge persönlicher Informationen. Diese Daten werden zum Rohmaterial für Spiele. Sie werden zu Gameerlebnissen verwoben, die Konsumenten ansprechen, für die spielerische Interaktion mit ihrem Social Graph, also ihren Online-Bekanntschaften, zentral geworden ist. Was dabei entsteht, ist eine neue Form von Kommunikation via Games. Statt ein weiteres Mal die Welt vor Aliens zu retten, spielt man mit den Daten, die man mit seinen Online-Freunden selber generiert. Alle diese Beispiele zeigen, dass sich die interaktive Unterhaltung auf dem Weg zur Supermacht der Entertainmentbranche gerade völlig neu erfindet.
(Interview: Christian Lüscher)
"persoenlich.com" verlost 5x2 Einladungen zur exklusiven Gamehotel Soirée vom 27. Oktober im Papiersaal in Zürich. Interessierte können bis zum 20. Oktober eine Email mit Kennwort "Einladung persönlich" an info@persoenlich.com senden.
Kommentare
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Peter Huber, 03.09.2019 17:16 Uhr
Die Möglichkeiten sind verlockend. Ein Produkt zu finden, das die Spieler inspiriert und motiviert ist eine Herausforderung. Eine Voraussetzung ist, dass man mit den Möglichkeiten die Games bieten gamen kann.