11.11.2024

Kill List

«Ich war erleichtert, dass die Produktion nicht auf Sensation setzte»

Journalistin Franziska Engelhardt hat am britischen True-Crime-Podcast, der aktuell zu den meistgehörten Podcasts im englischsprachigen Raum gehört, mitgearbeitet. Im Interview sagt sie, wann es ihr unangenehm wurde und warum sie zweimal juristische Hilfe holen musste.
Kill List: «Ich war erleichtert, dass die Produktion nicht auf Sensation setzte»
«Ich bin überhaupt nicht True-Crime-affin, aber ich fand die Geschichte interessant», so Podcasterin Franziska Engelhardt. (Bild: zVg/Nora Brumm)

Franziska Engelhardt, bei Ihrer Recherche für «Kill List» haben Sie geholfen, einen Mordversuch in der Schweiz aufzudecken, und mussten auch bei der Polizei aussagen. Das liegt nun einige Jahre zurück. Läuft es Ihnen heute noch kalt den Rücken runter?
Es lief mir immer wieder mal kalt den Rücken runter. Zum Beispiel als ich die Frau aufsuchte, die das Ziel des Mordauftrags war. Ich war allein, es war nebelig und das Haus wegen eines Riesenumbaus in Plastikverkleidung. Oder als die Polizei den Lagerraum ihres Mannes mit Dutzenden von Waffen und auch Masken fand. Da wurde für mich klar, was für eine krasse kriminelle Energie der Mann hatte. Anders als bei einer Reportage im Ausland ist es mir immer wieder eingefahren, dass die Gefahr quasi vor der Haustür stehen könnte.

In einem Social-Media-Post haben Sie erwähnt, dass es während der Recherche «unangenehm» wurde. Was ist da genau passiert?
Weil ich den Fall bei der Polizei gemeldet hatte, war mein Name in den Akten. Bei einer Einvernahme riet mir ein Polizist, meinen Arbeitsort anzugeben, statt meiner privaten Adresse. Mir wurde dann bewusst: Der Anwalt des Beschuldigten wird meinen Namen sehen. Ich hatte das ungute Gefühl, dass ich eine einfachere Zielscheibe war als die britischen Journalisten, obwohl ich nur die Mittelsfrau war. Ich musste juristisch erwirken, dass ich vom Recht des Quellenschutzes Gebrauch machen kann, um meinen Namen aus den Dokumenten zu streichen. Dabei hat mich dankenswerterweise die Gewerkschaft SSM unterstützt.

Und dass Sie mit Ihrem Namen im Podcast nun vorkommen, ist für Sie kein Problem mehr?
In der Zwischenzeit fühle ich mich auch wieder sicher. Am Anfang der Recherche aber wusste ich nicht, ob die Polizei etwas finden würde. Ich hatte auch wenig Vertrauen, weil die Polizei gegenüber dem Fall viel Misstrauen zeigte. Die britischen Kollegen fanden, die Schweizer Polizisten verhielten sich im Vergleich enorm unkooperativ. Sie haben tagelang nicht geantwortet. Und der Gipfel war ja, dass sie gesagt haben, sie glauben, dass die Journalisten die Geschichte erfunden haben. Aber dann haben sie mit der Cyberpolizei den Auftragsmord beweisen können und haben eine gute Arbeit gemacht.

«Die Gefahr ist real. Das ist nicht zu belachen.»

Der Podcast zeigt, dass auch in anderen Ländern die Polizisten die Fälle nicht ernst genommen haben.
Ja, die Verharmlosung der Fälle war schon auffällig. Im spanischen Fall hört man sogar, wie sich die Polizisten über die Anzeige lustig machen. Aber es ist nicht nur die Polizei. An der Gerichtsverhandlung des Beschuldigten waren auch andere Journalisten anwesend, die dem Anwalt gesagt haben, dass fünf Jahre Haft schon eine ziemlich hohe Strafe sei, der Beschuldigte habe eigentlich nichts gemacht. Das war für mich schockierend.

Kann der Podcast helfen, diese Sichtweise zu ändern?
Der Podcast zeigt dieses neue Phänomen auf, das durch das Darknet möglich geworden ist. Während der Produktion wurde in den USA eine Frau umgebracht, die auf so einer Liste stand. Also die Gefahr ist real. Das ist nicht zu belachen.

Wie kamen die «Kill List»-Produzenten für die Zusammenarbeit auf Sie?
Sie haben eine Storytelling-Podcasterin in der Schweiz gesucht und eine Handvoll Leute gefragt. Die anderen haben abgelehnt. Man muss sagen, dass sie nicht sehr gut bezahlt haben – trotz des Risikos.

«Ich habe in Lateinamerika viel über Kriminalität berichtet.»

Was war am Schluss ausschlaggebend, dass Sie zugesagt haben?
Ich bin überhaupt nicht True-Crime-affin, aber ich fand die Geschichte interessant und dachte, die Gefahr halte sich für mich in Grenzen, weil ich nur Mittelsfrau bin. Ausserdem war ich schon in gefährlichen Situationen. Ich habe in Lateinamerika viel über Kriminalität berichtet. Aber ganz wichtig war, dass ich es nicht allein machen wollte. Und darum habe ich die Podcastschmiede gefragt, ob sie das Projekt mit mir durchführen wollen. Mit einer Firma im Rücken fühlte ich mich wohler.

Hatten Sie die britischen Journalisten vorher gekannt?
Nein. Aber ich habe sie recherchiert und gesehen, dass sie hinter Top-Produktionen stehen. Es war mir wichtig, dass sie seriös sind. Trotzdem war ich nie sicher, wie das Resultat am Ende sein würde.

Was beinhaltete Ihr Auftrag?
Ich war die Person, die mehr über die Schweizerin auf der Kill List herausfinden und dann das Vertrauen aufbauen sollte. Da die Frau sehr gut Englisch spricht, hätte ich da theoretisch aufhören können. Aber weil die britischen Journalisten kein Deutsch konnten, habe ich den Fall bei der Polizei gemeldet. Dadurch war ich viel mehr involviert als ursprünglich vorgesehen.

Hat die vom Mordauftrag gezielte «Elena» gleich zugesagt, für den Podcast aufgenommen zu werden?
Ja, wir waren alle überrascht, dass sie mitmachte und auch dass sie nachher nicht sagte, sie wolle nicht im Podcast erscheinen.

«Aber ich musste mich einsetzen, dass die richtigen Namen von Elena und ihrem Mann nicht im Podcast erscheinen»

Wie lief die Zusammenarbeit mit dem britischen Team?
Ich war sehr häufig im Austausch mit ihnen. Auch wenn man mich selbst nicht viel im Podcast hört, fliessen sehr viele Inhalte von unseren Gesprächen und Reflexionen in die Erzählungen des Hosts Carl Miller ein. Ich fand das vom Storytelling her toll, wie er diese eingebaut hat.

Sind Sie also mit dem Ergebnis zufrieden?
Ja, stehe voll dahinter. Als ich das Skript erhalten habe, war ich sehr erleichtert, dass die Produktion nicht auf Sensation setzte. Aber ich musste mich einsetzen, dass die richtigen Namen von Elena und ihrem Mann nicht im Podcast erscheinen.

Sie wollten die echten Namen nennen?
Die britischen Journalisten haben halt andere Massstäbe. In der Schweiz sind wir viel zurückhaltender. Ich wollte Elena schützen und musste erneut juristische Unterstützung beiziehen, um ihnen das klarzumachen. Ich bin enorm froh, sie haben kurz vor Veröffentlichung die Namen doch geändert. Das war auch ein wichtiger Punkt für mein Sicherheitsgefühl.

«Vom Erfolg profitieren wir monetär nicht direkt»

Sie haben am Anfang erwähnt, dass Ihre Arbeit am Podcast nicht sehr gut bezahlt wurde. Jetzt, dass der Podcast so erfolgreich ist, bekommen Sie etwas davon?
Ein Tagessatz von 300 bis 350 Euro ist sehr hoch für britische Journalisten. Letztlich ist ein enormer Aufwand entstanden, der von beiden Seiten nicht bezahlt werden konnte. Und nein, vom Erfolg profitieren wir monetär nicht direkt. Podcasts haben auf Spotify und den anderen Plattformen keine Gewinnausschüttung.

Die sechs ersten Folgen von «Kill List» sind frei zugänglich. Podcasts sind oft gratis, obwohl aufwendige Produktionen dahinterstecken. Werden sie nicht falsch vermarktet?
Die Vermarktung ist ein Riesenthema. Es hat sich schon fest etabliert, dass Podcasts gratis sind. Bei Wondery, der Firma hinter «Kill List», kann man schon ein Abo lösen und die Folgen im Voraus hören. Aber am Schluss machen sie die Barriere auf, um mehr Reichweite zu haben.

Die anglosächsischen Podcasts fallen oft durch ihr packendes Storytelling auf. So auch «Kill List». Sollte man sich in der Schweiz mehr davon inspirieren lassen?
Ja, unbedingt. Die sind uns einen Schritt voraus.

Sie haben letztes Jahr bereits in einem Artikel für die Republik über den Fall berichtet. Und jetzt läuft die Podcast-Serie. Ist die Geschichte für Sie nun abgeschlossen?
Es kann sein, dass es weitergeht. Aber ich kann noch nicht viel dazu sagen.


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