13.03.2022

Pax Helvetica

Junge Filmer wollen Geschichte vermitteln

Die fünf Macher von Pax Helvetica wollen mit Online-Videojournalismus über historische Ereignisse in der Schweiz ein besseres Verständnis der Gegenwart ermöglichen. Das Crowdfunding für die zweite Staffel ihres Freelance-Projektes läuft noch eine Woche bis am Sonntag.
Pax Helvetica: Junge Filmer wollen Geschichte vermitteln
Dem Team von Pax Helvetica ist Unabhängigkeit sehr wichtig (v.l.): Marc D’Arrigo, Sven Paulin, Noah Debbabi, Raca Wita und Alex Spoerndli. (Bild: Pax Helvetica/Alex Spoerndli)
von Tim Frei

Das fünfköpfige Team des Dokumentarfilmprojekts «Pax Helvetica» über Schweizer Geschichte ist kurz davor, mit der zweiten Staffel zu starten. Das sind die Macher: Sven Paulin (27, Co-Gründer/Producer), Raca Wita (27, Co-Gründer/Journalist), Alex Spoerndli (27, Journalist/Producer), Noah Debbabi (26, IT/Producer) und Marc D’Arrigo (42, Kommunikation/Marketing). Sie setzen auf einen erklärenden Videojournalismus, der über die Kanäle YouTube, Instagram und TikTok ein junges Publikum ansprechen will.

Sie möchten den Usern ein besseres Verständnis der hiesigen Gegenwart ermöglichen, indem diese mit der Schweizer Geschichte seit der Bundesstaatsgründung 1848 in einen Zusammenhang gestellt wird. Schliesslich werde gemäss Sven Paulin schon dem US-Schriftsteller Mark Twain das Sprichwort zugeschrieben: «History never repeats itself, but it rhymes.» (Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich). Alex Spoerndli betont: «Wir wollen mit der Vergangenheit nicht die Gegenwart erklären, sondern mit der Geschichte Punkte hervorheben, die heute noch wichtig sind.» 

«Diese Nische möchten wir besetzen»

Auf diese Weise wurden 2020 in der ersten Staffel zum Beispiel der nach wie vor ungeklärte Terroranschlag in Würenlingen im Jahr 1970 und das Schweizer Atomprogramm im Kalten Krieg thematisiert. «Diese Geschichten sind zwar bekannt, aber in ihrer puren Perspektive nicht im Schweizer Gedächtnis respektive der Öffentlichkeit präsent», sagt Spoerndli. «Diese Nische möchten wir besetzen», ergänzt Paulin.

Am Freelance-Charakter wird nicht gerüttelt

Haben die Macher die erste Staffel mit fünf Episoden noch selbst finanziert, möchten sie ihr Projekt nun professioneller angehen. Deshalb haben sie für die zweite Staffel ein Crowdfunding* gestartet, das noch bis am Sonntag, 20. März, läuft. Das erste Etappenziel von 10'000 Franken wurde bereits nach zehn Tagen erreicht. Mit diesem Betrag ist die Finanzierung von zwei Staffeln gesichert. Der übrig gebliebene Betrag wird für die Bewerbung der Social-Media-Kanäle eingesetzt.

«Unabhängig davon, wie viel finanzielle Mittel wir erreichen, wird es eine zweite Staffel geben»

Das Maximalziel von 80'000 Franken stufen selbst die Macher als «unwahrscheinlich» ein. Sollte dies wider Erwarten gelingen, ist für Sven Paulin jedoch klar: «Auch dann könnten wir uns niemals einen Redaktionsbetrieb mit drei Vollzeitstellen leisten.» Diesen Weg möchten sie aber gar nicht beschreiten, sagt doch Spoerndli: «Wir sehen uns weiterhin als Freelance-Projekt – und nicht als Angestellte von Pax.» 

Erreicht Pax Helvetica 35'000 Franken, wären wie in der ersten Staffel fünf grosse Episoden möglich, zudem wäre die Bewerbung der Beiträge auf Social Media finanziert. Davon sind die Macher derzeit aber mit über 12'000 Franken weit entfernt – in der letzten Sammelwoche ist also nochmals ein Exploit gefragt. Paulin betont aber: «Unabhängig davon, wie viel finanzielle Mittel wir erreichen, wird es eine zweite Staffel geben. Die Faszination für dieses Projekt wird man uns nicht nehmen können.» Den fehlenden Betrag würden sie sonst – wie in der ersten Staffel – selbst übernehmen.

Weshalb auf eine Paywall verzichtet wird

Dass Pax Helvetica nun unter anderem via Crowdfunding nach finanziellen Mittel sucht, erklärt Paulin so: «Wir möchten dieser journalistischen Arbeit auch einen Wert geben und den Zuschauerinnen und Zuschauern damit aufzeigen, dass die Produktion qualitativer Inhalte etwas kostet.» Das wird aber nichts am Grundsatz der Macher ändern, dass die Inhalte weiterhin für alle frei verfügbar sein sollen: «Eine Paywall wird es bei uns nie geben», betont Paulin.

Alex Spoerndli erklärt den Verzicht auf eine Paywall so: «Wir alle brauchen Geschichten, um die Realität, in der wir leben, zu verstehen. Daher ist es fundamental, dass solche Information frei verfügbar ist.» Es könne nicht sein, dass jemand lediglich Zugang zu «schlechter» Information habe, nur weil er oder sie sich nicht mehrere Zeitungsabos leisten könne. «Es ist eine Form der Solidarität, dass jene, die können, für andere zahlen und wir Eigenleistung einbringen», so Spoerndli konkret über das Modell von Pax Helvetica. Ein weiterer Grund für den Verzicht auf eine Paywall ist«Weil wir finden, dass die Inhalte, die wir produzieren, ein Teil des nationalen Gedächtnisses der Schweiz sind.»

«Klar, wir mussten unseren Lebensstandard nach unten korrigieren»

Vor diesem Hintergrund stellt sich unweigerlich die Frage: Wovon können die Macher von Pax Helvetica leben? «Klar, wir mussten unseren Lebensstandard nach unten korrigieren», sagt Paulin. Doch mit anderen Tätigkeiten würde jeder von ihnen gut über die Runden kommen – Paulin selbst hat sich vor zwei Jahren als Videoproducer selbstständig gemacht. Spoerndli, der Paulin aus gemeinsamen Zeiten beim Izzy Magazin kennt, ist als freier Videojournalist aus seinem aktuellen Wohnort Beirut, der Hauptstadt des Libanon, tätig. So hat er beispielsweise schon Reportagen für die NZZ produziert.

Stiftungsgelder als zweites Standbein

Journalist Raca Wita absolviert derzeit den Studiengang Organisationskommunikation und Journalismus an der ZHAW in Winterthur. Marc D’Arrigo hat sich mit Editoria33 selbständig gemacht – einer Agentur, die sich auf Brand, Story und Concept fokussiert. Früher war er unter anderem bei der NZZ als Project Manager für Future Audience oder bei Too Good To Go tätig.

Das Dokumentarfilmprojekt setzt auf ein weiteres finanzielles Standbein. Marc D’Arrigo kümmert sich darum, Stiftungen und Kulturförderungen für Unterstützungsbeiträge anzugehen. «Da unsere Art Journalismus einen Bildungscharakter hat, möchten wir auch diese Schiene ausprobieren», so Paulin.

«Wenn wir mit einem Beitrag scheitern, möchten wir alleine dafür verantwortlich gemacht werden» 

Auf die Frage, wie dies mit dem Grundsatz von Pax Helvetica vereinbar ist, unabhängig zu bleiben, sagt Spoerndli: «Wir werden von Stiftungen nur dann finanzielle Unterstützung annehmen, wenn uns inhaltlich nichts diktiert wird. Wir stehen mit unseren Namen hinter den Geschichten, da können wir uns doch nicht abhängig machen von Institutionen, sonst verlieren wir an Glaubwürdigkeit.» Deshalb ist es für die Macher auch nie in Frage gekommen, Pax Helvetica in einem Medienhaus fortzuführen und/oder auf Werbeformate wie Native Advertising zu setzen.

Spoerndli betont: «Wenn wir mit einem Beitrag scheitern, möchten wir alleine dafür verantwortlich gemacht werden.» Denn nur dann könne man für sich mit gutem Gewissen sagen, dass man das Bestmöglichste versucht habe.

Video in Medienhäusern zu oft als Zusatzprodukt

Pax Helvetica ist ein lateinischer Begriff, der «helvetischer Frieden» bedeutet. Sven Paulin, der das Filmprojekt zusammen mit Raca Wita gestartet hat, erinnert sich noch gut, was der Auslöser zu diesem Projekt war: «Wir haben festgestellt, dass das grosse Potenzial des Onlinevideojournalismus noch zu wenig erkannt wird.» Und wenn Medienhäuser Videos machen, würden diese selten als eigenständiges Produkt hergestellt, kritisiert Paulin: «Zu oft werden Videos als Zusatzprodukt von geschriebenem Journalismus verwendet.» Das sei sehr schade, da Bewegtbild die Zukunft gehöre – das sagt Paulin mit Verweis auf Angaben des US-Telekomunternehmens Cisco, wonach Video in diesem Jahr 82 Prozent des Internet-Traffics generieren werde.

«Wir haben zuerst gelernt, Videos zu schneiden, bevor wir geschrieben haben»

Alex Spoerndli bringt aber auch Verständnis auf, dass Verlage nicht «so konsequent» auf das Medium Video setzen wie Pax Helvetica. Und dabei denkt er nicht primär an die hohen Produktionskosten, wenngleich dies nicht zu vernachlässigen sei. Sondern: «Wir sind einfach eine andere Generation ­– wir haben zuerst gelernt, Videos zu schneiden, bevor wir geschrieben haben. Ältere Generationen stecken dagegen noch stark in der Textwelt. Deshalb kann man von ihnen auch nicht verlangen, dass sie ein Textprodukt komplett auf Video umpolen.»


*Unter diesem Link geht es zum «Pax Helvetica»-Crowdfunding, das noch bis und mit nächsten Sonntag, 20. März, läuft.



Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20230325