10.05.2023

SwissMediaForum

«Lokaljournalismus ist die Königsdisziplin»

Seit 2021 leitet Flurina Valsecchi als Chefredaktorin den Boten der Urschweiz in Schwyz. Die 43-Jährige treibt die digitale Transformation voran, ohne den Print zu vernachlässigen. Am SwissMediaForum spricht sie über ihre Erfahrungen, vorab gibt sie Einblicke in ihre Arbeit.
SwissMediaForum: «Lokaljournalismus ist die Königsdisziplin»
«Wenn ich am Mittag ein Sandwich hole, werde ich auf unsere Storys angesprochen», so Flurina Valsecchi, Chefredaktorin Bote der Urschweiz. (Bild: Erhard Gick)
von Patrik Müller

Frau Valsecchi, Sie sind seit bald zwei Jahren Chefredaktorin des Boten der Urschweiz. Was unterscheidet diese Zeitung von den Zeitungen, für die Sie früher gearbeitet haben?
Noch nie habe ich die Identifikation der Leserschaft mit «ihrer» Zeitung als so intensiv erlebt. Und noch nie habe ich ein Redaktionsteam kennengelernt, das ebenso intensiv für seine Zeitung kämpft. 

Beeindruckend ist die Marktabdeckung von 70 Prozent im Schwyzer Talkessel.
Das stimmt, um den «Bott», wie man hier sagt, kommt man nicht herum. Wenn ich zum Beispiel am Mittag in der Bäckerei ein Sandwich hole, werde ich auf unsere Storys angesprochen. Passt dem Leser oder der Leserin – vom einfachen Arbeiter bis zu den Regierungsräten – etwas nicht, wird es einem unmittelbar und schonungslos mitgeteilt. Manchmal braucht es zwar eine dicke Haut, aber es gibt uns auch einen guten Gradmesser dafür, welche Themen interessieren und Diskussionen auslösen.

Der Auflagerückgang der Printausgabe ist im schweizweiten Vergleich unterdurchschnittlich. Was macht der Bote besser?
Auch bei uns ist der Abonnentenrückgang im Print spürbar, er hat womöglich etwas später und vielleicht weniger heftig eingesetzt. Die Konkurrenz der Gratismedien, die schamlos den hart erarbeiteten Content anderer abschreiben, ist bei uns noch weniger einschneidend als anderswo. Unser tägliches Ziel ist es, stets mit einem kritischen Blick über das zu berichten, was unsere Leserinnen und Leser unmittelbar betrifft – das geht von einem entflogenen Papagei in Gersau bis zu den Auswirkungen des innerkantonalen Finanzausgleichs. Zudem investieren wir viel in die Leserbindung: Vereine finden sich im Boten wieder, unsere Reporter sind an vielen Veranstaltungen vor Ort, und wir bringen Ranglisten – vom Kinderpreisnüsseln bis zur Braunviehausstellung.

«Wir investieren auch heute noch sehr viel Energie und Leidenschaft in unsere Printausgabe»

Digital ist beim Boten lange Zeit wenig gegangen. Hat dies die Printausgabe geschützt?
Das kann ich nicht beurteilen. Wir investieren auch heute noch sehr viel Energie und Leidenschaft in unsere Printausgabe. Interessant ist auch, dass unser Webauftritt schon vor dem Relaunch im Vergleich mit anderen regionalen Portalen einen hohen Traffic ausweisen konnte. Mich persönlich beschäftigt der Blick vorwärts aber viel mehr.

Und wie entwickelt sich der Bote in Zukunft?
Absolut zuversichtlich stimmt mich die Tatsache, dass die jungen Schwyzerinnen und Schwyzer den Boten alle sehr gut kennen, sie wollen unsere Storys lesen. Er ist in ihrem Alltag tief verankert. Viele der jungen Generation sind aber nicht mehr bereit, ein Printabo zu lösen. Da spielt wie überall der Zeitgeist mit. Genau bei dieser Zielgruppe setzen wir mit unserem Digitalangebot an. Ich sehe da zwar viel Arbeit vor uns, aber zugleich auch eine ganz grosse Chance für den Boten.

Eine Ihrer Hauptaufgaben ist die digitale Transformation. Was haben Sie seit Ihrem Start in Schwyz erreicht?
Unser digitales Angebot lässt sich heute im schweizweiten Vergleich sehen, darauf dürfen wir stolz sein. Unsere Stammcrew besteht aus 15 Leuten, gleich viele Frauen wie Männer, einige sind Teilzeit tätig. Innerhalb von acht Monaten – von der Konzeption bis zum Go-live – haben wir den «Laden» umgekrempelt. Heute arbeitet unsere Redaktion mit der kanalneutralen Arbeitsweise für Print und Online. So ist es uns gelungen, das inhaltliche Angebot im digitalen Bereich stark auszubauen. Auch technisch und vom Design her haben wir Website und App weiterentwickelt.

«Wir sind ein kleines Team»

Was ist die grösste Herausforderung?
Geduldig sein. Wir sind ein kleines Team und können nicht auf eine grosse Schar an Marketingfachleuten, SEO-Experten, Klick-Statistikern oder auch Datenjournalisten zurückgreifen. Wir müssen in kleinen Etappen unseren Weg vorwärtsgehen. Beruhigend ist, dass eine «hemdsärmelige» Lösung manchmal nicht unbedingt die schlechteste Variante ist.

Was zeichnet den idealen Redaktor, die ideale Redaktorin des Boten aus?
Man hat im Auto immer gutes Schuhwerk dabei.

Der klassische Reporter, wie man sich ihn vorstellt.
Unsere Redaktion ist zu klein, als dass sich unsere Leute je einem Dossier widmen könnten. Auch bei uns hat man seine Spezialgebiete, aber grundsätzlich muss jeder und jede für alle Themen einsatzbereit sein. Wer den Lokaljournalismus belächelt, darf bei uns gerne ein Praktikum absolvieren. Es ist eine Königsdisziplin.



Das ganze Interview ist im SwissMediaForum-Sonderteil der aktuellen Printausgabe von persönlich erschienen. Es wurde geführt von SwissMediaForum-Initiant und CH-Media-Chefredaktor Patrik Müller.

Das SwissMediaForum findet am Donnerstag und Freitag in Luzern statt. persoenlich.com ist Medienpartner und wird direkt von der Veranstaltung berichten.



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