Roboter Tobi schreibt erste Texte

Tamedia - Ein Freelancer der besonderen Art: Ein Roboter hat die Redaktion beim Berichten über die Abstimmungsresultate unterstützt – und das mit personalisierten Texten.

von Anna Sterchi

Roboter Tobi hat die Journalisten von Tamedia am Abstimmungssonntag zum ersten Mal bei der Berichterstattung unterstützt. Basierend auf den Abstimmungsdaten hat der Roboter für jede der 526 Zürcher und Berner Gemeinden individualisierte Texte aus Textbausteinen produziert. Die Texte von Tobi werden auf den verschiedenen Websites von Tamedia angeboten (Artikel kostenpflichtig).

Das Tool ist für den Benutzer simpel zu bedienen: In einem ersten Schritt gibt die Benutzerin ihre Postleitzahl ein. Dann generiert das System einen Artikel, der die Resultate in der gewählten Gemeinde erläutert. Der Text kann weiter individualisiert werden, wenn der Nutzer angibt, wie er abgestimmt hat. Der Erklärtext ist signiert mit: «Ihr Tobi, Textroboter».

Am Sonntag hat Tobi gemäss Angaben von Tamedia exakt 4734 verschiedene Texte geschrieben, also neun Texte für jede der 526 Gemeinden. «Wenn wir das für die ganze Schweiz machen würden – was technisch nicht viel schwieriger wäre – dann wären es ungefähr 20’000 Texte. Nehmen wir an, ein Journalist würde für jeden Text 15 Minuten brauchen, so bräuchte er dafür fast ein ganzes Jahr», sagt Titus Plattner, Senior Innovation Project Manager bei Tamedia und Hauptverantwortlicher dieses Projekts. Roboter Tobi hingegen habe die Texte innert drei bis vier Minuten verfasst.

Menschliche Unterstützung nötig

Dennoch brauchte es menschliche Vorarbeit, bis Tobi einsatzbereit war: Ein Team von Leuten aus Lausanne, Bern und Zürich machte das Experiment möglich. Journalisten unter dem Lead von Daniel Barben schrieben die Textbausteine. Da diese im Voraus verfasst wurden, bereitete sich das Team auf alle Szenarien vor – selbst auf das kaum Vorstellbare wie ein dreifaches Ja auf nationaler Ebene.

Beim gestrigen Erstversuch gab es gemäss Plattner nur kleinere Pannen. In der Gemeinde Champoz, im Berner Jura, waren das Ja- und Nein-Lager bei der Velo-Vorlage genau gleich gross. Dieses Szenario hatten die Macher nicht vorausgesehen, was zu einem Fehler führte. Diesen musste Datenjournalist Mathias Born zuerst finden und beheben. Zudem konnten einige Leute, die Ad-Blocker benutzten, die Texte nicht abrufen. «Ansonsten gab es keine Panne. Tobi hat fehlerfrei geschrieben», sagt der Projektverantwortliche zufrieden.

Positive Reaktionen aus der Leserschaft

«Wenn die Ergebnisse ermutigend sind und die Reaktionen der Leserinnen und Leser positiv ausfallen, können wir uns vorstellen, Tobi bei zukünftigen Abstimmungen oder sogar Wahlen einzusetzen», schreibt Tamedia auf ihrer Website. Auf Anfrage von persoenlich.com meint Plattner: «Die Besucherzahlen waren sehr gut und die Leserbewertungen sehr positiv.» Insbesondere hat es Plattner erstaunt, dass die Leser die Textqualität mit Note 4 von 5, also mit «sehr gut», bewertet haben. «Das überrascht mich, weil es für einen Roboter nicht so einfach ist, einen natürlichen Text zu schreiben.»

Das Medienunternehmen hat Plattner zufolge schon eine ganze Reihe von weiteren Projekten mit Robotern: Im lokalen Sportbereich will Tamedia vor und nach den Spielen automatisch Texte generieren. Dazu hätten sie im Fussball und Eishockey bereits Tests durchgeführt. Das Gleiche wäre auch im Radsport möglich. Auch die Wirtschaftsberichterstattung würde sich laut dem Tamedia-Journalisten für ein solches Projekt eignen.

Keine Gefahr für Journalisten

Für Plattner bietet der Einsatz von Robotern in der Textproduktion Chancen: «Die Automatisierung wird es künftig ermöglichen, Dienstleistungen zu erbringen, die auf traditionelle Weise schlicht nicht realisierbar sind.» Zudem könnten die Inhalte personalisiert werden. Angst davor, dass Roboter wie Tobi den Medienschaffenden die Arbeitsplätze streitig machen könnten, hat Plattner nicht: «Roboter werden helfen, die Journalisten bei repetitiven und weniger interessanten Aufgaben zu entlasten.» Aber am Ende bleibe die journalistische Tätigkeit ein «Handwerk». «Journalisten wird es immer geben», hält er abschliessend fest.