14.04.2021

Bundesratsentscheid

So kommentieren die Medien die Lockerungen

«Symbolpolitik» oder «starkes Zeichen»? Die offensiven Schritte des Bundesrates werden von den Kommentatoren in den Schweizer Medien mit Erstaunen und Erleichterung, aber auch mit Sorge zur Kenntnis genommen.
Bundesratsentscheid: So kommentieren die Medien die Lockerungen
Laut Gesundheitsminister Alain Berset ist der nächste Öffnungsschritt auch deshalb angezeigt, weil sich der Grossteil der Bevölkerung immer noch vorsichtig verhält. (Bild: Screenshot admin.ch)

Tages-Anzeiger

«Die Öffnungsschritte sind nur Symbolpolitik. Wirklich wichtig ist, dass die Regierung heute erste Impfprivilegien und Vorteile für testwillige Betriebe einführt. Kino, Fitness, Sport – ab Montag ist alles wieder möglich. Und vor allem: Die Terrassen der Restaurants sind ab Montag wieder geöffnet. ‹Endlich wieder ein bisschen mehr Freiheit›, das dachten sich wohl die meisten, als die ersten Meldungen über die jüngsten Öffnungsschritte des Bundesrates kamen. (…) Und jetzt, ist alles wieder gut? Natürlich nicht. Erstens kommen die Öffnungen mitten in einer Phase steigender Fallzahlen, ob es da wirklich klug ist, im Fitnesscenter ohne Maske aufs Fahrrad zu steigen, kann man sich durchaus fragen. Zweitens bringen die Lockerungen wegen der strengen Schutzkonzepte den betroffenen Branchen noch lange keine Normalität. Im Gegenteil, manch einer wird sich fragen, ob es sich lohnt, wieder zu öffnen.»

Neue Zürcher Zeitung

«Der Bundesrat setzt zwar den Weg der Öffnung fort. Etwas Entscheidendes jedoch fehlt: das Aufzeigen einer Perspektive für die nächsten Monate, welche die Impffortschritte ins Zentrum rückt. (…) Es ist immer gut, wenn man die minimalen Erwartungen übertrifft. Endlich werden somit die Aussenterrassen der Restaurants wieder freigegeben (was macht die Schweiz nur ohne das Reizthema der letzten Monate?). Überraschender sind die diversen anderen Lockerungsschritte: Die Studierenden können unter strengen Auflagen zurück in die Hörsäle. (…) Immerhin: Die diversen Schritte signalisieren den Bürgerinnen und Bürgern, dass die Schweiz auf dem Weg zurück in die Normalität bleibt, dass Freiheiten – im Gegensatz zur Lage beim grossen Nachbarn – nur im Notfall wieder eingeschränkt werden.»

Blick

«Trotz steigender Neuinfektionen hält der Bundesrat am ambitionierten Öffnungsplan fest und erlaubt ab kommender Woche sogar Veranstaltungen. Das ist mutig, darf aber nicht zu Sorglosigkeit führen. Der Bundesrat lockert das Corona-Regime stärker als erwartet. Obwohl vier der fünf Richtwerte, von denen er eine Öffnung einst abhängig gemacht hatte, nicht erfüllt sind. Konsequent ist das nicht. Doch der Bundesrat kann gute Argumente für die Lockerung geltend machen. Erstens kommt die Impfkampagne langsam, aber sicher auf Touren. (…) Zweitens steht der Sommer vor der Tür. Die steigenden Temperaturen haben schon vor einem Jahr zu einer Entspannung geführt. Drittens reagiert die Landesregierung auf die Stimmung im Land. (…) In dieser Lage zeigt er Mut zum Risiko – und das zu Recht (…).»

Basler Zeitung

«Mitte März waren die Richtwerte besser, trotzdem lockert der Bundesrat nun im grossen Stil – ein starkes Zeichen für die frustrierte Jugend, die isolierten Alten und alle, die sich wie Erwachsene benehmen können. Plötzlich geht alles schnell. Restaurantterrassen sind ab Montag wieder offen, Zoos, botanische Gärten, Kinos und Theaterräume. Als wäre dem Bundesrat eine Extraportion Mut verimpft worden: Die Landesregierung mit Mister Corona Alain Berset an der Spitze gibt sich ungewohnt furchtlos. Dafür gebührt ihm ein Lob.»

SRF

Ähnlich tönt es in einer Analyse des Schweizer Radios und Fernsehens (SRF). Die Entscheide des Bundesrates seien mutig, um nicht zu sagen gewagt. Fünf Kriterien für Lockerungen aufzustellen und dann zu lockern, obwohl die Kriterien nicht erfüllt seien, sei ein Vorgehen, das Fragen aufwerfe. Zum Beispiel jene, was für einen Sinn es denn überhaupt ergebe, solche Richtwerte nach Aussen zu kommunizieren.

Aargauer Zeitung

Der Bundesrat öffne schneller als erwartet. Kritiker sprächen von einer Hochrisikostrategie, schreibt die Aargauer Zeitung. Gemach, man könne die Entscheide auch anders lesen: Sie seien ein Vertrauensbeweis gegenüber der Bevölkerung. Nur müssten nun alle ihre Verantwortung wahrnehmen: Die Gastronomen und Veranstalter müssten sichere Schutzkonzepte umsetzen, die Kantone verimpfen.

Bund

Der Entscheid entspreche weitgehend den Forderungen eines Grossteils der Kantone und der Wirtschaftsverbände, schreibt die Südostschweiz. Auch das Parlament habe in den vergangenen Tagen wiederholt Druck auf den Bundesrat ausgeübt, den Betrieben und Betroffenen mehr Perspektiven zu bieten. Anders als vor einem Monat sei der Bundesrat nun diesem Ruf gefolgt.

Berner Zeitung

Der Berner Bund spricht von einem Lichtblick für die Kinos, Theater und Konzertlokale. Die Kulturbranche habe die Massnahmen zur Pandemie-Bekämpfung bisher ohne grosses Gezeter mitgetragen hat. Der Zeitpunkt sei jedoch für Veranstalter und Kulturschaffende nicht besonders günstig. Der Festivalsommer sei längst abgesagt.

Westschweizer Medien

Die Westschweizer Tageszeitungen 24 heures/Tribune de Genève machen auf die Gefahr aufmerksam, die durch die Ausbreitung von Virus-Mutationen drohe. Die Zeit dränge. Es müsse uns gelingen, der Pandemie einen Schritt voraus zu sein. Geduld und Wachsamkeit machten keinen Spass. Aber die Chance zu verpassen, die sich nach all den Entbehrungen zu bieten scheine, wäre noch weniger lustig.

Die Neuenburger Mediengruppe Arc Info thematisiert das Verhalten von Bundesrat Alain Berset während der Medienkonferenz am Mittwoch nach der Bundesratssitzung. In der Haltung und im Auftreten des Gesundheitsministers sei keine Spur von Genugtuung zu erkennen gewesen, wie sie viele Schweizer wohl empfänden. Er habe sein übliches düsteres Gesicht gezeigt – eher ernst als entspannt.

Die Schweiz bewege sich mit ihren Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus auf einem Mittelweg, schreibt die französischsprachige Freiburger Tageszeitung La Liberté. Dieser Weg bestehe darin, abzuwarten und auf die Nachbarländer zu schauen, bevor einschneidende Massnahmen ergriffen würden. Berset versuche den Slalom zwischen den weit divergierenden Meinungen.

Bundesrat öffnet trotz steigender Zahlen

Obwohl vier von fünf Richtwerten für Lockerungen derzeit nicht erfüllt sind, können am Montag etwa Terrassen von Restaurants und Bars, Kinos und Fitnesszentren wieder öffnen. Wieder erlaubt sind auch Sport in Innenräumen, Kultur- und Sportveranstaltungen sowie Präsenzunterricht an den Universitäten.

Maximal hundert Personen dürfen draussen eine Veranstaltung besuchen, in Innenräumen sind es maximal 50 Personen, also im Kino, Konzert oder Theater. Weiterhin gelten Maskenpflicht, Abstand halten und Hände waschen und desinfizieren sowie rigorose Schutzkonzepte.

Bis auf weiteres geschlossen bleiben müssen die Innenbereiche von Restaurants, Wellnessanlagen und Freizeitbädern sowie Diskotheken und Tanzlokale. Sportarten mit Körperkontakt sind in Innenräumen weiterhin nicht erlaubt. Auch die Homeoffice-Pflicht hat der Bundesrat vorderhand belassen. (sda/cbe)



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